Übersetzungswissenschaften und Bibelübersetzungs-Theorie - Eine Übersicht
Die Wissenschaft zur Bibelübersetzung und die Übersetzungswissenschaften
Eberhard Werner werner(a)forschungsinstitut.net)
Abstrakt
Die Wissenschaft zur Bibelübersetzung und die Übersetzungswissenschaften beflügeln sich gegenseitig. In der Geschichte beider Wissenschaften zeigen sich Parallelen, Überschneidungen aber auch kontroverse Entwicklungen. Bibelübersetzung als Teil der angewandten Übersetzungswissenschaften ist dabei aufgrund ihrer globalen Bedeutung ein wichtiger Erfahrungs- und Impulsgebender Faktor. Dieser kurze Überblick beschreibt beide Wissenschaftszweige in ihrer historischen Bedeutung.
Historische Betrachtungen zur Sprachen- und Völkervielfalt
Wollte man die Bedeutung des Übersetzens beschreiben, so kommt man am Ursprung der Sprachenvielfalt nicht vorbei. Woher kommt die Sprache und wie kann man sich die Sprachen-Vielfalt erklären? Hierbei spielt die Anthropologie eine bedeutsame Rolle. Die Menschheit hat seit jeher versucht sich in Über- und kleineren Einheiten zu strukturieren. Wollte man mit einem evolutionistischen Ansatz so weit zurück gehen, dass sich die Trennung von Tier- und Menschenwelt auf Umweltfaktoren nach den Prinzipien der Selektion und Mutation erklären liesse, dann zeigt die menschliche Laut- und Gestenbildung den erheblichsten Unterschied zwischen Tier- und Mensch an, der nur mit sprunghaften Makromutationen zu erklären wäre. Solche Entwicklungen sind jedoch nicht nachweisbar, weshalb man sich hier im spekulativen Raum befindet. Sprache und Denken sind so eng miteinander verknüpft, dass die Denkfunktion weit über der Instinktfunktion von Lebewesen anzusiedeln ist.
Geht man auf traditionelle Beschreibungen zurück, wie die biblische Schöpfungsgeschichte, das Enuma Elish, den Gilgamesh Epos oder auch die buddhistischen und hinduistischen Schriften, dann wird die Trennung der Götter- von der Menschenwelt als entscheidender Faktor deutlich. In diesem letzten Modell wird die linguistische Entwicklung auf göttliche Einflüße zurück geführt. Letzten Endes spiegeln dann aber alle Sprachen einen göttlichen Ursprung wieder (z. B. Genesis 1/26-27). An diesem Punkt treffen sich die Evolution und die religiösen Erklärungsversuche. Es wird ein gemeinsamer Ursprung vermutet. Hinsichtlich der Kontinentaldrift (Verschiebung der Erdplatte in die heutigen Kontinente) und der Umweltveränderungen durch Eis- und Heisszeiten, Meteoreinschläge etc. bilden in beiden Modellen die ökologischen Nischenanpassungen der Menschen in Völker ein wichtiges Kriterium zur Sprachenvielfalt. Dabei zeigt das Beispiel afrikanischer Sprachpolitik im vorchristlichen Zeitalter, wie schnell sich Sprachen verändern, entwickeln und verselbständigen können. Im sogennanten südsaharischen Sprachengürtel (Sierra Leone, Liberia, Benin, Burkina Faso, Tschad, Nigeria) haben lokale Herrscher sich mittels politischer sprachlicher Absonderung gegenüber benachbarten Stämmen und Völkern profiliert. Dabei entstand das dortige heutige Sprachenkontingent. Es lässt festhalten, dass sich Sprachen aufgrund von Umweltfaktoren oder politischen Entscheidungen entwickeln. Umgekehrt sind es diese Faktoren, die zum Sprachensterben beitragen. Die Migrationsbewegeungen der Menschheitsgeschichte bewirkte die Durchsetzung von National- oder Verkehrssprachen. Diese erwiesen sich als dominant (z. B. Englisch in den USA). Oder repressive politische Systeme benutzten solche Sprachen um auf der Bildungsebene marginalisierte Sprachen zu unterdrücken (z. B. Mandarin Chinesisch), die im Laufe der Zeit dann ausstarben oder am Aussterben sind.
Einem Volk liegt zugrunde: a) eine gemeinsame traditionelle Ursprungs- oder Herkunfsttheorie (real, sagenhaft oder religiös), b) eine teritoriale Eingrenzung eines Lebensraumes und c) eine gemeinsame sprachliche Artikulation, die sich phonetisch, phonologisch und grammatisch bestimmen lässt und als Kommunikationsplattform dient. Den mehr als 13.000 Völker dieser Erde können mindestens 6.900 Sprachen zugeordnet werden, wobei Gebärdensprachen, Kunstsprachen oder artistische Phänomene (z. B. Symbolsprachen, Jodel- oder Pfeifsprachen) nicht darin enthalten sind.
Die Geschichte der Wissenschaft zur Bibelübersetzung und der Übersetzungswissenschaften
1. Geschichte der Bibelübersetzung
Es lassen sich in Anlehnung an Orlinsky & Bratcher mehrere Epochen der Entwicklung feststellen (1991: v-xii, hier in modifizierter Form),
- Urgemeinde und deren griechische Schriften im judenchristlichen Rahmen (bis zum 4. Jh.),
- katholische Epoche lateinischer Schriften (5. - 15. Jh.),
- protestantische Epoche europäischer (Mutter-) Sprachen bis zur Heranbildung einer Wissenschaft der Bibelübersetzung (16. - 19. Jh.)
- modernes ökumenisches Zeitalter als „Jahrhundert der Bibelübersetzung und christlichen Entwicklungshilfe“ im Hinblick auf einen muttersprachlichen Fokus (seit dem 20. Jh.).
Da das letzte Jahrhundert im Hinblick auf Entwicklungen der vorhergehenden Epochen die auffälligste Progression im Bereich der Bibelübersetzung darstellt, darf es als Höhepunkt der Bibelübersetzung gewertet werden.
1.1 Urgemeindliche Kanonbildung und Bibelübersetzung
Hierunter fallen die ersten sechs Jahrhunderte nach der Zeitenwende. Diese Zeit wird als „Ära der Bibelübersetzungen in den alten Kirchen“ bezeichnet und endete mit der Revision des altsyrischen NT durch Bischof Thomas von Heraclea im Jahre 616 n. Chr. (Lauche 2007:131).
Dem neutestamentlichen Kanon ging die Konstituierung der Hebräischen Bibel voraus (Roberts 1989:61). Die Geschichte des Hebräischen Kanon ist verworren, zumal die Begriffe „Kanon, kanonisch, heilig, sakral“ patristische Literatur und damit dem christlichen Raum entstammen (Anderson 1989:114). Vor allem Josephus hat die heiligen Bücher des jüdischen Volkes als „zahlenmäßig beschränkt und in sich abgeschlossen“ beschrieben (:114). Aus Untersuchungen zur talmudischen und anderer jüdischer Literatur lassen sich vier Grundsätze ableiten, die auch in der Kanonisierung des Neuen Testaments eine Rolle spielen. Heilige Bücher:
1.) haben göttliche Autorität,
2.) sind zahlenmäßig begrenzt,
3.) sind auf eine begrenzte geschichtliche Entstehungsperiode zurückzuführen, 4.) haben einen Text der unverändert ist und bleiben muss (:116).
Wichtiges Kriterium dabei spielt der äußere Reinheitsgedanke, wonach solche Bücher nicht mit Profanem in Berührung kommen sollen. Hierunter fallen ungewaschene Hände, Lesehilfsmittel oder andere Bücher, die nicht zum Kanon gehören (Mishna zit. in Anderson 1989:114). Traditionell gilt der Hebräische Kanon mit der Standardisierung des Gesetzes durch Rabbi Aqiba im 1. Jh. nach Christus als abgeschlossen. Hiervon abgeleitet wurde kurz darauf der Masoretische Text, der als normative Vorlage aller weiteren Abschriften für die Schreiber fungierte (Roberts 1989:7).
Die Frühgeschichte der Kirche war geprägt von der Entwicklung eines verbindlichen Kanons christlicher Schriften (Metzger 1993:12). Neben die bereits im Ansatz kanonisierten jüdischen Schriften der Hebräischen Bibel, welche auch in den griechischen Übersetzungen zugänglich waren (bekannt als Septuaginta/LXX), trat ganz allmählich der "Kanon" des Neuen Testaments (:13-14, 17; Bruggen 1984:14; s. o.). Worte Jesu in ihrer mündlich tradierten Form wurden nach und nach, vor allem durch die Evangelienschreiber, schriftlich fixiert und durch Schriften der Apostel ergänzt (:13-14; Troeger 2005:31; Bruggen 1985:14-15). Dabei dienten die Übersetzungsvarianten der sogenannten Septuaginta als Prüfstein und Maßstab der Übereinstimmung neutestamentlicher mit den jüdischen Schriften der Hebräischen Bibel.
Dieser langsame aber kontinuierliche Prozess kann nicht auf punktuelle Ereignisse zurückgeführt werden, da solche in der Kirchengeschichte nicht erwähnt werden (:11; Bruggen 1985:14-15). Während dieses Prozesses wurden die kanonisierten Bücher auf ihre apostolische Autorität hin geprüft. Dies führte zu einer langsamen Sakralisierung der vormals profanen und in erster Linie informativen Texte (Borg 2001:28; s. Pkt. 2.2.9.3). Die im Folgenden dargestellte Entwicklung der Auswahlkriterien für den christlichen "Kanon", der auch die alttestamentlichen Schriften beinhaltete und spätestens um 357 n. Chr. zum Abschluss kam, gibt Aufschluss über antike Einflüsse auf die Bibelübersetzung (Metzger 1993:203-204). Dabei muss beachtet werden, dass es keine abschließende verbindliche Festlegung, sondern nur Listen und empfehlungen gab. Einen abschließenden "Kanon" in diesem Sinne gibt es fü die globale Kirche sondern eine Festlegung auf die Evangelien, die großen und kleinen Paulusbriefe und wenige katholische Briefe.
1.1.1. Apokryphen
Sogenannte „apokryphe Schriften“ (seit der Reformation „Apokryphen“) aus dem Zwischenzeitraum der Fertigstellung der Hebräischen Bibel sowie des 1. und 2 Jh. n. Chr. in Form von Deutero- und Pseudepigraphen wurden der christlichen Erbauungs- und Kirchenordnungsliteratur zugeschlagen (Schneemelcher 1989:1; Kautzsch 1900: v-vi; Metzger 1993:163; Rüger 1984:57-62). Sie grenzen den eigentlichen "Kanon" ab und bereichern diesen, der sich auf die „ältesten und vertrauenswürdigsten“ Schriften stützt, welche im Konsens der Kirche zusammengestellt wurden und „authentisch auf Jesus und die Zeit der Anfänge hinweist (Berger & Nord 1999:13-14; s. a. Metzger 1993:28).“[1]
1.1.2 Apostolische Väter
In den „Apostolischen Vätern“, also der patristischen Literatur (ca. 95 n. Chr. bis 150 n. Chr.), findet sich in Anlehnung an apostolische Lehrbriefe eine das Christentum beschreibende Literaturform. Dies ist die Phase als es begann „eine Institution zu werden und die Kirchenführer anfingen, Nachdruck auf die kirchliche Organisation zu legen (Metzger 1993:48).“ Die patristische Periode bildete die Grundlage zur Stärkung apostolischer Lehr- und Schriftautorität und ist von daher für die Kanonbildung von besonderer Bedeutung.
1.1.3 Bedeutung der Muttersprache
In diese urchristliche Phase fällt eine Welle von Übersetzungen der Heiligen Schrift(en) im Nahen Osten. Auslöser hierfür bildete die schnelle Verbreitung des christlichen Glaubens durch alle gesellschaftlichen Schichten der im mediterranen Raum angesiedelten antiken Völker. Hierbei taten sich das Lateinische, Syrische und Koptische hervor. Bereits im 3. Jh. n. Chr. lassen sich mehrere kanonische Modelle christlicher Schriften nachweisen (Metzger 1993:16-17).
Bibelübersetzung wurde als Zugang in die Herzen von Menschen entdeckt (s. Pkt. 4.2.1.1). Sie wurde maßgebliches Hilfsmittel bei der Verbreitung und Festigung biblischer Inhalte unter Interessierten und Gläubigen der Antike (Troeger 2005:31). Studien und Erfahrungen mit der armenischen, gotischen, syrischen und koptischen Kirche belegen, dass dort, wo die Bibel in der Muttersprache vorhanden war, christliche Gemeinden auch schwierige Phasen überstehen konnte. Wo es an solchen Übersetzungen mangelte, z. B. in asiatischen und nordafrikanischen Kirchen, waren diese den Anstürmen nicht gewachsen (Latourette 1953:255-258; Sanneh 2003:10-11, 18-19; 2005:208; 2007a; 2007b:1-2; Tippet 1975:14).
1.2 Frühgeschichte und Alte Kirche – die Anfänge
Die Frühgeschichte der Bibelübersetzung stand unter den Eindrücken,
- einer Verarbeitung oben beschriebener unterschiedlicher Literaturformen,
- teils brutalster lokaler Verfolgungen (Hauser 2007:86; z. B. im 3. Jh. n. Chr. unter Decius, Valerian oder Diokletian bei Latourette 1953:67, 178; Neill 1974:33) und
- gleichzeitiger, unfassbarer Expansion (Neill 1974:30; Sanneh 1992:21-22, 56).
1.2.1 Festigung von Kirchenstrukturen
Die junge Kirche unterlag zweierlei Spannungsfeldern. In ihrem Inneren die Ausformung eines eigenständigen autoritativen und literarischen Traditions- und Lehrkorpus (später das NT), der zu zahlreichen Spaltungen und Konzilsentscheidungen führte. Im Äußeren einerseits das Martyrium aufgrund lokaler Verfolgungen und andererseits gleichzeitiger Progression, welche sich in der Heranbildung kirchlicher und politischer Strukturen äußerte.
Bibelübersetzung trat im Gefolge unaufhaltsamer, kaum wahrnehmbarer Ausbreitung der Kirche, sozusagen im Rahmen unterstützender indigener Kontextualisierung in Erscheinung (z. B. armenische Kirche im 4. Jh. n. Chr. bei Sanneh 1992:67; Tucker 2007:343).
1.2.2 Bibelübersetzung in der frühen Kirche
Folgende missiologischen Hintergründe begleiteten die Bibelübersetzung:
- Sie wurde als göttlicher Auftrag im Rahmen der Missio Dei wahrgenommen. Bibelübersetzung galt als natürliche Fortentwicklung der Entäußerung, Herablassung und Menschwerdung des Jesus von Nazareth (inkarnatorische Kondeszenz und Kenosis; s. a. Lauche 2007:138-139; Nichols 1996:28; Tucker 2007:343; Shaw & Van Engen 2003:161; Sogaard 1993:11). Theologie, Übersetzung, Ethnologie und Linguistik verschmolzen in der Bibelübersetzung. Übersetzer bzw. Übersetzerteams deckten alle diese Disziplinen in Einem ab.
- Sie wirkte identitätsstiftend durch Abgrenzung. Christliche Expansion führte zu nationalen, ethnischen Kirchen (Mojola 2007:142-143; z. B. die Goten bei Schäferdiek 1978:87), die sich durch eigene Alphabete und literarische Formen auszeichneten (Latourette 1953:255, 257; Luzbetak 1993:90; s. a. Feldtkeller 2003:7). Sprachliche Adaptionen christlicher Schriften führten zu einheimischen Formen des Kirchenlebens und damit zur Selbstständigkeit und Stärkung. Kircheneigene Schriften dienten der Abgrenzung zur Umwelt und anderen Kirchen (Sanneh 1992:67; eigene Liturgie, Tradition, Katechumenat etc.). Sie ermöglichten die Ausbreitung der Kirche durch mittelbare und unmittelbare christliche Entwicklungshilfe, deren Auftrag darin verankert war (s. Pkt. 2.2.9.4, Schaubild 2). Indem das Neue Testament in den alten Kirchen oftmals das einzige schriftliche Dokument einer Ethnie darstellte (Nichols 1996:28), wurde Sprache zum Transmitter soziokultureller Adaption. Wo eine Kirche bestand, aber eine Bibelübersetzung fehlte, stellte sich Sektierertum, Abfall oder langfristig die Übernahme durch andere Religionen ein (z. B. punische Kirche durch den Islam bei Sanneh 1992:69; Lauche 2007:138).
- Bibelübersetzung ging kirchenbildenden Entwicklungen voraus oder trat als Folge derselben in Erscheinung. Sie war damit Wegbereiter und Legitimationsfaktor christlicher Ausformungen zugleich (Luzbetak 1993:90, 93, 95).
- Sie führte zu immer größer werdenden Zielgruppen (Latourette 1953:118). Während das Neue Testament dem Pfingstereignis mit einer „Massenbekehrung“ von 3.000 Menschen (Apg 2,41) die Familien- (z. B. Apg 10,2; 11,14; 16,34; u. a.; Regelfall) oder Individualbekehrung (z. B. Saulus Apg 9,5 oder der Kämmerer Apg 8,36; u. a.) entgegensetzt, entwickelten sich unter dem Einfluss einheimischer Bibelübersetzung teilweise Massenbewegungen. Solches kann im Fall der Armenier nachgewiesen werden, deren Bekehrung unter dem Wirken von Tiridates und Gregor dem Erleuchteten von oben nach unten erfolgte (Neill 1974:40; s. a. Dil 1975:196; Richter 2006:25; s. Appendix 1: Zielgruppen-Orientierung). Gleiches gilt auch für andere Völker wie Slawen, Sachsen (Schneider 1978:241-242), Ägypter/Kopten oder Goten (Latourette 1953:258). Hier wirkte Bibelübersetzung wie ein Katalysator, der einerseits Bildung bzw. Identität und andererseits Fortschritt und Macht versprach.
- Aufgrund der Abgrenzung zur profanen Übersetzung und dem Dolmetschen lag bereits in den Anfängen der Bibelübersetzung, die Ausformung zu eigenständigen literarischen und wissenschaftlichen Formen begründet, welche sich später zur Wissenschaft entwickelten (s. u.).
Diese anfänglichen missiologischen Trends wurden im Verlauf der historischen Etablierung von Bibelübersetzung verstärkt und durch zusätzliche Entwicklungen untermauert.
1.3 Mittelalter - Festigung biblischer Traditionen
Während des Mittelalters, worunter der Zeitraum vom 6. bis zum 15. Jh. n. Chr. zu verstehen ist (von Padberg 1998: Vorwort und 2003:8-9; Kahl 1978:11), hat sich die Kirche und damit ihre Übersetzungstradition gefestigt. Eigenständige Grundsätze des Bibelübersetzens, wie z. B. die wörtliche Tradition sakraler Texte, formten sich aus (Nichols 1996:28). Daneben bildete sich gegen Mitte und Ende des Mittelalters zunehmend ein von klerikalen Strukturen der Kirche losgelöstes „Laienübersetzertum“ heraus, welches den Bedarf regionaler Sprachen im europäischen Raum abzudecken versuchte (z. B. Waldenser und Täuferbewegung bei Audisio 2004:20; beginnender Pietismus bei Aland 1974:7-8, 11; Hargraves 1989:391; Oxbrow 2005:3-5).
1.3.1 Mittelalterliche Einflüsse auf die Bibelübersetzung
Das Christentum des Mittelalters war geprägt von Veränderungen, welche Bibelübersetzung wesentlich beeinflussten:
- Das allgemeine jüdische, griechische und römische Bildungsideal und Schulsystem der Antike verkümmerte im Verlauf des Früh-Mittelalters und wurde durch ein sakral orientiertes Klerus- und Laienbildungstum ersetzt (Roberts 1989:48-49). In Form der Kloster- und Mönchsbewegung übernahm die Kirche das mittelalterliche Bildungswesen und wurde dessen Trägerin (Kahl 1978:15-16), wodurch Bibelübersetzung eine Kirchenangelegenheit darstellte (Loewe 1989:152). Übersetzungstradition richtete sich nach den äußeren und inneren Strukturen der Kirche. Während die Westkirche die Vulgata von Jerome (390 n. Chr.) ohne jegliche Revisionsbemühungen (1979 erste Revision) in ihren liturgischen Bestand aufnahm und keine anderen liturgischen Übersetzungen duldete (Orlinsky & Bratcher 1991: xi, 15; Waard & Nida 1986:52; s. a. Loewe 1982:152; Smalley 1989:199-200),[2] traf man im Nahen Osten in der Auseinandersetzung mit dem Islam auf eine rege übersetzerische Tätigkeit der Christen, in deren Folge zahlreiche Revisionsübersetzungen entstanden (Lauche 2007:131). Bibelübersetzung bewegte sich im Mittelalter zwischen Stagnation und Fortschritt.
- Der Islam trat auf europäischem Boden als religiöse Größe seit dem 7. Jh. in Erscheinung. Vor dieser Zeit hatte sich die Kirche mehrheitlich mit innerkirchlichen Kontroversen (z. B. Konzilsentscheidungen, gnostische Ansätze, Marcion, Stellung zum Judentum etc.) auseinanderzusetzen. Nach dem Wegfall des äußeren Drucks durch Verfolgung (spätestens ab Kaiser Theodosius I; s. o.) entwickelte sie eine hierarchisch-politische Struktur, der sich der Islam als politische Größe entgegenstellte. Neben drohender politischen Machtübernahme durch den Islam, wie in Spanien (711-1050 n. Chr.; Kemnitz 2002:7-8), Malta und Sizilien (870-1091 n. Chr.) geschehen, entwickelte sich eine ernsthafte theologische Auseinandersetzung.[3] Diese fand ihren Höhepunkt in apologetischen (teils auch polemischen) Werken auf beiden Seiten (Schirrmacher 1992:12-13). Afrikanische, asiatische und nahöstliche Kirchen ordneten sich dem Islam durch eine Staatsbürgerschaft zweiter Klasse unter (Baumann 2005:13). Lokale Auflösungen von Kirchen durch Zwangs- oder freiwillige Bekehrung waren die Folge (:ebd.). So wird beispielsweise die Schwäche des Byzantinischen Reiches im 11. Jh. von einigen Beobachtern als Ursache der Konversion ganzer Volksschichten zum Islam gewertet, dem die vorhandenen liturgischen Bibelübersetzungen nichts entgegenzusetzen hatten (Pikkert 2008:19). Bibelübersetzung wurde daraufhin in der Auseinandersetzung mit dem Islam als strategisches Hilfsmittel entdeckt. Neben der Darstellung der Originalität biblischer im Gegensatz zu koranischen Texten (z. B. Erzählungen über Propheten; Tod und Passionsgeschichte Jesu; göttliche Trinität etc. bei Lauche 2007:131-139) entwickelte sich Verantwortungsbewusstsein für unerreichte Völker (z. B. nestorianische und katholische Entwicklungshilfe in Asien bei Reifler 2005:158; s. u.).
- Im Rahmen außerkirchlicher Bewegungen, namentlich im Schwärmertum des 12. bis 16. Jh. wurde die Bedeutung der Bibelübersetzung für regionale Dialekte und Sprachen neu erkannt und gefördert (Audisio 2004:10, 12, 21; Hargraves 1989:391). Um auf kirchliche Missstände hinzuweisen, benutzten Waldenser, Schwärmer und Täufer die Übersetzung der Bibel zum ersten Mal sowohl als Mittel zur Ausbreitung christlicher Botschaft (Evangelisationsmittel) als auch im Sinne eines machtpolitischen innerkirchlichen Instruments (Machtmittel). Text- und Formtreue sollte den Leser bzw. Hörer davon überzeugen, dass die Botschaft (die Bibel) aus sich heraus zur Wahrheit führt (Nord 2002:219), indem sie ihr eigenes evangelistisches Potential entfaltet (:254; Audisio 2004:21). Dies konnten diese Bewegungen nur in Abgrenzung zu staatlichen und kirchlichen Strukturen, die mit Verfolgung reagierten (Bosch 1991:246).
- Gegen Ende des Mittelalters entwickelte sich Bibelübersetzung zu einer teamorientierten Tätigkeit (z. B. Wycliffe-Übersetzung des 14. Jh. bei Robinson 2002:53-54 und Hargraves 1989:387; Lutherbibel des 16. Jh. bei Mühlen 1978:90-97, Nürnberg 1987:40, 49 und Ellingworth 2007:111). Darin sind die Anfänge wissenschaftlicher Betätigung in dieser Disziplin zu suchen, die sich bereits in ihren Anfängen als interkulturell und interdisziplinär erweist (zu Wycliffe und Luther s. o.; Brandl 2007:3-4).
1.3.2 Kirche und Übersetzung
Das Mittelalter war geprägt von kirchlichen Übersetzungen in viele europäische Sprachen und Dialekte. Dabei diente die Vulgata als Übersetzungsbasis, was auf die Monopolisierung des kirchlichen Lehramtes und dem Anspruch auf alleinige Auslegung der Bibel zurückzuführen ist (Waard & Nida 1986:52; Walls 2007). Diesem Monopol wirkten die vorreformatorischen Täufer und Schwärmer entgegen. Gleichzeitig entwickelte sich außerhalb des europäischen Raumes eine rege Übersetzungstätigkeit. Solches vor allem aufgrund der Bewegung der Nestorianer und einer geringfügig auf das Lehramt ausgerichteten orthodoxen Ostkirche, von der nur wenig bekannt ist (Bosch 1991:203; Gensichen 1976:6-7; Neill 1974:69-70; s. a. Antes 1988:51), da diese Kirchen aufgrund äußerer Einflüsse, namentlich der Islamisierung, politischer Verfolgung in Asien etc. verschwunden sind (Antes 1988:51; Hage 1978:362-364, 370-371; Latourette 1953:221; Markarian 2008:12-13; Miller 2002:39; Neill 1974:100, 110-11; Walls 2007). Regionale Übersetzungen beinhalteten sowohl wörtliche als auch kommunikative Elemente. Bibelübersetzer dieser Zeit standen im Spannungsfeld formtreuer Übertragung ihrer Bibeln und kommunikativer Vermittlung biblischer Inhalte im Rahmen von Übersetzungen.
1.3.3 Jüdisch-christliche Disputation seit der Scholastik
Dem „dunklen Mittelalter“ gar nicht entsprechend fand, beginnend mit der Scholastik vom 11. bis 13. Jh. eine intensive Auseinandersetzung (kirchlicher Disput) zwischen jüdischen und christlichen Gelehrten statt (Orlinsky & Bratcher 1991:23-26; s. a. Rosenthal 1989:253, 270-271). Bis heute hat die jüdische Exegese Rashis und Rashbams über den Franziskaner Nicholas von Lyra (13. Jh.) Einzug in die westliche Bibelübersetzung gehalten (:25, 26). Einflüsse jüdischer Bibelauslegung führen über Luther zu Tyndale. Verstärkung fand deren Wirken in Kommentaren und Schriftbeispielen durch Ibn Ezra und Kimhi, die beide in Europa, Nordafrika und dem Nahen Osten theologisch-rabbinische Auslegungen anboten (:26). Mit Maimonides traten philosophische und mystische Ansätze, auch der Kabbala, in die jüdische Exegese ein (Rosenthal 1989:274, 277). Westliche Bibelübersetzung wurde in dieser Zeit wesentlich an die Hebräische Bibel und jüdische Denkweise gebunden (z. B. das Institutum Judaicum der Franckeschen Stiftungen bei Sauer 2006:216).[4]
1.4 Reformation bis zur Aufklärung
Dieser Zeitraum deckt das 16. bis 19. Jh. ab. Der Reformation im 16. Jh., folgte Pietismus und Orthodoxie des darauf folgenden Jahrhunderts. Der Humanismus des 16. Jh. fand seine Fortsetzung in der Aufklärung des ausgehenden 18. und des 19. Jh. Das 19. Jh. mit seinen Schwerpunkten Kolonialismus, Industrialisierung und politische Neuordnung hat auf geistes- und naturwissenschaftlichem Gebiet die am weitest reichenden Veränderungen mit sich gebracht. Diese Entwicklungen waren durch den Expansionsdrang der Kirche und der Bibelübersetzung nicht nur zum Teil initiiert, sondern haben sie auch wesentlich geprägt, wodurch sich erstmalig strategische Strukturen im Rahmen christlicher Entwicklungshilfe ausbildeten.
1.4.1 Humanismus und Reformation
Das ausgehende Mittelalter mit der Wiederbelebung der alten Sprachen (Altphilologie), dem humanistischen Ideal und den Muttersprachen führte zur Reformation (Bouyer 1989:504-505; Nida 1964:14). Deren hauptsächliches Kennzeichen ist in muttersprachlichen Bibelübersetzungen zu suchen, die aufgrund der aufbrechenden massenorientierten Buchdruckkunst weite Verbreitung fanden (:16-17; McQuail 2007:26; Köster 1984:17). Kirchenumbrüchen lag die Wiederentdeckung biblischer Inhalte durch das einfache Volk zugrunde. Obwohl die Kirchenorganisation von oben nach unten vollzogen wurde, erhielt das Kirchenvolk mehr Mitbestimmungsrecht und klerikale Hürden wurden eingeschränkt. Aufgrund des neuen Bildungsideals und dem sozialen Engagement der Kirchenmitglieder bildete sich ein „Laienpriestertum“ heraus, welches sich leider nicht durchsetzen konnte und spätestens seit der Orthodoxie protestantisch klerikalen Strukturen weichen musste (Luther zit. in Nürnberg 1987:12-13; Bosch 1991:469). Dieses Laienpriestertum führte zu mannigfaltigen Übersetzungen in regionale Dialekte.
1.4.2 Aufbrüche der römisch-katholischen Kirche (Mönchtum)
Parallel zur protestantischen Reformation erfasste die römisch-katholische Kirche ein innerer Aufbruch. Dessen Vorläufer ist in einer Wiederentdeckung der Bibel im 12. Jh. angesiedelt. Ausgehend von Paris, wahrscheinlich in der Abtei Hugo St. Victor, drängte die Erforschung biblischer Inhalte vom Theologiestudium bis zur Kanzel (Smalley 1989:206, 212).
Während sich die europäische Kurie auf die Abgrenzung und Festigung ihrer Strukturen und Lehren gegenüber dem Protestantismus besann, trat die Welt außerhalb Europas in den Fokus der römisch-katholischen Kirche. Bedingt durch die Entdeckung ferner Kontinente wuchs das Bedürfnis dort einheimische Kirchenstrukturen aufzubauen (Latourette 1953: xx). Walls sieht in den Kreuzzügen des 11. - 14. Jh. Vorboten kolonialistischer Bestrebungen, die in der Entdeckerzeit des 15. - 16. Jh. ihren Höhepunkt finden. Beide Bewegungen fußten auf kirchlichen Initiativen und mündeten in den modernen Kolonialismus, der erst im 20 Jh. sein „offizielles“ Ende fand (2007).
Wie schon im Mittelalter taten sich die Bettel- und Mönchsorden (Augustiner seit dem 5. Jh.; Benediktiner seit dem 6. Jh.; Franziskaner und Dominikaner seit dem 13. Jh.; daneben Zisterzienser und Karmeliter) in diesem Bereich hervor (Leclercq 1989:190-191; Loewe 1989:152; Oxbrow 2005:4; Schirrmacher 1992:22). Die Stiftung des Franziskanerordens durch Franz von Assisi (1181/1182 - 1226 n. Chr.) stellt den Anfang der katholischen Tradition religiöser Frömmigkeit unter den Prämissen Armut und Hingabe dar. Daraus resultierte in der Gegenreformation der in der christlichen Entwicklungshilfe weltweit ausgerichtete Zweig des Jesuitenordens durch Ignatius von Loyola (16. Jh.). Dieser war eng mit Francisco Javier (1506–1552) befreundet, dem Begründer der christlichen Entwicklungshilfe im Fernen Osten befreundet. Der Jesuitenorden war dem Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche direkt unterstellt (Knauer zu Ignatius von Loyola in Brockhaus 2009 multimedial).
Mönchsorden brachten die besten Voraussetzungen für die Ausbreitung auf fernen Kontinenten mit sich. Bildung, finanzielle Unterstützung, innere Motivation zur Ausbreitung aufgrund christlicher Nächstenliebe und ihre breit gestreute Klosterstrukturen bildeten eine ideale Grundlage (Feldtkeller 2003:18-19; Neill 1974:92; Smalley 1989:200).
Die Anpassung an die Zielkultur erfolgte nach dem Prinzip der „Akkomodation“ (Bosch 1991:448; historische Beispiele bei Neill 1974:92, 100, 113-115), die in dieser Epoche auch von pietistischen Entwicklungshelfern angewendet wurde (Luzbetak 1993:96-97; s. u.). Bibelübersetzung, basierend auf dem Text der Vulgata, wurde ein beliebtes und notwendiges Hilfsmittel, um sich anvisierten Volksgruppen inhaltlich zu nähern. Neben dem Nahen Osten (arabische Übersetzung im Jahre 1591-1592 bei Lauche 2007:133-134), war es die Neue Welt, in der sich die römisch-katholische Kirche betätigte. Bartholomäus de Las Casas (*1474 - 1566), der Begleiter von Kolumbus und Kritiker der Zerstörung einheimischer Kulturen in den neu entdeckten Gebieten, ist hier genauso zu nennen wie die sogenannten „Reducciones“. Diese Anlagen bestanden aus selbstverantworteten Zentren der Einheimischen, die sowohl politisch-sozial als auch kirchlich agierten. Bildung, Kirche und Arbeit wurden dort miteinander verknüpft und führten zu einigen Bibelübersetzungen in die Indiosprachen (ausführlich Luzbetak 1953:93-95).
Aus diesen Aufbrüchen heraus „schritt Papst Gregor XV. um 1622 zur Tat und schuf die Heilige Kongregation für die Verbreitung des Glaubens, oft einfach unter dem Namen ‚Propaganda‘ bekannt (Neill 1974:122-123).“ Erklärtes Ziel war Strategien christlicher Entwicklungshilfe zu untersuchen und gezielt einzusetzen. Dazu wurden detaillierte Statistiken und Untersuchungen erstellt, um verbindliche Aussagen machen zu können, wie Mitarbeiter geschult werden können und wo sie einzusetzen waren (:123).
Nicht umsonst muss die Klosterbewegung des Mittelalters als Vorläufer des Jahrhunderts christlicher Entwicklungshilfe und Bibelübersetzung bezeichnet werden (Pierson 1999:262, 264; Sanneh 2003:102; Troeger 2005:35).
1.4.3 Bibelübersetzung in Asien
Auch in Asien waren Mönche aktiv. Bereits im 13. Jh. haben sich Franziskaner und Dominikaner und im 16. Jh. Jesuiten mit Bibelübersetzung z. B. ins Japanische und Chinesische beschäftigt (Feldtkeller 2003:18-19; Neill 1972:100, 111-115, 119-123) Fiedler & Schirrmacher 1998:12, 13a; Jenkins 2006:60; Walls 2007). Während die protestantische Bewegung christlicher Entwicklungshilfe als Laienbewegung anzusehen ist, war und bleibt katholische Entwicklungshilfe auch im Bereich der Bibelübersetzung eine Priesterbewegung (Luzbetak 1993:102). Kirchliche Vorgaben (s. o.) verpflichteten die katholische Wissenschaft der Bibelübersetzung bis heute auf das wörtliche Übersetzungsmodell (s. a. Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 2001).
1.4.4 Pietismus und Orthodoxie
Der Pietismus beginnt mit dem Erscheinen der „Pia Desideria“ von Philipp Jacob Spener zur Frankfurter Buchmesse im Jahre 1675 (Aland 1974:3). Der pietistische Aufbruch des 17. Jh. bewirkte neben der Förderung sozialer Projekte im Schul- und Bildungswesen (:7) auch eine Orientierung an christlicher Entwicklungshilfe in fernen Ländern (Walls 2005:214 und 2007; s. a. Nöh 1998:31, 37; Pierson 1999:264; Vicedom 2002a:124-125). Besonders hervorzuheben in dieser geschichtlichen Epoche ist die auffallende Tätigkeit im Bereich der Bibelübersetzung (Haacker 2006:37; Tucker hebt John Eliots Bibelübersetzung für die Algonquin-Indianer hervor 2007:343). So wurden z. B. mindestens zehn neue Übersetzungen des Neuen Testaments auf Deutsch allein von 1602 bis 1736 herausgegeben und befanden sich im Umlauf (Aland 1974:11).
Doch nicht nur im Bereich Übersetzung, sondern auch in Exegese und Textkritik konnten enorme Fortschritte verzeichnet werden. Im Jahre 1702 veröffentlicht John Fell das erste griechische NT, welches als textkritische Ausgabe auf mehr als 100 griechische als auch auf die koptische und gotische Vorlage zurückgriff (:19; Orlinsky & Bratcher 1991:49-50; so auch zu Alexander Campbell ebd.:56-57).
Der Übersetzungseifer an der Bibel in dieser Epoche übertrug sich in gleicher Weise auf die Sprachgruppen, denen die pietistischen Entwicklungshelfer in ihren Einsatzgebieten begegneten. Dabei standen ein möglichst ungehinderter Zugang der Interessierten und Gläubigen zu biblischen Inhalten in ihrer Muttersprache sowie die Ausbildung und Lehre einheimischer Mitarbeiter im kirchlichen, wie auch im sozialen Rahmen im Vordergrund (z. B. ausführlich Ziegenbalg bei Reifler 2005:177; Schwarz und Zinzendorf bei Luzbetak 1993:96-97).
1.4.5 Anfänge als missiologisch-theologische Disziplin
Die Wissenschaft der Bibelübersetzung entwickelte sich in dieser Zeit zu einer missiologisch-theologischen Disziplin. Dabei wurde Bibelübersetzung eine innere Kraft zugesprochen, die damit erklärt wurde, dass
"die Kirche das Evangelium nur deshalb verkündigt, weil es wahr ist; es ist nicht deshalb wahr, weil es durch die Kirche verkündigt wird. Das Evangelium rechtfertigt die Verkündigung, aber die Verkündigung rechtfertigt nicht das Evangelium, egal wie dieses in Erscheinung tritt (Sanneh 1992:112)."
Diese Einstellung findet sich schon bei Luther, wenn er die Auslegung der Schrift allein durch die Kirche ablehnt und der Schrift selbst „innere Klarheit“ (claritas interna) zubilligt (Luther zit. in Nürnberg 1987:7, 9).
Der Boden für eine strategische Ausrichtung der (Bibel-) Übersetzung im Rahmen christlicher Entwicklungshilfe war geebnet. Franckes Bemühungen führten zwar zur Gründung der pietistischen Cansteinschen Bibelanstalt, die Enormes im Bereich der Verbreitung leistete, jedoch entfaltete sich keine missiologische Blickrichtung für die Bibelübersetzung im Rahmen dieser Bibelorganisation (Köster 1984:99, 133; Smalley 1991:62). Die Erfahrungen des 16. und 17. Jh. in Bezug auf die Verbreitung der Bibel, führten im 19. Jh. zur Gründung nationaler Bibelgesellschaften. Das erklärte Ziel derselben bestand in der strategischen Verbreitung der Bibel an jeden Haushalt (Köster 1984:84 und Smalley 1991:72). Während dies im 17. Jh. aufgrund mangelnder Organisation nicht hinreichend erreicht werden konnte (Köster 1984:67, 99), konzentrierten sie sich im 19. Jh. allein auf dieses Ziel. An dessen Ende agierten sie bereits auf internationaler Ebene (z. B. die Britische und Amerikanische Bibelgesellschaft - BFBS/ABS -; ausführlich Richter 2006:52-62 und Smalley 1991:62-85).
1.4.6 Aufklärung
Die Aufklärung des 18. und 19. Jh. führte zu einem langsamen Prozess der Säkularisierung der aufgeklärten Völker. Ursache hierfür bildete die Säkularisation klerikaler Formen (Gogarten 1966:143-144 dort auch begriffliche Differenzierung). Religion wurde zur Privat- und Nebensache erklärt (Rommen 2003:23, 66; Küng 1990:20). Kant formuliert folgendermaßen: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit (Kant zit. in Rendtorff 1991:57).“ Naturwissenschaft und Medizin verabschiedeten sich von jedem religiösen Einfluss (Küng 1990:19-20).[5] Gleichzeitig wurden Menschenrechte und damit verbunden die Religionsfreiheit Grundlage für die weltweite Verbreitung religiöser - auch christlicher - Inhalte (Feldtkeller 2003:18). Anfänge der späteren Trennung einer Wissenschaft zur Bibelübersetzung und der Übersetzung liegen in dieser Phase.
1.5 Jahrhundert der Bibelübersetzung
Das Jahrhundert der Bibelübersetzung (Smalley 1991:22-31; Meurer 1978:10; Sanneh 2007a) wurde maßgeblich von nordamerikanischer und europäischer Seite vorbereitet (Walls 2006:226). Es kann nicht losgelöst, sondern muss im Rahmen einer gesamtheitlichen Entfaltung christlicher Entwicklungshilfe und Übersetzung überhaupt betrachtet werden. Sein Beginn ist in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts anzusiedeln und dauert bis heute an.
1.5.1 Systematisierung durch Organisation
Ursprünge der Entfaltung von Neuübersetzungen sind in einem stetig anwachsenden Interesse an christlicher Entwicklungshilfe im 19. Jh. zu suchen, die sich in Gründungen von Bibelgesellschaften und interdenominationalen Organisationen ausdrückten (Richter 2006:51-52; ausführlich Smalley 1991:62ff.; z. B. für die Türkei bei Zürcher 2004:56). Im Jahr 1804 fing die „British and Foreign Bible Society“ erstmals mit der systematischen Verteilung von Bibeln an. Im 20. Jh. entwickelte sich neben der Verbreitung der Bibel im eigenen kulturellen Kontext (Europa und Nordamerika) zudem die Idee, die Bibel weltweit allen Völkern zur Verfügung zu stellen (Miller 2002:24-26). Hierbei spielten die Texte aus Offb 5,9 und 7,9-10 eine wesentliche Rolle.
Dieses Jahrhundert war geprägt von einer Systematisierung christlicher Entwicklungshilfe mittels internationaler Konferenzen. Einleitend mit Careys Aufruf und Einladung zu einem internationalen Treffen christlicher Entwicklungshelfer im Jahre 1806, kam es spätestens mit der Konferenz in New York im Jahre 1852 zu einem Durchbruch dieser Institution (Feldtkeller 2003:18-19; Fiedler & Schirrmacher 1998:83-84; Luzbetak 1993:98; Smalley 1991:43, 45, 47; Walls 2005:53-54). Dabei gerieten vor allem Asien, Afrika sowie der Nahe und Mittlere Osten ins Blickfeld der Entwicklungshelfer.
Die Ausbildung zur christlichen Entwicklungshilfe verlagerte sich weg von der universitären theologischen Ausbildung hin zu speziellen Seminaren (Sauer 2006:185, 187). Diese Entwicklung galt auch für die Bibelübersetzung. Einerseits entwickelte sie sich dadurch zur selbständigen Wissenschaft, andererseits verlor sie dadurch den Anschluss an die missiologisch-theologische Ausbildung.
1.5.2 Lingua Franca und Nationalsprache
Die größte Herausforderung dieser Zeit lag in der Bewältigung sprachlicher Hürden. Hegemonialen Prinzipien damaliger kolonialistischer Machtansprüche entsprechend tendierten auch Entwicklungshelfer dazu, den Zugang über die Muttersprache zu unterschätzen (Walls 2005:228-231; Smalley 1991:32, 245-247). Überwiegende Stoßrichtung damaliger Strategien bestand in der Einführung klassischer Bildungsideale in der Sprache der Entwicklungshelfer, welcher sich die Zielgruppen anzunähern hatten (Blincoe 1998:110; Livingstone 1993:39-40; Nida 1990:173; McGavran 1968:3; Pikkert 2008:25-27, 40-41; o. V. 2008. Peter Pikkert on The Great Experiment; Vander Werff 1977:108. Diese, auf die Sprache der christlichen Entwicklungshelfer konzentrierte Tätigkeit, führte einerseits zu einer Internationalisierung des Englischen als Weltsprache (lingua franca), aufgrund der oben genannten Dominanz anglophoner Mitarbeiter (endgültig mit der Konferenz christlicher Entwicklungshelfer in Edinburgh 1910 bei Walls 2005:62). Auf der anderen Seite bewirkte dieser Zugang eine Konzentration auf medizinischem und bildungsorientiertem Gebiet (Pikkert 2008:101; Richter 2006:62-63, 65). Typischer Ausdruck dieser Entwicklung waren die durch Carey eingeführten Missionsstationen (Luzbetak 1993:98). Sie waren jedoch, wie sich im Verlaufe der Geschichte herausstellte, einem kontextualisierten oder indigenen Zugang hinderlich, weil sie Einheimische aus ihrer Kultur entfremdeten und nur wenigen Angesprochenen die Möglichkeit boten, die christliche Botschaft in vollem Umfang zu erfassen (:ebd.; ausführlich McGavran 1968:30, 59, 65, 105; Tippett 1967:25).
Im Bereich der Bibelübersetzung blieben die Bibelorganisationen traditionellen Übersetzungen verpflichtet und setzten ihre Schwerpunkte auf eine kostengünstige und breit angelegte Verteilung von Bibeln oder Bibelteilen in den Handels- oder Nationalsprachen ihrer Zielgebiete (Effektivitätsdenken). Übersetzung fand nur im Rahmen sehr großer Sprachgruppen statt oder es wurden nationale Organisationen gefördert, welche sich darin betätigten (z. B. Türkische Übersetzung, s. Werner [2010]).
1.5.3 Akkomodation
Das von römisch-katholischer Seite eingeführte Prinzip der Akkomodation (s. o.; Jenkins 2006:56-57) fand nur selten Anklang in dieser modernen Bewegung. Wenige Ausnahmen wie Hudson Taylor (Taylor 1999; ausführlich Franz 1998), Rufus Anderson (Pikkert 2008:29; Luzbetak 1993:98, 100), Temple Gairdner (Pikkert 2008:94, 110; Reimer 2006a:8; Terry 1996:171) oder William Carey (Walls 2006:211; Tucker 2007:343) setzten Maßstäbe im Bereich eines kontextualisierten Zugangs zur Zielgruppe. Für diese ernteten sie zum Teil heftig Kritik (Walls 2005:238-240, 251), doch besaßen sie lange Zeit Vorbildcharakter bzw. wurden idealisiert.
Christliche Entwicklungshilfe lässt sich auf fünf Zugänge zur Zielgruppe reduzieren: Kontextuell (Kontextualisierung), konfrontativ (apologetisch), traditionell evangelikal (christozentrisch; z. B. Samuel Zwemer (Pikkert 2008:109-110; Livingstone 1993:48), institutionell (durch soziale Einrichtungen) und dialogisch (Hansum 2008:89). Terry hat zwar zehn Zugänge, jedoch lassen sich diese meiner Meinung nach auf die oben beschriebenen fünf reduzieren (1996:168-177).
1.5.4 Ökumene
Internationale Konferenzen führten innerhalb der theologisch unterschiedlich gelagerten Kirchen zu dem Wunsch, sich für die christliche Entwicklungshilfe zu vereinigen und ihre Kräfte zu bündeln (Sauer 2006:196). Hieraus gründete sich die universale Ausrichtung christlicher Entwicklungshilfe im Rahmen einer gesamtkirchlichen Bewegung, die als „Ökumene“ bekannt wurde (Bosch 1991:301-302). John Raleigh Mott darf als Baumeister der Ökumene gelten (Feldtkeller 2003:19; Reifler 2005:242, 244, 263-264, 268, 270).
Auf dem Gebiet der Bibelübersetzung führte dieser Gedanke zur Gründung von SIL (1942) und UBS (1946), die sich dem Prinzip überkonfessioneller Zusammenarbeit verpflichtet sehen. Ein Umdenken der römisch-katholischen Kirche fand mit dem II. Vatikanischen Konzil statt. Nun sollten im Rahmen der liturgischen Verwendung Landessprachen offiziell erlaubt sein und gleichzeitig erfolgte der Aufruf zum Gebrauch und dem Lesen der Bibel (1962). Die Tore zur Zusammenarbeit zwischen den UBS und der World Catholic Federation for the Biblical Apostolate waren aufgetan (1968). In der Bibelübersetzung resultierte daraus ein ökumenisches Miteinander (Spindler zit. in Miller 2002:26; Betz 1998:3-4; s. a. Steiner 1966:127; s. a. Escobar 1990:88-89 und Smalley 1991:30).
Kritische Stimmen zur Ökumene bemängeln weiterhin die einseitige Ausrichtung auf den neutralen Bereich sozialer Projekte bzw. der Diakonie, um theologische Unstimmigkeiten zu meiden (Kasdorf 1976:89, 92; Baumann 2007b:113, 127; Brandl 2002:20; Vicedom 2002a:121).
Ökumenische Bestrebungen dieser Zeit verhalfen dem jüdisch-christlichen Dialog zu neuen Aufbrüchen. In der westlichen Welt zollte man der Bedeutung der Septuaginta als jüdischem Produkt und den jüdisch-christlichen Disputationen der Scholastik neue Aufmerksamkeit. Es kam zu jüdisch-orientierten Übersetzungen in fast alle größeren europäischen Sprachen (Orlinsky & Bratcher 1991:124). Die Hebräische Bibel fand dadurch in Exegese und Übersetzung erneute Aufwertung.
1.5.5 Bibelübersetzung, Linguistik und Ethnologie
Zur Überwindung sprachlicher Hürden entdeckte man Linguistik und Ethnologie als hilfreiche Hilfsdisziplinen. Beide Fachbereiche etablierten sich fest im Rahmen christlicher Entwicklungshilfe (Bruggen 1985:37-38). Der mit William Carey eingeführte, aufstrebende Zweig der Bibelübersetzung (Smalley 1991:43, 45; Tucker 2007:343) bot die Plattform zur Integration dieser Hilfsdisziplinen. In der gegenseitigen Einflechtung dieser drei Disziplinen liegt die Tatsache begründet, dass bis heute Wechselwirkungen untereinander festzustellen sind.
1.5.6 Wissenschaft der Bibelübersetzung
Das 20. Jh. wurde im Gegensatz zum 19. Jh. in welchem die Verbreitung der Bibel Priorität hatte, zum Jahrhundert der „Wissenschaft zur Bibelübersetzung“ (zu Inhalt und Begriff). Im Kern dieser Entwicklung standen, die
- Verknüpfung wissenschaftlicher Disziplinen in der Bibelübersetzung (s. o.). Dies führte zu Revisionsübersetzungen aller Art. Im englischsprachigen Raum gab es mindestens vier solcher Revisionen (New International Version, New American Standard Bible, New King James Version, New World Translation bei Orlinsky & Bratcher 1991:208, 217; 279). Gleiches lässt sich auch im deutschsprachigen Raum mit geringer zeitlicher Verzögerung feststellen (z. B. Revisionen der LÜ 1975 und 1984, EÜ, GNB, Revidierte Elb, HfA etc.).
- Konzentrierung auf unerreichte Völker, die für christliche Entwicklungshilfe als Zielgruppen in Betracht kamen (z. B. Türken Zürcher 2004: 2004:56). Missiologisch orientierte Einrichtungen entwickelten Strategien und Modelle, um solche mit christlichen Inhalten zu erreichen (z. B. Fuller Seminar/Pasadena, Institut für Missiologie und Religionswissenschaft/Fribourg etc.). Sprache und Kultur dieser Zielgruppen traten dabei in den Mittelpunkt der Erforschung. Kontextualisierung löste die Akkomodation ab und der Muttersprachler trat in den Vordergrund (zur Kritik der aus Akkomodation resultierenden Kulturreligion s. Vicedom 2002a:121).
- Die Stellung des christlichen Entwicklungshelfers wandelte sich vom Übersetzer zum Ausbilder bzw. Leiter von Projekten. Als Vorreiter dieser Bewegung kann Maurice Leenhardt angesehen werden, der unter den Kanaken Neukaledoniens lebte und mit Hilfe „partizipierender Beobachtung“ eine Übersetzung leitete (Smalley 1991:53-56, 239).
- Wiederentdeckung und Entwicklung von Kommunikationsmodellen auf den Gebieten der Informationstechnik und anderen wissenschaftlichen Disziplinen, namentlich der (Neuro-) Linguistik, den Sozialwissenschaften sowie den Wissenschaften zur Kommunikation und Übersetzung. Die Bibelübersetzung erweist sich hierbei als Katalysator solcher Modelle aufgrund ihres globalen Auftretens und der damit einhergehenden Anwendung.
- Internationalisierung und zunehmende Interdisziplinarität wissenschaftlicher Fachgebiete und Institutionen im Rahmen der Globalisierung (Kapteina 2002:13; allgemein Wilss 1984:21 dort besonders für Übersetzung :22). Westliche Dominanz weicht wachsender östlicher Präsenz im Rahmen christlicher Entwicklungshilfe (Park 2002:55-56, 60), wobei diese sich überwiegend auf das 10/40 Fenster konzentriert (Reifler 2005:30; Wiher 1995:1-3).
Der Zweig der Bibelübersetzung erweist sich in dieser Epoche als fruchtbares Hilfsmittel missiologischer Bestrebungen, da mit ihr Zielgruppen angesprochen sind, die bis dahin außerhalb des Fokus christlicher Entwicklungshilfe standen (Miller 2002:27). Von daher hat Bibelübersetzung wesentlichen Anteil am Sendungsauftrag „alle Völker der Welt zu erreichen“ (Mt 28,19-20).
1.6 Zusammenfassung
Neben zahlreichen historischen Rückblicken erscheint die Geschichte der Bibelübersetzung eher als Rarität. Bestehende Werke beziehen sich zwar auf Produktion und Hintergründe der Entstehung einer Bibelübersetzung, dagegen mangelt es an Darstellungen der Bibelübersetzung als Institution und Wissenschaft.
Die Geschichte der Bibelübersetzung macht deutlich, dass die Christenheit bis heute ihr Mandat zur Bibelübersetzung (s. Appendix 1) aus dem Vorbild ihres Namensgebers ableitet (Apg 11,26). Inkarnation, Kondeszenz und Kenosis der göttlichen Person wurde ihr zum Maßstab für die Übertragung biblischer Inhalte. Ihr Blick fiel dabei auf Völker und Personen, mit denen die Christenheit seit ihrer Gründung an Pfingsten konfrontiert war (Apg 2,9-10) und welche die griechischen Niederschriften, der apostolischen Beiträge wie auch der Hebräischen Bibel nicht verstanden.
Die apostolischen oder in der Autorität der Apostel durch Mitarbeiter derselben verfassten Schriften wurden bereits seit dem 1. Jh. als Einheit gedeutet und in einem Kanon zusammengefasst. Dabei gaben der christozentrische Kontext und die apostolische Autorität, in Abgrenzung zu deuterokanonischen oder pseudepigraphischen Werken, im protestantischen Raum besser bekannt als Apokryphen, den Maßstab der Auswahl vor. In dieser Phase entdeckte man die Bibelübersetzung als grundlegenden Zugang - über die Muttersprache - in die Herzen der Menschen, systematisierte ihn jedoch nicht. Unbewusst wurde in diesem Prozess das Inkarnationsprinzip auf Bibelübersetzung übertragen.
Im Mittelalter setzte sich diese Entwicklung fort, jedoch wurde Bildung und Lehre vernachlässigt, weshalb auch die Bedeutung der Bibelübersetzung als Werk der Schriftkundigen in den Hintergrund trat oder der gebildeten klerikalen Oberschicht vorbehalten war. Einzig Mönchtum und Klosterbewegung als international agierende Institutionen setzten die Verbreitung biblischer Inhalte im kirchlichen Rahmen und in nicht-christianisierten Gebieten fort. Hierbei lässt sich die Tendenz zur Bibelübersetzung als strategischem Mittel feststellen. In der Geschichte beobachtbar haben sich dort, wo muttersprachliche Bibelübersetzungen entstanden, auch indigene Formen des Christentums herausgebildet. Nur zur Blütezeit der Scholastik im 12. Jh. widmete sich die gesamte Westkirche im Besonderen der Bibel.
Noch einmal in der Vorphase der Reformation (14. Jh.) und endgültig mit deren Durchbruch trat die Bedeutung der Bibelübersetzung erneut ins Blickfeld der Kirche. Im Rahmen des Pietismus und dem Aufbrechen christlicher Entwicklungshilfe formten sich außerkirchliche Ausbildungsseminare, die sich exegetisch-philologisch mit den alten Sprachen der Bibel und fremden Kulturen auseinandersetzen. In diese Zeit fällt die Gründung von Bibelgesellschaften (BFBS/ABS), deren Ziel damals wie auch heute in der Verbreitung der Bibel in möglichst viele Sprachen besteht.
In der Zeit der Aufklärung vereinigten sich Ost- und Westkirche für eine universal angelegte Strategie der Verbreitung biblischer Inhalte. Hintergrund dieser Entwicklung ist in einer Neuorientierung der Westkirche zu suchen. Während in der asiatischen Welt bis dahin die nestorianische Kirche auch im Bereich der Bibelübersetzung tätig war, orientierte sich die Westkirche erst jetzt auf dieses strategische Hilfsmittel.
Die Vereinigung westlicher und östlicher Kräfte in der christlichen Entwicklungshilfe wurde durch Einzelpersonen wie Carey, Taylor, Anderson u. a. gefördert. Im Jahrhundert der Bibelübersetzung konnte im Rahmen ökumenischer Bestrebungen der Grundstein für eine zukünftige globale übersetzerische Abdeckung aller Sprachen gelegt werden. Mittels internationaler Konferenzen sowie international agierenden Gesellschaften im Bereich der Bibelübersetzung formulierte man das Ziel, die Bibel, Bibelteile oder den Zugang zu biblischen Inhalten allen Völkern in der Muttersprache zu ermöglichen. Wiederum formierten sich nur langsam Institutionen und wissenschaftliche Disziplinen, die zur Umsetzung dieses Zieles notwendig waren.
Erst in diesem Jahrhundert christlicher Entwicklungshilfe und Bibelübersetzung entfalteten sich globale Strategien und Modelle zur Umsetzung dieses Ziels. Von Seiten der Wissenschaft lieferten neue Erkenntnisse zur Kommunikation und Übersetzung expansive Modelle um der Bibelübersetzung zu ihrer wissenschaftlichen disziplinären Ausrichtung zu verhelfen. Im Zentrum dieser Entwicklung stand das Zielpublikum, dem die Bibel verständlich gemacht werden sollte. Hieraus resultierte innerhalb kürzester Zeit eine breit gestreute Verbreitung biblischer Inhalte, die wiederum kirchengründend oder -stärkend wahrgenommen wurde. Wissenschaft der Bibelübersetzung wurde damit zum Brückenkopf der Missiologie. Sie bündelt die Kräfte der Ethnologie und Linguistik und eröffnet den Dialog mit den Wissenschaften zur Kommunikation und Übersetzung.
Nachdem geschichtliche Zusammenhänge der Bibelübersetzung deutlich geworden sind, stellt sich die Frage, welche expliziten oder impliziten Elemente ihren Auftrag bzw. ihr Mandat begründen.
2. Ausbildungsrelevante Modelle
Auf sprachwissenschaftlicher Seite lagen bereits seit den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts alternative Modelle und Konzeptvorschläge der Übersetzung vor. Diese umfassen,
- die funktionale Diskurs-orientierte Grammatik, fortentwickelt durch Halliday (1975; 1985),
- das funktionale Übersetzungsmodell nach Nord (1997; 2001; 2003),
- die Skopos-Theorie von Reiß & Vermeer (1984),
- der Kultur-Ansatz nach Katan (1999),
- das Modell der Massenkommunikation von Maletzke (1978) und McQuail (2005),
- der interkulturelle Kommunikations-Ansatz von Neuliep (2006),
- die Fortentwicklung des Äquivalenz-Modells (Nida 1964 und Nida & Taber 1969) nach Larson (1984), Beekman (1974) und Waard & Nida (1986),
- die wörtlichen Übersetzungsmodelle von Nabokov (1964), Turner (2001) und Forrest (2003), sowie die buchstäblichen (sprach-) philosophischen Ansätze (begründet u. a. von Derrida, Benjamin, Wittgenstein),
- die literarischen Modelle von Jin (2003) und Wendland (2003; 2006),
- sowie der relevanztheoretische Ansatz von Gutt (1991; 2000), welcher auf der Relevanz-Theorie (RT) von Sperber & Wilson (1986) basiert.[1]
Diese Modelle führen teilweise zu grundsätzlich anderen Ansätzen der Übersetzung als dies im Kode-Modell der Fall war. Dies führt zwangsläufig zu einer anderen Praxis der Übersetzung. Der Einfluss dieser neuen oder fortentwickelten Modelle blieb allerdings gering. Das bedeutet, die theoretischen und übersetzungstechnischen Grundlagen ausbildender Institute zu hinterfragen. Auf einem Treffen von Ausbildern in der Übersetzung im Jahre 1999 wurde deutlich, dass in der gegenwärtigen Ausbildung und Praxis zur Bibelübersetzung lediglich das von Nida & Taber und später von Waard & Nida vorgeschlagene Kommunikations- und Übersetzungsmodell eine Rolle spielt (Wilt 2003a: ix).
2.1 Übersetzungsintention – Revisions- oder Neuübersetzung
Übersetzungs-Intentionen haben grundlegende Funktionen in der Wissenschaft der Übersetzung (Grundlage bildet die Lasswell-Formel ). Die Einteilung in Revisions- und Neuübersetzungen, wie es in der neueren Literatur getan wird, erweist sich dabei als hilfreich (Aland 1974:11; Smalley 1991:107; Haacker 2006:36). [1]
Während Revisionsübersetzungen auf eine lange Übersetzungstradition – hauptsächlich in Europa und dem englischsprachigen Raum – zurückblicken können, beinhaltet der Begriff Neuübersetzung Erstübersetzungen unter isolierten, sprich unerforschten oder mündlich tradierenden Volksgruppen[2] (Willebrands 1987 Nr. 2.1). Revisionsübersetzungen beinhalten moderne und neue Grundsätze der Übersetzung (Beispiele in Orlinsky & Bratcher 1991:145, 150, 207, 279). Sie greifen auf mehrere vorhandene Bibelübersetzungen verschiedener Traditionen in der Zielsprache zurück (:279).
Haacker beschreibt das Spannungsfeld, welches sich aus der Unterscheidung von Übersetzungen auf diese Art und Weise ergibt (s. Appendix 1). Es mangelt seiner Meinung nach an einer deutlichen Unterscheidung dieser Traditionen innerhalb der im deutschsprachigen Raum teilweise heftig und kontrovers geführten Diskussion (2006:36). Seine Einteilung in reformatorische und missionarische Bibelübersetzungen geht von der Intention/Motivation der Übersetzungstätigkeit aus (:ebd.). Auswirkungen zeigen sich nicht nur in der Orientierung auf die Zielgruppe (s. o.), sondern auch im Falle von Revisionen in ihrer sprachlichen und theologischen „Verpflichtung gegenüber der Wirkungsgeschichte“ der zugrundeliegenden Ausgangstexte (:ebd; auch Vries 2007:275-276[3]). Dies wird besonders an der Kritik zur Luther-Revision 1975 deutlich in welcher Neuerungen zugunsten traditioneller Muster kritisiert wurden (Hennig 1979:260-272) und die Weihnachtsgeschichte und das Lob der Liebe Ablehnung fand. Solches führte zur Wiedereinführung von Begrifflichkeiten, die schon in der Revision von 1912 benutzt wurden (Lutherbibel 1984: Vorwort). Haacker betrachtet eine Revision, als ein Gebilde, das „zwischen Wissenschaft und Kunst“ anzusiedeln sei. Dies ergäbe sich aus dem Anspruch der westlichen Welt, sich zu ihrer Fertigung Sprachexperten, Theologen, Missiologen und unterschiedlicher Testpersonen zu bedienen (2004:211).
In Bezug auf Neuübersetzungen liegt die Intention in der „Hinwendung zu den Menschen der Gegenwart in ihrer Sprachwelt“ (Haacker 2006:36).[4] Zusammengefasst bedeutet dies, dass eine Revision sich einem bereits vorhandenen Publikum verpflichtet weiß, während die Neuübersetzung eine Zielgruppe anvisiert, deren Reaktion nicht voraussagbar ist sondern zur Annahme oder Ablehnung führen kann.[5]
Im Gegensatz zur Wissenschaft der Kommunikation, die schwerpunktmäßig den Akt der Kommunikation untersucht, beschäftigt sich die Wissenschaft zur Übersetzung mit der „Übersetzung aus einem Sprachraum in den anderen“, aus „einer Kultur in die andere“ (Carrithers 1992:22-23, Artikel: „Anthropologie“). Sie beschäftigt sich mit dem Gegenstand/Produkt der Übersetzung (Text), dem Vorgang/Prozess des Übersetzens, der Funktion von Übersetzung, der Sonderform des Dolmetschens, dem Übersetzer und als Spezialisierung ihres Fachbereiches mit Bibelübersetzung (Holmes zit. in Toury 1995:11, 21; s. a. Wilss 1982:58; s. Pkt. 2.2.9.3). Weshalb auf diese Bereiche nachfolgend einzugehen ist.
Es handelt sich um einen sehr jungen Wissenschaftszweig (Meurer 1978:8). Dies rührt unter anderem daher, dass „Übersetzung“ nicht als Wissenschaft betrachtet wird oder wurde (Baker 2006:2-4; s. a. Steiner 2004:129; Svejcer zit. in Wilss 1982:52).[1] 1972 benutzt Holmes den Begriff Translation Studies auf einer Konferenz in Kopenhagen (Holmes 1972:67). Er fasst auf diese Weise die bis dahin gängigen Begriffe, science of translating (Nida 1964), science of translation (z. B. Wilss 1982:114) oder translatology (Goffin zit. in Holmes 1994:69) in einem neuen Begriff zusammen (ausführlich bei Hermans 1999:30; Arduini 2007:185; Toury 1995:9-14).[2] Er ist es auch, der eine Struktur für diesen wissenschaftlichen Zweig entwickelt und sie in einen praktischen (descriptiv) und theoretischen Teil gliedert (Holmes zit. in Toury 1995:11-21, dort auch eigene Weiterentwicklung von Toury). Diese Einteilung hat sich inzwischen durchgesetzt.
Koller beschreibt die Wissenschaft zur Übersetzung als ein Kollektivphänomen. Er beurteilt sie als „alle, sich mit Übersetzen und Übersetzung beschäftigenden Forschungstätigkeiten (Koller zit. in Holmes 1994:10-11; auch Mojola & Wendland 2003:11).“[3] Es geht nach Kollers Definition nicht um Kommunikationsvorgänge per se, sondern um konkrete Vorgänge insbesondere beim „Übersetzen“ und der „Übersetzung“. Eine nähere Beleuchtung dieser Begriffe soll dies verdeutlichen.
Gegenwärtig wird die Wissenschaft der Übersetzung und das Dolmetschen der „Angewandten Sprachwissenschaft“ und dort der „Pragmatik“ zugeordnet (Reiß & Vermeer 1991:1).
3. Übersetzung und Übersetzen
Die Begriffe „Übersetzung“ und „Übersetzen“ werden teilweise missverständlich, da synonym, verwendet. In dieser These wird die Meinung vertreten, dass es sich um unterschiedliche Inhalte handelt, aufgrund dessen es angebracht ist, sie einzeln zu untersuchen.
Es ist zu unterscheiden zwischen dem Gegenstand, dem Produkt[4] und der Tätigkeit[5] (s. o.) wie dies im linguistischen Ansatz zum Ausdruck gebracht wird (Holmes zit. in Toury 1995:9-12). Die Heraustrennung dieser drei Faktoren als „beschreibender Zweig“ (Descriptive Translation Studies) der Wissenschaft zur Übersetzung ermöglichte eine praxisorientierte Auseinandersetzung (:ebd.).
Ein Problem besteht in der qualitativen Beurteilung einer Übersetzung. Sieht man von der Computerübersetzung ab, scheinen einheitliche Kriterien nicht möglich. Pym schlägt deshalb die Unterscheidung in binäre und nichtbinäre Fehler zur Bewertung von Übersetzung vor. „Richtig-falsch Beurteilungen“ fielen dabei unter erstgenannte, während „quantitativ zu beschreibende“ Fehler als letztgenannte zu bewerten wären (zit. in Kußmaul 2007:66). Dem Problem der Qualitätssicherung hat sich Nord in ihrem funktionalen Ansatz genähert.
Wird Übersetzung, in Übereinstimmung mit anderen Forschern, als Prozess der Annäherung verstanden, dann kann es niemals vollständige Übereinstimmung zwischen Original und Translat geben (Tirkkonen-Condit 1997:78; Steiner 2004:319; Kußmaul 2007:61). Zusätzlich muss das „Axiom der Übersetzbarkeit“ (Humboldt zit. in Berger & Nord 1999:19; Newmark 1988a:6; Chafe 2003:1) erfüllt sein, denn es ist Voraussetzung der Wissenschaft zur Übersetzung und basiert auf der Annahme, dass in jeder Sprache alles was gemeint werden kann auch auszudrücken möglich sei. Das bedeutet, dass sich alle Inhalte mittels Sprache übertragen lassen. Auch wenn in diesem Axiom die sprachlichen Faktoren im Vordergrund stehen und in bestimmten - sehr seltenen - Fällen die Übersetzbarkeit hinterfragt werden kann (z. B. Gutt 1991:94-99), dient es als Arbeitsgrundlage.[6]
3.1 Ethnologische Annäherung
Aus ethnologischer[7] Sicht wird unter „Übersetzung“ ein beschreibender Vorgang verstanden, dessen Ziel es ist „das Fremde vertraut zu machen“ (Carrithers 1992:22). Hierzu gehört das Interpretieren fremder Kulturelemente in die eigene Kultur hinein. Der dabei stattfindende interkulturelle Übertragungsvorgang dient dem Verständnis des Fremden in und mittels Kultur und Sprache. Eine rückbezügliche Wirkung auf den übersetzten, fremden Kulturkreis kann beobachtet, jedoch nicht vorausgesetzt werden (Toury 1995:166).[8]
3.2 Linguistische Annäherung
Das Verständnis von Übersetzung aus linguistischer Sicht spiegelt eine Bandbreite wider, welche ein „Wechselspiel zwischen wörtlicher Übersetzung und unbegrenzter Freiheit (Jin 2003:33)“ umfasst. Jin drückt damit aus, dass Übersetzung sowohl ein mechanisches als auch intuitives Handeln darstellt.[1] Hatim & Munday sehen dies ähnlich und wollen „Übersetzung“ in keine Richtung einschränken (2004:224). Einschränkungen würden Vorgang und Produkt auf eine bestimmte Richtung festlegen, was dem tatsächlichen Inhalt der Begrifflichkeit abträglich wäre. Es gibt auch die Möglichkeit der „Unübersetzbarkeit“ bestimmter Texte, da ihre Form nicht in geeignetem Maße in die Zielsprache transferierbar ist. Diese geben dem Inhalt Vorrang vor der Form, da der umgekehrte Weg zur „pedantischen Form des wörtlichen Übersetzens“ führen würde (:14). Auch kommunikative Gründe können die Übersetzung verhindern (Gutt 1991:94-99).
Holmes grenzt drei Funktionen ein, die in der Literatur auftauchen, aber teils ungenügend unterschieden werden:
- den Vorgang. Was geschieht beim „Übersetzen“ des Quelltextses?[2]
- das Produkt. Die Analyse des Zieltextses steht im Mittelpunkt (Bell 1991:13).
- die Funktion. Wie wirkt der Zieltext in einem bestimmten Kontext (Holmes zit. in Hatim & Munday 2004:3-4, 222, 224; Toury 1995:26-27; ähnlich Reiß & Vermeer 1991:2)?[3]
Diese Dreiteilung hat Folgen in Bezug auf eine weitere Frage, nämlich, ob es sich bei „Übersetzung“ um eine „Literaturgattung“ (genre) handelt oder sich „Übersetzung“ als Gegenstand dieser Tätigkeit mit genre beschäftigt. Das Produkt des Übersetzungsvorganges stellt eine Literaturgattung (Broschüre, Bibeltext, Prosa, Poesie etc.) dar, gleichzeitig ist der Übersetzer aber in seiner Interpretationsfreiheit Erzeuger von Literaturgattungen (Hatim 2001:140-147).[4] Das bedeutet, dass „Übersetzung“ sowohl das Produkt genre erzeugt als auch die Funktion eines genre übernimmt.
Neben diese Überlegungen tritt Wilts Definition, die aufgrund ihrer Treffsicherheit als Referenzpunkt auf der Suche nach einer umfassenden Beschreibung für Übersetzung dienen soll: „Übersetzung ist der Versuch, in einer Sprache einen Text herzustellen, der in einer anderen Sprache (oder anderen Sprachen) produziert wurde (2003:233).“[5]
3.3 Kognitive Annäherung
Ähnlich dem Ansatz von Fabbro zu Kommunikation und Sprache, bietet Bells Zugang zur Übersetzung eine kognitive Modellbeschreibung für das „Übersetzen“. Dieses ist seiner Meinung nach,
- Bestandteil des menschlichen Informationsprozesses,
- dort angesiedelt im psychologischen Bereich,
- durch Kodierungseinrichtungen in der Quell- und Zielsprache, die eine nichtsprachliche semantische Abbildung zulassen, verankert im Kurzzeit- und Langzeitspeicher der Gehirntätigkeit,
- ein Prozess, der in mehrstufigen und interaktiven Operationen abläuft, wobei diese nicht abgeschlossen sein müssen, bevor die nächste Analyse oder Synthese stattfindet (Bell 1991:229).
Bell umschreibt hier den Vorgang des Übersetzens, doch bleibt bei ihm eine Unterscheidung in Produkt und Funktion unerwähnt.
In der kognitiven Linguistik wird betont, dass der Übersetzer nicht „Wörter, sondern Bedeutungen übersetzt (Kußmaul 2007:24).“ Richtiges Verständnis von „Übersetzen“ beinhaltet neben dem Verstehen der Wörter (semantische Ebene) auch die Erfassung des Textes im Gesamtzusammenhang und der Übertragung dessen Sinnes in die Zielsprache (pragmatische Ebene) (zum Verhältnis von Pragmatik und Semantik s. Grice).
3.4 Funktionale Annäherung und verstandene Fremdheit
Die funktionalen Ansätze aus der Übersetzungskritik haben spezielle Aspekte der Übersetzung im Fokus. Reiß, deren Definition die Grundlage der sog. Skopos-Theorie bildet, versteht unter Übersetzung,
„die zielsprachliche Version eines Ausgangstextes, deren vornehmstes Bestreben es ist, den Originaltext nach Maßgabe des Texttyps, seiner innersprachlichen Instruktionen und der darin wirksam werdenden außersprachlichen Determinanten in der Zielsprache wiederzugeben (Reiß 1971:91).“
Ähnlich sieht dies auch Nord. Sie folgt Reiß und definiert „Übersetzung“ als kommunikative Handlung, die Sprach- und Kulturgrenzen überschreitet (s. Gutts dritter Zugang) (Nord 2003:31). Es handelt sich um die „Produktion eines funktionsgerechten Zieltextes in einer, je nach der angestrebten oder geforderten Funktion des Zieltextes (Translatskopos) unterschiedlich spezifizierten Anbindung an einen vorhandenen Ausgangstext (Nord 2003:31)“. Nord siedelt Übersetzung im Handeln zwischen Bewahrung und Veränderung an. Zunehmende bewahrende Betätigung bewirke abnehmende Veränderung in der Übersetzung und umgekehrt (2003:33).
Burgess plädiert in seinem Artikel „gegen die rücksichtslose Einforderung allgemeiner Verständlichkeit und für die Bewahrung der Fremdheit“. Damit will er dass sakrale Verständnis insbesondere heiliger Texte bewahren (Thiede 1993:3). Der Begriff „(heilsame) Fremdheit“, wird auch von anderen Kritikern kommunikativer Übersetzung aufgegriffen (Wick 2004:14 und 2007; Felber 2006:2; Berger & Nord 1999:22-23). Anstelle von Fremdheit wird im gleichen Sinne die „Andersartigkeit“ (otherness) der Bibel betont (Nichols 1996: ii; gegen religiöse Fachsprache oder Verfremdung u. a. Nida & Taber 1969:108).
3.5 Drei Hauptrichtungen - Versuch einer Klassifizierung
Gutt arbeitet drei Definitionslinien der „Übersetzung“ heraus. Zum einen gehe man einfach von der Tatsache der Existenz eines solchen Vorganges aus, „ohne den Versuch zu unternehmen, diesen in systematischer Weise zu definieren (Gutt 2000:5).“ Zum anderen habe man durch Ab- und Eingrenzungen der Inhalte eine unübersichtliche Vielzahl von Definitionen geschaffen. Zuletzt argumentiere man mit einem pauschalen „kulturellen Zugang“[6], dessen These laute, „Übersetzung ist das, was eine Kultur daraus macht (:ebd.; so z. B. Bascom 2003:81; Katan 1999:86; Lovill 1988:1)“. Alle drei Zugänge greifen nach Gutts Meinung zu kurz.
Beim ersten zeigt sich der Mangel einer „wissenschaftlichen Grundlage“ der Übersetzung. Dazu zählt die von ihm als unzureichend erklärte Arbeitshypothese dynamischen Äquivalenz-Modells), wie dies z. B. von Larson und Dil vertreten wird. Larson definiert das Ziel des Übersetzers, also „Übersetzung“, als Herstellung eines
„auf die Sprache des Empfängers bezogenen Textes (eine Übersetzung), der idiomatisch ist; also ein Text, der die gleiche Bedeutung wie der Quelltext hat, aber auf natürliche Form in der Empfängersprache ausgedrückt ist. Die Bedeutung, nicht die Form wird dabei bewahrt (Larson 1984:16).“ [7]
Sie und Dil beschreiben das Produkt der Übersetzung in Anlehnung an Nida, jedoch nicht den Vorgang und die Funktion der Übersetzung (Dil 1975:33).
Der zweite grenzt Übersetzung über die Maßen ein, indem „er eine Norm impliziert und definiert und dadurch alle Phänomene, welche die Kriterien dieser Definition nicht erfüllen, ausschließt (Gutt 2000:5).“ Der dritte Zugang unterschlägt die interkulturellen Voraussetzungen der Übersetzung, indem er sich einseitig auf kulturelle Vermutungen stützt (Gutt 2000:4-7; Kritik an Nida bei Gutt 2000:5).
3.6 Übersetzen
Es konnte bis hierhin aufgezeigt werden, dass in der Wissenschaft zur Übersetzung nicht deutlich genug zwischen Vorgang, Produkt und Funktion unterschieden wird. Curricula der Universitäten weisen auf diese Trennung hin. „Übersetzungswissenschaft“ wird entweder als Bestandteil anderer Fachbereiche (Linguistik, Germanistik, Anglizistik etc.) oder als eigenständige Fachdisziplin, mit wenig Annäherung an andere Disziplinen, gelehrt. Dies beginnt schon im normalen Schulalltag, wo nach dem Motto „so (ge)treu wie möglich, so frei wie nötig (Berger & Nord 1999:18)“, übersetzt wird. Der Intuition des Übersetzenden werden keine Kriterien der Übersetzung, außer der Wiedergabe wörtlicher Sinneinheiten, zur Überprüfung des gelernten Vokabulars und der grammatikalischen Form, mitgeliefert. Hier tritt die Form vor den Inhalt, was hinterfragbar erscheint, da das inhaltliche Verständnis des Quelltextes, nach Meinung vieler Übersetzungswissenschaftler, zu kurz kommt (:18). „Übersetzen“ wird als Handlung und Wirkung verstanden.
Während die bis jetzt untersuchten Definitionen die „Übersetzung“, also das Produkt im Blick hatten, kommt Snell-Hornby vom Begriff des „Übersetzens“ her. Sie differenziert in „literarisches Übersetzen“ und „weltliches Fachübersetzen“. Entwicklungen in diesen Bereichen führen dazu, dass der Begriff „übersetzen“ unterschiedlich verstanden wird (1986:11-12).[8]
„Semiotische Einheiten“ werden unter „unterschiedlichen äquivalenten Bedingungen mit semiotischen Kodes … in andere verwandelt“. Die Bedingungen werden vom „pragmatischen Handeln und allgemeinen kommunikativen Voraussetzungen“ bestimmt (Hatim & Mason 1990:105; s. a. Nida 1964 und Greenberg 1968). Hatim & Mason untersuchen „übersetzen“ unter dem Gesichtspunkt des Diskurses, also textanalytischen Schwerpunkten. Dieses Verständnis des „Übersetzens“ zielt auf Äquivalenz des Ausgangs- (AT) mit dem Zieltext (ZT). Diskurstechnische Mittel bilden dabei das Hilfswerkzeug. Solch ein semantischer oder semiotischer Zugang offenbart Erkenntnisse über den Prozess, nicht aber die Funktion des „Übersetzens“.
Gutts einleitend erwähnte Kritik scheint berechtigt. Das Verständnis von Übersetzung als „kommunikativem Akt“ wird in diesen Definitionen aufgegriffen, dennoch nicht abschließend geklärt. Bevor eine endgültige Zusammenfassung möglich ist, soll eine Sonderform des Übersetzens, das Dolmetschen, beleuchtet werden, um Impulse für das Verständnis aus dieser Fachrichtung aufzunehmen.
3.6.1 Übersetzen versus Dolmetschen
In der Wissenschaft zur Kommunikation und Übersetzung wird auf die Trennung von „Dolmetschen“[9] und „Übersetzen“ hingewiesen (Snell & Hornby 1998:37; Wilss 1992:125; Nida 2001:9; Haacker 1993:26-27; Berger & Nord 1999:18 berufen sich auf Schleiermacher 1813:47; Reiß & Vermeer 1991:8, 11). Gleichzeitig gibt es eine Betonung der Gemeinsamkeiten, die meiner Meinung nach überwiegen und in die Betrachtung einbezogen werden müssen.
Fabbro betont, dass es sich beim Dolmetschen um den „komplexesten Vorgang mehrsprachiger Personen“ handelt. Bei gleichzeitigem Hören von Inhalten in einer Quellsprache übersetzt der Dolmetscher diese in eine Zielsprache. Er nennt dies „gleichzeitiges Interpretieren“ (Fabbro 1999:202) und unterscheidet in passive und aktive Interpretation (:203).[10] Das simultane Übersetzen unterliegt seiner Meinung nach „semantischen“ oder „wortwörtlichen“ Prinzipien“, vergleichbar den Prinzipien der schriftlichen Übersetzungsmethoden (:204; s. o.). Fabbro zeigt hier an, dass die wortwörtliche Methode nicht die natürliche Form des Dolmetschens darstellt. Während sich das simultane Übersetzen auf kurze, meist auf der Satzebene angelegte Inhalte bezieht, schätzen professionelle Übersetzer große Texteinheiten. Diese Art des Übersetzens nennt Fabbro „fortlaufendes Übersetzen“ (consecutive translation). Hierzu bedient sich der Übersetzer ganzer Texteinheiten, macht sich Notizen und versucht dann den bis zu 10 min langen Textinhalt wiederzugeben (:204).[11]
Der wesentliche Unterschied liegt, im Unterschied zum Übersetzen, im Zeitmangel beim Dolmetschen (Snell-Hornby 1998:37). Es wird auch als „Sonderfall der Übersetzung“ beschrieben (Nord 2003:7). „Zur gleichen Zeit und am gleichen Ort kommunizieren sie über das gleiche Medium, … einen funktional gleich determinierten Text“, jedoch ist der kulturelle Hintergrund von „Ausgangstextrezipient, Translator und Zieltextrezipient“ unterschiedlich (Nord 2003:7). Wie im Bereich der Übersetzung spielt der interkulturelle Zugang (s. Gutt) zwischen Redner und Interpret eine wesentliche Rolle.
Das Berufsbild des „Dolmetschers“ begrenzt sich auf „mündliche Texte“ (Schmitt 1998:1-2; zum Begriff oral). Erfüllung seines Zwecks, insbesondere schnelles Auffassen und Wiedergeben des Inhaltes, tritt beim Dolmetschen in den Vordergrund (:1-2).
Diesen Unterschieden steht die gemeinsame Basis von „Dolmetschen“ und „Übersetzen“ gegenüber. Bei beiden wird der spezifisch soziokulturelle Hintergrund des Quell- und Zieltextes übertragen. Dies geschieht durch einen Übersetzer, der seinem eigenen spezifischen soziokulturellen Hintergrund unterliegt (Nida 1990:53 und 2001:9). Deshalb scheint die formale Trennung in zwei Disziplinen eher theoretischer als praktischer Art.
3.6.2 Zusammenfassung
Die Untersuchung des Begriffes „Übersetzung“ führt zu folgender Definition:
- Im Falle der Bibelübersetzung stützt sie sich auf das Vorbild der Menschwerdung, Herablassung und Entäußerung Jesu.
- Übersetzung umschreibt sowohl einen interkulturellen Vorgang, das Produkt als auch eine Funktion (Begegnung mind. zweier Kulturkreise), die durchaus machtpolitische Züge tragen kann (Kolonialismus).
- Sie befasst sich mit verschiedenen Literaturgattungen und bringt solche hervor.
- Als kognitiver Prozess wird sie durch die Verknüpfung unterschiedlicher Speichersysteme im Gehirn und der Übertragung von semiotischen Zeichen aus einem System in ein anderes System realisiert.
- In Abgrenzung zum Dolmetschen hat sie die bewahrende Funktion von Texten im Fokus und benötigt hierfür entsprechende Zeiträume.
Kurz gesagt stellt das Ziel des „Übersetzens“ die „Übersetzung“ dar. Diese „Übersetzung“ umfasst die systematische Erarbeitung eines Textinhaltes und dessen Transfer in ein anderes Sprach-/Kommunikationssystem ohne wertvolle Inhalte zu verlieren. Der Übersetzer ist dabei der Ausführende.
Kapitel 1
[1] Die Bandbreite des „intuitiven“ (freien) zum „automatischen“ (wörtlichen) Übersetzen wird an Will’s und den auf dem Kode-Modell beruhenden Übersetzungstheorien deutlich, die dessen antithetische Vorstellung vom „neugeborenen Text in der Übersetzung“ nicht stehen lassen können, da im Kodierungsverfahren strenge Regeln gelten (Gentzler 2001:29).
[2] Bei der Übersetzung geht es nicht um die „Übertragung von einer Sprachgestalt in eine andere Sprachgestalt“, sondern um die Identifizierung des „außersprachlich Gemeinten“, welches in „die Gestaltung der Zielsprache“ transferiert wird (Coseriu 2007:129).
[3] Solche Unterscheidung ergibt sich aus dem allgemeinen Sprachgebrauch und den gängigen Definitionen in der Literatur. Sie sehen in der Computerübersetzung die Ablösung des Übersetzungsprozesses, als einem bis dato mechanischen Produkt mittels maschineller Vorgänge (Hatim & Munday 2004:3-4). Bell schlägt deshalb vor den Begriff translation für den Prozess und den Begriff a translation für das Produkt zu verwenden (Bell 1991:13). Ob diese Lösung im anglophonen Raum sinnvoll ist kann hier nicht beurteilt werden. Im deutschen Sprachraum konnte sich dieser Vorschlag nicht durchsetzen.
[4] Die Elberfelder Bibel stellte in ihrer Gattung ein neues Medium dar. Der biblische Text auf Grundlage der textkritischen Grundtexte (Greek New Testament von Aland; Biblia Hebraica Stuttgartensia) wurde auf höchstmöglichem fromtreuen Niveau ins Deutsche übersetzt und dargeboten. Im Bereich des Dolmetschens oder der Übersetzung handelte es sich um einen neuartigen Zugang (Baumgartner 2001:58; Revidierte Elberfelder Bibel 1989: v-vi, Vorwort). Die Lutherbibel ist hier als Anfangspunkt religiös erbaulicher Literatur zu werten. Die Übersetzungstätigkeit der Waldenser im 16. Jh. n. Chr. stellt eine Konsequenz dieser Bewegung dar. Ihre Heiligenbiographien, Erbauungsliteratur und die Übersetzung von Bibelteilen in Dialekte des Deutschen und Französischen sind Vorboten Luthers (Audisio 2004:18).
[5] Im Orig.: … translation is the attempt to represent in one language a text produced in another language (or in other languages) (Wilt 2003c:233). Wilts Definition umschreibt den Inhalt des Vorganges, des Produktes und der Funktion von Übersetzung.
[6] So auch Snell-Hornby, die dem Begriff „Gestalt, als ganzheitlichem, übersummativem Gefüge“ im Text den Vorrang gibt und die Bedingtheit der Situation innerhalb eines „kulturellen Rahmens“ besonders hervorhebt (1986:13). Sie beruft sich dabei auf Hönig & Kußmaul, die einen Text als „verbalisierten Teil einer Soziokultur“ deuten (1982:58).
[7] Im Orig.: … receptor language text (a translation) which is idiomatic; that is, one which has the same meaning as the source language but is expressed in the natural form of the receptor language. The meaning, not the form [Hervorhebungen i. Orig. E.W.], is retained (Larson 1984:16). Ihr Modell der Übersetzung beinhaltet: Translation, then, consists of studying the lexicon, grammatical structure, communication situation, and cultural context of the source language text, analyzing it in order to determine its meaning, and then reconstructing this same meaning using the lexicon and grammatical structure which are appropriate in the RECEPTOR LANGUAGE and its cultural context (:ebd.). {„Übersetzung besteht aus dem Studium des Lexikons, der grammatikalischen Struktur, der Kommunikationssituation und dem kulturellen Kontext des Quellsprachentextes. Hierzu gehört die Analyse um dessen Bedeutung zu erfassen und dann dieselbe Bedeutung in der EMPFÄNGERSPRACHE wieder herzustellen, indem deren entsprechendes Lexikon und grammatische Struktur ebenso wie deren kultureller Kontext, benutzt wird.“}.
[8] Snell-Hornby beschreibt die Gefahr dieser Zweiteilung. Die Vermischung beider Begrifflichkeit, also dem „literarischen“ und dem „weltlichen“ Übersetzen, stelle ein Verwirrspiel der Fachdisziplinen dar. Zusammengefasst: „… einerseits das „literarische“ Übersetzen - Domäne der Künstler, Dichter und Bibelübersetzer – andererseits das stets als minderwertig angesehene ‚weltliche’ Übersetzen, heute ‚Fachübersetzen’ genannt. Mit der Entstehung der modernen Übersetzungswissenschaft bzw. translation studies ist nun aus der jahrtausendealten Tätigkeit eine neue Disziplin geworden: die Trennung ist damit keineswegs überwunden, sondern eher verschärft. Einerseits hat sich mit der deutschen Übersetzungswissenschaft ein Fach entwickelt, das als Teilbereich der Angewandten Linguistik definiert wurde; das literarische Übersetzen wird als Sonderform des Übersetzens ausgeklammert und bleibt grundsätzlich Domäne der Literaturwissenschaft. Andererseits hat sich v. a. in den Niederlanden ein Fach entwickelt, das als translation studies bekannt geworden ist und als Teilbereich der Vergleichenden Literaturwissenschaft definiert wurde. Von der jeweils anderen Seite wird allzu wenig Notiz genommen: alle sprechen vom Übersetzen, meinen aber nicht denselben Gegenstand (1986:11-12).“
[9] Aus dem ungarischen Stamm „tolmács“ (über das osmanisch-türk. tilmac) abgeleiteter Stamm des mittelhochdeutschen „tolmetsche“. Ursprüngliche Bedeutung war „Mittelsmann zur Verständigung zweier Parteien“ (Duden 1963:114).
[10] Von Gleichzeitigkeit kann nicht ausgegangen werden, da auch bei komplex bilingualen Personen, also solchen die zweisprachig aufwuchsen, eine denkerische Lücke von einigen Sekunden zwischen Textverstehen und Sprechen besteht. Die Länge dieser Phase hängt unter anderem von der Komplexität (Länge, Satzstruktur, Inhalt) des zu übersetzenden Textes oder Textteiles (Satz, Wort, Sinneinheit) ab. Es konnte aufgezeigt werden, dass nur ganze Sätze als Gegenstand der Interpretation in Frage kommen (Fabbro 1990:202). Passiv bedeutet in diesem Fall von der angeeigneten Zweitsprache in die Muttersprache, aktiv stellt die umgekehrte Vorgehensweise dar. Untersuchungen zeigten, dass es einfacher ist, aus der schlechter beherrschten Sprache in die besser beherrschte Sprache zu übersetzen als umgekehrt (:203).
[11] Im Orig.: During simultaneous interpretation interpreters use strategies of analysis and reproduction of the message into another language that may range between a "semantic translation" and a "word-for-word translation" (rather superficial). {„Während simultaner Auslegung benutzen Ausleger für die Übersetzung der Botschaft in eine andere Sprache Prinzipien, die von semantischer Übersetzung bis zu wortwörtlicher Übersetzung reichen (eher künstlich) (:204).“}.
Kapitel 1.2
[1] Zur Kritik an ideologischen Grundlagen einiger Theoretiker der Wissenschaft des Übersetzens (z. B. Wilss, Nida, Chomsky, Neubert) wurde angeführt, dass deren religiöser oder abstrakter Ansatz nicht geeignet bzw. hinterfragbar sei (Gentzler 2001:54, 64; s. a. Modelldarstellungen bei Gutt 2000; Hill 2006).
[2] Die Begriffe können unterschieden werden in: „Übersetzungswissenschaft“; „Wissenschaft des Übersetzens“; „Wissenschaft der Übersetzung“; „Übersetzbarkeit.“ [Aufzählung folgt dem Original. E.W.].
[3] Im Orig.: … collective and inclusive designation for all research activities taking the phenomena of translating and translation as their basis or focus (Koller zit. in Holmes 1994:10-11). Kollers Definition wird in breitem Konsens angenommen, weshalb sich diese als Arbeitshypothese anbietet. Kritisch hierzu äußern sich Vertreter eines relevanztheoretischen Ansatzes, die Kollers Definition verwerfen (s. Pkt. 2.2.6.3).
[4] Erkennbar ist dies an der Feststellung, dass das Produkt „Übersetzung niemals besser sein kann, als das ihm zugrunde liegende Original (Nida 1982:329)“. Die qualitative Annäherung und damit einhergehend auch eine Veränderung des Produktes (Translat) haben ihre Ursachen in effektiveren Methoden der Wissenschaft zur Übersetzung (Nord 2003).
[5] Der Übersetzungsauftrag bestimmt im Wesentlichen die Tätigkeit. Außerhalb der Bibelübersetzung führt dies gegenwärtig zur Übersetzung überwiegend „technischer Inhalte oder Texte“ (Schmitt 1990:97-106). 75 Prozent der Texte umfasst diese Entwicklung, welcher die Beschäftigung mit Übersetzung Rechnung zu tragen und sich auf diesen Auftrag ausrichten hat (Stolze 1999:15). Die Übersetzungsstrategie wiederum stellt ein Bindeglied zwischen „Auftrag“ und „Übersetzen“ dar. Sie bestimmt die inneren Prozesse der Übersetzung (:225-226). Als wissenschaftlicher Prozess wird „Übersetzung“ auch zur Methodik ihrer selbst, da sie den Möglichkeiten des Sprachausdrucks einen Rahmen bietet (Schulte & Biguenet 1992:9).
[6] Chafe hat mit dem „Übersetzungs-Paradox“ (Translation Paradox) auf die Schwierigkeit hingewiesen, wie kulturbedingte Denkstrukturen, welche Sprache organisieren in Sprachen mit anderen kulturellen Denkstrukturen übertragen werden können. Er und andere sprechen sich positiv dazu aus (Chafe 2003:1-3; Nida 1991c; Watzlawick, Beavin & Jackson 1993).
[7] Im anglophonen Sprachraum hat sich der Begriff „Anthropologie“ (anthropology) durchgesetzt. Im europäisch-frankophonen Sprachraum bestehen „Ethnologie“ und „Anthropologie“ nebeneinander (Kaschuba 2003:9-13, Einleitung). Im deutschsprachigen Raum löst der Begriff „Ethnologie“ die Begriffe „Volks- und Völkerkunde“ inzwischen ab. Im Zuge der „Europaisierung“ formt sich die „Europäische Ethnologie“ heraus, womit der frankophone und der anglophone europäische Sprachraum abgedeckt ist (:9-11, 21). In einzelnen Fachbereichen (z. B der europäischen Theologie) setzt sich jedoch der Begriff „Anthropologie“ durch (Langemeyer; Müller; Pannenberg; Schnelle; Wolff 1984 und Scheffcyk 2001:9-28 (s. a. Diskussion bei Käser 1998:11-15). Innerhalb der Sprachräume gibt es eine unterschiedliche Aufteilung der Fachgebiete (für den anglophonen Bereich bei Ember & Ember 1993:2; für den europäisch-frankophonen Bereich bei Thiel 1992:9-11).
[8] Dieses Verlangen zieht sich durch die gesamte Menschheitsgeschichte und wird besonders an den Eroberern und Entdeckern der Weltgeschichte deutlich (Alexander d. Große, Marco Polo etc.). Im dyadisch-dynamischen Modell der Kommunikation für Bibelübersetzung wird dieser Rückbezug aufgezeigt (Werner 2006:89). Ein solcher lässt sich nicht für für literarische Übersetzungen nachweisen, wenn z. B. ein arabischer Roman in den westlichen Kontext übersetzt wird, da dies keinen oder kaum Einfluss auf die arabische Welt hat.
Kapitel 2
1] Pattemore hat sich gründlich mit der Entwicklung und dem Einfluss der Modelle in UBS und SIL auseinandergesetzt. Sein Artikel belegt die hier vertretene These, dass neuen Entwicklungen nicht genügend Raum in der Ausbildung gegeben wurde und wird (2007:228-230, 262-263 und 2009. Asia Pacific).
[1] Die Begrifflichkeiten sind protestantischem Verständnis entnommen. In der röm.-kath. Kirche werden Schriften, die zwar in der Septuaginta vorkommen aber nicht im Hebräischen Kanon, als „deuterokanonisch” beschrieben (z. B. Tobit, Judith, Makkabäer etc. bei Sutcliffe 1989:92). Diese zählen im protestantischen Raum zu den „Apokryphen“. Für die röm.-kath. Kirche sind „Apokryphen” demgegenüber Bücher, die niemals in den Kanon aufgenommen wurden, welche wiederum im protestantischen Sinne als „Pseudepigraphen” bezeichnet werden (Willebrands 1987).
[2] Es gibt unterschiedliche Ansichten zu einem kirchlichen Bibelübersetzungsverbot in europäische Sprachen. So sehen einige Wissenschaftler in der Vulgata lediglich ein machtpolitisches Instrument, weshalb lokale Übersetzungen denkbar und möglich waren (z. B. in England bei Hargraves 1989:391; in Italien bei Foster 1989:465; Spanien bei Morreale 1989:490-491).
[3] Von islamischer Seite z. B. durch Mawardi (9. Jh. bei Tröger 2005:39) und Abd al-Jabbar/Teheran. Während Erstgenannter heute noch geltende Ordnungen für jüdische Menschen und Christen im Herrschaftsbereich des Islam festlegte (:39), kritisiert der Andere die Praxis der Übersetzung im Allgemeinen. Er setzt sie in den Gegensatz zur koranischen Direktoffenbarung, da in ihr eine Annäherung an heidnische und vom göttlichen Gebot abweichende Praktiken von seiten der Christen stattfindet. Natürlicherweise würden solche beim Übersetzen in den Text eingetragen (Sanneh 1992:219). Christliche Apologetiker hingegen fixierten sich auf Ungereimtheiten koranischer Textüberlieferung oder Inhalte des Koran, die mit biblischen Aussagen kollidieren (stellvertretend bei Gilchrist 2002:26-29, 47, 78-79, 128-129).
[4] Im Rahmen demographischer Verschiebungen des Christentums im 21. Jh. ist zu beachten, dass die Kirchen Südamerikas, Asiens und Afrikas solche jüdischen Bezugnahmen, bzw. das „Erbe“ der Schuld nicht aufweisen (Jenkins 2006:279). Folglich werden theologisch, hermeneutisch und exegetisch in Zukunft mehr kritische Stimmen zu jüdisch-theologischen Inhalten und zu Israel hörbar (:ebd.).
[5] Wenige Wissenschaftler, wie der Physiker und Mathematiker Günter Howe, wollen den Graben zwischen Naturwissenschaft und Theologie überwinden (Clicqué 2001:7, 17, 71). Die neu entfachte Diskussion um Evolution und Kreation verdeutlicht dies (s. Dawkins 2007; Schmidt-Salomon 2005; u. a.).
Kapitel 3
[1] Der Begriff Neuübersetzung wurde bis zum Ende des 20. Jh. allgemein auf jede Übersetzung angewandt. Dabei wurde die Lutherbibel ausgenommen, da man hier von Revisionen sprach. Fuchs unterscheidet noch zwischen Revision und Neuübersetzung, „wenn die Luther-Übersetzung revidiert wird, dann eben keine andere als diese; es erfolgt keine Neuübersetzung, wie etwa die ‚Gute Nachricht‛ sie hervorbringt, wo solche Rücksichten mit Recht nicht nötig sind (Fuchs 1984:100).“ Erst in jüngster Zeit entwickelt sich die Überzeugung, dass „Neuübersetzung“ nur im Falle einer Erst-Übersetzung für eine Sprache zutrifft. Aland benutzt ihn für pietistische Bibelübersetzungen des 17. - 19. Jh. (Aland 1974:11). (Eine abschließende Auflistung aller pietistischen Übersetzungen des 18. Jh. findet sich bei Richter 2007. Bibelübersetzungen chronologisch nach ihrer Entstehung).
[2] Die aus dem anglophonen Sprachbereich kommende Bezeichnung oral (lat. für „mit dem Mund“, „mündlich“), wird in dieser Arbeit als mündlich tradierend wiedergegeben, wenn es sich auf die Bezeichnung einer schriftlosen Kultur bezieht. Die Übernahme des Begriffes „orale Kultur“ in den deutschsprachigen Raum scheint mir wegen der sexistisch vorbelegten semantischen Kontexts des Adjektivs „oral“ unglücklich (Werner 2006:5; Brockhaus multimedial: Eintrag oral; die Übersetzung „mündlich“ wird auch vorgeschlagen bei Muret-Sanders 4.0 2004: Eintrag 1 zu oral).
[3] Nida & Taber orientieren sich an der Hörerschaft und unterscheiden in Übersetzungsprojekte mit und ohne „langer literarischer Tradition“. Darunter verstehen sie Situationen, in denen die Bibel „entweder noch nicht übersetzt wurde oder noch nicht in einer so festen Form erstarrt ist, dass dem Überarbeiter daraus ernstliche Probleme erwachsen könnten (1969:29).“ Im Falle einer langen literarischen Tradition befürworten sie eine „Kirchenübersetzung“, einer Übersetzung in „die heutige literarische Sprache“ und einer in die „Umgangssprache“. Falls solch eine Tradition nicht vorhanden wäre, soll man „für gewöhnlich die mündliche Form der Sprache, wie sie bei Amtshandlungen benutzt wird“ wählen (:29). Vries unterscheidet in missionarische und liturgische Bibelübersetzung und geht von deren Bedeutung für die indigene Kirche aus. Gemeindegründung bedarf seiner Ansicht nach eines Werkzeuges zur Verbreitung der christlichen Botschaft, während Gemeindefestigung eines liturgischen Textes bedarf (2007:275-276).
[4] „Beide Motivationen, reformatorische und missionarische, wirken sich auf Theorie und Praxis der Bibelübersetzung aus. Sie überschneiden sich im Bereich der Volksmission oder Neuevangelisation in ehemals christianisierten Ländern. Sie haben Gemeinsamkeiten, können aber auch in Spannung zueinander treten. Das scheint mir im heutigen deutschen Sprachraum der Fall zu sein. Reformation bedeutet Neuorientierung am Maßstab des Ursprungs und damit Verpflichtung auf den Überschuss der Urtexte gegenüber der Wirkungsgeschichte. Mission bedeutet Hinwendung zu den Menschen der Gegenwart in ihrer Sprachwelt. Das will in der Praxis der Bibelübersetzung gegeneinander abgewogen sein (Haacker 2006:36).“
[5] Die Tatsache, dass verschriftete Bibeltexte nicht von der Zielgruppe angenommen werden, ist eine große Herausforderung der modernen Wissenschaft zur Bibelübersetzung. Hauptgründe hierfür dürften mangelndes Selbstwertgefühl, religiöse Ablehnung, mangelnde Alphabetisierung oder ein hoher Grad an Bilingualität der Zielgruppe sein (Sanneh 2003:106; Wilckens 2007:151).
Schaubild zur Übersicht der Übersetzungswissenschaft:
/sites/all/files/uploads/History%20of%20Translation%20Theory%20-%20Timeline.pdf