Bibelübersetzung und Disability Studies

werner [at] forschungsstiftung.de

Bibelübersetzung und Disability Studies, wie hängt das zusammen? Auf den ersten Blick scheint „Behinderung“ in der Bibel im Rahmen eines Diskurses abzulaufen, der sich ausschliesslich mittels der Lebenswelten der Nicht-Behinderten reflektiert. Die Lebenswelten von Menschen mjit und ohne Behinderung treten im biblischen Text als Schnittstellen aus der Sicht der Nicht-Behinderten durch die Autoren hervor. Wir finden dort kein Lebensbild eines „behinderten Menschen“ das dezidiert die Fragestellung der körperlichen oder mentalen Einschränkung im Hinblick auf die göttliche Realität angeht. Das Buch Hiob könnte hier eine Ausnahme bilden, wenn nicht der Eindruck vermittelt worden wäre, dass es sich um eine religiöse Rechtfertigungslehre handelt. Insbesondere Abschnitte wie

  • Kapitel 1 V. 1: Im Lande Uz lebte ein Mann mit Namen Ijob. Dieser Mann war untadelig und rechtschaffen; er fürchtete Gott und mied das Böse. oder V. 12 Der HERR sprach zum Satan: Gut, all sein Besitz ist in deiner Hand, nur gegen ihn selbst streck deine Hand nicht aus! 

oder der Schluss

  • Kapitel 42, 9 Und der HERR erhörte Hiob.10 Und der HERR wandte das Geschick Hiobs, als er für seine Freunde bat. Und der HERR gab Hiob doppelt so viel, wie er gehabt hatte. … 17 Und Hiob starb alt und lebenssatt.

vermitteln den Eindruck, dass Behinderung und Krankheit göttliche Strafen wären. Wenn auch der Ursprung auf das Wirken des göttlichen Widersachers gelegt wird, so bleibt letztendlich die göttliche Kausalität von Bestrafung und pädagogischem Erziehungsmittel bestehen. Ein weiterer Text, nicht weniger schwierig im Hiblick auf Behinderung zu verstehen, bildet 2. Samuel 5:6-8:

  • 6 Sie aber sprachen zu David: Du wirst nicht hier hereinkommen, sondern Blinde und Lahme werden dich vertreiben. Damit meinten sie, dass David nicht dort hineinkommen könnte. 7 David aber eroberte die Burg Zion; das ist Davids Stadt. 8 Da sprach David an jenem Tage: Wer die Jebusiter schlägt und den Schacht erreicht und die Lahmen und Blinden erschlägt, die David in der Seele verhasst sind, der soll Hauptmann und Oberster sein. Da stieg Joab, der Sohn der Zeruja, zuerst hinauf und wurde Hauptmann. Daher spricht man: Lass keinen Blinden und Lahmen ins Haus!

In gleicher Weise zeigt sich das bis heute zum katholischen und evangeischen Pfarramt herangezogene Priesterordinat aus Levitikus 21:18, 20-21 als Hemmnis für Menschen mit körperlichen oder mentalen Einschränkungen:

  • 18 Denn keiner, an dem ein Fehler ist, soll herzutreten, er sei blind, lahm, mit entstelltem Gesicht, mit irgendeiner Missbildung …20 oder bucklig oder verkümmert ist oder wer einen Fleck im Auge hat oder Krätze oder Flechten oder beschädigte Hoden hat. 21 Wer nun unter Aarons, des Priesters, Nachkommen einen Fehler an sich hat, der soll nicht herzutreten, zu opfern die Feueropfer des HERRN; denn er hat einen Fehler.

Nun könnte man meinen, dies seien antike und dem Umfeld der Hebräischen Bibel geschuldete Ansichten, jedoch findet sich auch im Neuen Testament eine grundsätzlich negative Beurteilung von „Behinderung“ aus Sciht von nicht-behinderten Menschen, die das Stigma des „Aners-Sein“ als Abweichung vom Normalen beschreiben (z. B. Luk 6:8-10; Joh 9:1). Eine Steigerung im Hinblick auf die Wahrnehmung der Hebräischen Bibel stellt die Tatsache dar, dass die neutestamentlichen Heilungswunder das Mitwirken der behinderten Menschen voraussetzt. Diese Menschen werden zu Jesus gebracht, kommen selbst und werden teilweise auch nach ihrem Wunsch auf Heilung befragt. Hier ist das Einverständnis entweder stillschweigend oder explizit ausgedrückt (z. B. Luk 5:18-24; Joh 5:6). Wer keinen Bedarf hatte kam nicht, wie z. B. (reiche) Menschen, die sich mit ihrer Behinderung arrangiert hatten oder solche mit Einschränkungen, die gar nicht als Behinderung wahrgenommen wurden (z. B. alters-. sehschwache oder mental beeinträchtigte Menschen). Natürlich wird man einwenden, dass jeder Mensch den Wunch hat „ganz“, „gesund“ oder „normal“ zu sein, also geheilt werden möchte, jedoch vergisst diese Sicht, dass zum einen jederzeit eine erneute Behinderung oder Krankheit folgen konnte, denn es gab keine Zusicherung auf lebenslange Unbeschwertheit, und zum anderen war das lokale messianische Wirkungsfeld begrenzt, weshalb nur ein kleiner Teil der Menschheit erreicht werden konnte. Während das erste Argument auf die Mitwirkung des Menschen mit körperlicher oder mentaler Einschränkung hinwirkt, findet sich im Letzteren der Gedanke einer Wiederherstellung (Restitution) eines vorhergehenden Zustandes. Dieses auf den (perfekten) Schöpfungsakt hinzielende Argument muss aber hinhterfragt werden. Selbst in den Schöpfungsgeschichten wie sie in Genesis 1-3 erzählt werden ist der Schöpfungsakt progressiv. Progression bedeutet in diesem Zusammenhang, dass auf einen Schöpfunghsakt eine „Verbesserung“ bzw. „Steigerung“ des Bestehenden folgt. Wir lesen, „Und Gott sah das es gut war“ (Gen 1. V.4), dies beinhaltet aber eine nach vorne offene Verbesserung, da die Gestirne des ersten und vierten Schöpungstages alleine nicht ausreichten, sondern verbessert wurden. „Es war gut“ muss also im zeitlichen Kontext der Progression gesehen werden und wäre besser als „Das was bis dahin war war gut“. Der Höhepunkt des siebten Tages in V. 31 symbolisiert eine Art Idealzustand, an dem alles sich selbst erhaltend gestatltet, denn Gott ruhte und musste anscheindend nicht mehr aktiv eingreifen. Hier schiebt sich aber wie eine Überbblendung die Geschichte des unvollständigen Menschen (Kap. 2) und sein Abweichen in der Beziehung zum Schöpfer (Kap. 3) ein. Offensichtlich war die Schöpfung niemals als sich selbst erhaltend gedacht, denn immer greift Gott von außen in die Abläufe ein. Das Auf und Ab der Beziehung des Schöpfers zu seiner Schöpfung wird besonders im Buch Richter am Beispiel der Beziehung zum Erwählungsvolk deutlich.

Wie nun hängt das mit Bibelübersetzung zusammen? Zum einen fehlt im Hinblick auf die Exegese und Interpretation des biblischen Textes die Einsicht von Menschen mit körperlichen oder mentalen Einschränkungen. Was die feministische Bewegung gegen viel Widerstand im zähen Ringen mit den patriarchalen kirchlichen Strukturen erreicht hat ist für andere Gesellschaftsgruppen noch Zukunftsmusik. Die in der Bibelübersetzung beratenden Gremien greifen weder auf eine Beratung von außen zurück, noch mangels der Anstellung von Menschen mit körperlichen oder mentalen Einschränkungen in der Kirche können sie auf die Expertise dieses Personenkreises in ihr selbst zurück greifen. Im hermeneutischen Zirkelschluss der theologischen und missiologischen Exegese kommt deshalb diese Perspektive nicht vor. Da aber jeder Mensch aufgrund seiner eigenen körperlichen und mentalen Begrenztheit, Erfahrungen mit eigener Krankheit oder Beschränkungf hat oder dies bei anderen, zum Beispiel den Lebenswelten von Menschen mit körperlichen oder mentalen Einschränkungen erahnt, bleibt es bei suggestiven Ansätzen hinsichtlich inklusiver Sprachwahl sowie der Reflexion der gesellschaftlichen Vielfalt (Diversität).

Welche Empfindlichkeiten haben sich bis jetzt auf Druck von außen verändern lassen: Während die King James Version von 1611 bis heute in ihren Revisionen den Begriff „cripple“ (Krüppel; z. B. Apg 14:8 in der New King James Version von 1975) beihält, hat man sich hier in deutschen Bibelausgaben auf die Beschreibung der Lähmung konzentriert. Martin Luther hat sich schon zu seiner Zeit für einen inklusiven Text oder zumindest nicht für eine Klassifizierung anhand der Behinderung entschieden. Die 1545 [1546] als „Ausgabe aus letzter Hand“ erschienene Übersetzung beschreibt die Situation:

8 VND es war ein Man zu Lystra / der muste sitzen / Denn er hatte böse füsse / vnd war Lam von Mutterleibe / der noch nie gewandelt hatte.

Die Elberfelder Bibel von 1905 folgt diesem Beispiel:

8 Und ein gewisser Mann in Lystra saß da, kraftlos an den Füßen, lahm von seiner Mutter Leibe an, der niemals gewandelt hatte.

Eine alttestamentliche Stelle weist auf eine weitere prekäre Beschreibung von Menschen mit körperlichen oder mentalen Einschränkungen hin. König David ist im 2. Samuel Kap. 5 im Krieg mit den Jebusitern:

6 Und der König zog mit seinen Männern nach Jerusalem wider die Jebusiter, die Bewohner des Landes. Und sie sprachen zu David und sagten: Du wirst nicht hier hereinkommen, sondern die Blinden und die Lahmen werden dich wegtreiben; sie wollten damit sagen: David wird nicht hier hereinkommen. 7 Aber David nahm die Burg Zion ein, das ist die Stadt Davids. 8 Und David sprach an selbigem Tage: Wer die Jebusiter schlägt und an die Wasserleitung gelangt, und die Lahmen und die Blinden schlägt, welche der Seele Davids verhaßt sind …! Daher spricht man: Ein Blinder und ein Lahmer darf nicht ins Haus kommen.

Während man im ersten Teil dieses Texts (V. 6) noch von einer pauschalen Diskriminierung aufgrund gesellschaftlicher Voreingenommenheit gegenüber seh- und körperlich eingeschränkten Menschen reden könnte, wie sie auch im neutestamentlichen Gleichnis vom reichen Gastgeber (Lukas 14:16-23) zum Tragen kommt, bildet der zweite Teil eine extreme Form des Ableismus (Behindertenfeindlichkeit). Die Konseuqenz der Ablehnung des König David gegenüber des genannten Personenkreises führt zu einem Sprichwort und dann zu einer Handlung, welche in den Augen des Autors zumindest gerechtfertigt ist. Wie würde so ein Text von seh- und körperlich eingschränkten Personen verstanden und interpretiert werden? Die Absicht des König Davids war es wohl die Feinde an ihrer eigenen Überheblichkeit zu überführen. Dazu gehörte aus kriegstaktischer Sicht die eigene Stärke zu demonstrieren. Das dies auf Kosten der Marginalisierten geschieht ist nach heutigem Human- und Kriegsrecht und wohl auch schon damals unverständlich. Es ist aber löblich und für die Disability Studies hilfeich, dass diese Episode unbeschönigt berichtet wird. Die Stigmatisierung, Exklusion und Ablehnung von Menschen mit körperlichen Einschränkungen ist eine Lebensrealität, die in diesem biblischen Text auf Einwirkung eines Akteurs geschieht, der im göttlichen“ Auftag handelt. Inhaltlich wird Jerusalem wird so als Heils-Mittelpunkt auf Kosten der Marginalisierten hoch stilisiert. Eine identische literarische Antipodenerzählung bildet auch das bereits erwähnte Gleichnis vom reichen Gastgeber. Dessen opulentes Gastmahl wird aufgrund der Ignoranz der „Normalen“ (Freunde, Bekannte) sozusagen mit den Marginalisierten aufgefüllt. In einem gewissen Sinne wird der Bann, den 2. Samuel 5:6-8 aufbaut, in diesem Gleichnis aufgelöst und ein inklusives Gastmahl istaliert. Leider bleibt aber der Geschmack, dass es sich um die zweite Wahl, das ist eine Notlösung handelt um sich an den ignoranten Freunden und Bekannt zu rächen. Diskriminierung wird hier durch Mitleid, Hintenanstellung, Zweitrangigkeit (zweite Wahl) und Notlösung ausgedrückt. Nicht umsonst hat Dorothee Wilhem (s. Schiefer-Ferrari 2014:12-14 in (Un)gestörte Lektüre) auf die dkriminierende und exklusive Wirkung des Textes hin gewiesen („Wer heilt hier Wen? Und vor allem wovon? Über biblische Heilungsgeschichten und andere Ärgernisse). Die gängigen Bibelübersetzungen ignorieren diese Nebenwirkungen. Es ist davon auszugehen, dass ein waches geistliches Auge auf diese Befindlichkeiten auch die Wortwahl beinflussen wird. Eine Hervorhebung dieser zweiten Wahl verdeutlicht den literarischen Ansatz als einer Antipode. An dieser Stelle seien zwei Vorschläge erlaubt (2. Samuel 5:6-7):

6 Und der König zog mit seinen Männern nach Jerusalem um gegen die Jebusiter, die Bewohner des Landes zu kämpfen. Sie sprachen zu David: Du kommst hier nicht herein, die Burg kann selbst von Kriegsuntüchtigen1Seh- und körperlich behinderte Menschen. bewacht werden. Sie wollten ihn dadurch abschrecken. 7 Aber David nahm die Burg Zion ein, damit ist die Stadt Davids gemeint. 8 David sagte an selbigem Tage: Wer die Jebusiter schlägt und an die Wasserleitung gelangt, und die Kiregsuntüchtigen schlägt2Seh- und körperlich behinderte Menschen., die nun von David gehaßt wurde …!3welche der Seele Davids verhaßt sind …! Daher spricht man: Ein Mensch mit einer Seh- oder Mobilitäteinschränkungen soll nicht (dir) ins Haus kommen.

Lukas 14:21-23:

21 Der Knecht kam zurück und sagte das seinem Herrn. Da wurde der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: Dann geh eben schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe wenigstens die Armen, körperlich Beeinträchtigten sowie seh- und mobilitätseingeschränkten Menschen herein.4Verkrüppelten und Blinden und Lahmen.

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