Missiologie und Theologie – Eine Verhältnisbestimmung

Eberhard Werner werner(a)forschungsinstitut.net)

Abstrakt

Das Verhältnis von Missiologie und Theologie war und ist kein einfaches. Die theologische Ausbildung und die Dominanz theologischer Präsenz und Ausrichtung im universitären Bereich lässt die Missiologie als Stiefmütterchen erscheinen. Dabei ist die gegenseitige Wechselwirkung unbestritten. Die Missiologie wird als „Frucht der Theologie“ (Kasdorf) oder als deren praktischer Zweig gewertet, gleichzeitig fordert sie jedoch die Theologie heraus missiologische Erkenntnisse und Erfahrungen wiederum in die lokalen und auch globalen theologischen Ausrichtungen einzubinden. Eine Verhältnisbestimmung wird nicht letztendlich getroffen werden können. Die Wechselwirkung aufeinander dürfte der eigentliche Grund für die grundsätzliche Standortbestimmung der voneinander (un-)abhängigen Disziplin sein.

Interkulturelle Theologie, Missiologie und Missionswissenschaften

Mit der Enführung der Disziplin Interkulturelle Theologie (s. Positionspapier der Deutschen Gemeinschaft für Missionswissenschaft – DGMW – und der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie – WGTh aus dem Jahre 2005) als einem hochschulrelevanten Fachgebiet wird die Verhältnisbestimmung zur etablierten, aber stiefmütterlich behandelten, Missionswissenschaft (Wissenschaft christlicher Dienste), zur im anglophonen Raum angesiedelten Missiologie (missiology) und zur Theologie neu entfacht. Verschiedenste Meinungen prallen aufeinander, wenn es darum geht zu bestimmen, ob es sich um ein neues Fachgebiet handelt, ob dadurch nur die Wissenschaft christlicher Dienste abgelöst wird oder ob eine Komplementierung bzw. Ergänzung im disziplinären Diskurs angestrebt wird. Im vorgenannten Positionspapier wird eine Komplementierung vorgeschlagen. Religionswissenschaft, die Wissenschaft christlicher Dienste und Ökumenischer Theologie sollen im Rahmen der Interkulturellen Theologie eng verzahnt werden. Transnationale, transkulturelle und interreligiöse Diskurse, so wird argumentier, erfordern diese Erweiterung aufgrund der Globalisierung und digitalen Expansion.

Diese Beobachtungen sind jedoch so neu nicht und verweisrn auf die Geschichte der Wissenschaft christlicher Dienste. Während die Geschichte der Wissenschaften christlicher Dienste und die Kirchengeschichte mit der Apostelgeschichte zum ersten Mal eine schriftliche Form annimmt, ist ihre mündliche Verankerung in der Hebräischen Bibel und dem Leben und den überlieferten Taten des Jesus von Nazareth verankert. In der Hebräischen Bibel wird das zukunftsorientierte Handlungsfeld der israelitischen Gottheit JHWH bereits in der Erwählung eines „heiligen“ Volkes vorgeschattet. Damit gibt JHWH vor, dass die zukünftige Erwählungs- und Heilsordnung allein von dieser Gottheit ausgeht. sie bestimmt den Heils- und Erwählungsrahmen. Die weltlichen Königreiche Israels und Judas bildeten das Königreich Gottes, das ist die Wirkshpäre JHWH’s ab. Das Prophetentum und Priestertum der Hebräischen Bibel setzt sich in der piesterlich-prophetischen Ausrichtung der globalen Kirche fort. Der offene Kanon des Neuen Testaments und das Fehlen eines letztendlich feststellbaren verbindlichen Grundtextes sind Heinweise darauf, dass die Kirchen- und die Geschichte der Wissenschaften christlicher Dienste nicht abgeschlossen, sondern bis zur „Vollendung der Zeiten“ andauern wird. Damit wird die ethisch-moralische Entwicklung der globalen Kirche zu einer sich progressiv entwickelnden Realisierung göttlichen Machteinflusses am und im Menschen. Die (un)mittelbare göttliche Wirkung (Heiliger Geist) offenbart die ideale Kirche, die sich reflektierend und im Auf- und Ab der Weltgeschichte auf einen eschatologischen Kumulationspunkt hin zu bewegt.

Ein Blick zurück in die Wissenschaften christlicher Dienste und deren Ablösung von der Theologie gibt Hinweise darauf, wie diese Entwicklungen zu werten sind. Bis zum ausgehenden Spätmittelalter waren die Wissenschaften christlicher Dienste (Missionswissenschaften) teil der angewandten Theologie. Christologie und Theologie waren ineinander verzahnt. Mit der pietistischen Loslösung von Diakonie und Sendung entstand die wissenschaftliche Möglichkeit der Spezialisierung außerhalb der Theologie. Pädagogik (Spehner), Religionslehre und tätiger Nächstendienst, wie er mit dem auslaufenden Kloster- und Mönchsleben aufgrund der aufkommenden Industrialisierung nötig wurde, fanden Einzug in die theologische Ausbiuldung und Begründung. Auslandseinsätze und ein aufkommender christlicher Entwicklungsdienst durch Schriftverbreitung (Bibelübersetzung) wie es von Wiliam Carey, Zinzendorf oder amerikanischen (Z. B. ABCFM) und britischen (z. B. BFBS) Organisationen vollzogen wurden fragten nach Begründungen. Die Wissenschaft christlicher Dienste war geboren. In der gegenwärtigen Zeit hat sich die Mobilität, die digitale Revolution und der ökumenische und interreligiöse Dialog noch als zusätzliche Fragestellungen dazu gesellt.

Interkulturelle Theologie ist daher in der Lage eine interdisziplinäre Schnittstelle zwischen den Hilfsdisziplinen Linguistik, Anthropologie, Soziologie, Psychologie und Pädagogik zu bilden um der Aufgabe des transkulturellen, transnationalen und interreligiösen Austausches gerecht zu werden. Im anglophonen Raum wird die Missiologie (missiology) so betrieben.

Ob die Wissenschaft christlicher Dienste – Missionswissenschaft – aufgrund ihrer einseitig christlichen Ausrichtung dabei Subjektivierungen Vorschub leistet oder ob sie in ihrer westlichen Verzahnung die interdisziplinäre Herausforderung nicht  bewerkstelligen kann wird derzeit negativ bewertet, bleibt aber eine spekulative Frage. Interkulturelle Theologie eröffnet neben einer neuen Begrifflichkeit auch die Möglichkeit sich über eigene westliche theologische Verständnisse im ökumenischen, transkulturellen und transnationalen Diskurs neu aufzustellen und in ethznographischer Weise „fremde“ ungehörte theologische Stimmen einzubinden.

Diskussionen sind herzlich willkommen: werner@forschungssinstitut.net

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