Rezension: Larsen, Timothy 2014. The Slain God: Anthropologists and the Christian Faith

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Timothy Larsen lehrt als Professor für christliche Philosophie (Christian thought) am Wheaton College. Er hat 1997 seine Promotion in Geschichte an der Universität Stirling (Schottland) abgelegt. Im vorliegenden Werk beschäftig sich Larsen mit christlichem Gedankengut in der aufblühenden Wissenschaft der säkularen anglophonen Anthropologie (dt. Ethnologie). Der wissenschaftliche Grundtenor besagt, unabhängig davon ob dies nun wahr ist oder nicht, dass die Anthropologie „anti-religiös“ und von daher eine „glaubensfeindliche“ Haltung aufweise (S. 9). Mit dem Titel „Der erschlagene Gott“ (The Slain God) zeigt er auf, welche theoretisch-philosophischen Denkwelten sich sowohl bei Kritikern als auch bei Befürwortern christlich-ethischer Werte entwickelten. Für Missiologen interessant ist der apologetische Anstoß, wie er sich im wissenschaftlichen Diskurs mit der Fachrichtung der Anthropologie (Ethnologie) auftut.

Die seit der Mitte des 19. Jhdt. sich entwickelnde Disziplin Anthropologie wird in ihrem gesamt­wissen­schaftlichen Einfluss unterschätzt und oft auf den evolutionären Darwinismus und die Kulturanthropologie reduziert. Larsen begrenzt seine Studie auf britische Sozialanthropologen, da sie seiner Meinung nach die breiteste denkerische Vielfalt aufweisen (S. 2). Unberührt bleiben die Forschungsfelder der angewandten, biologisch-physikalischen, evolutionistischen, soziokulturellen oder linguistischen Anthropologie, sowie der Archäologie.

Larsen beginnt mit einem historischen Rückblick und weist auf die frühen initialen ethnographischen Forschungen C. Prichards (1786-1848). Auch explizit christliche Ethnographen, wie z. B. der method. Revd. Edwin William Smith (1876-1957), und auch nichtreligiöse Freidenker, wie z. B. Edmund Leach (1910-89) finden Erwähnung. Um aber einen Gesamtabriss der Entwicklungen in der Anthropologie aufzuzeigen, wählt er sich folgende Anthropologen/Innen: E. B. Tylor (1832-1917), James Frazer (1854-1941), E. E. Evans-Pritchard (1902-1973), Mary Douglas (1921-2007), Victor (1920-1983) und Edith Turner (1921- ).

Der anthropologisch-wissenschaftliche Diskurs führt über den anfänglichen sozial-evolutionistischen Ansatz (Tylor, Frazer), zum Funktionalismus (Malinowski), von dort zum funktionalen-Strukturalismus (Radcliffe-Brown), und zu modernen Ansätzen (S. 6).

„Religion“ wird in der Anthropologie oft als „Aberglaube“ angesehen. Aufgrund dieser kritisch-ablehnenden Haltung verhandelte man sie unter soziologischen Gesichtspunkten als „Projektion“ oder „Kompensation“, auf der Ebene der „Erhaltung sozialer Solidarität“ (S. 10; Evans-Pritchard). Persönlicher Glaube oder die Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft wurde kritisch betrachtet, so z. Bsp. der Vorwurf an Mary Douglas: „No sincere anthropologist can be a Catholic“ (2005:105). Wie wirkte sich solches Denken auf die Anthropologie aus?

E. B. Tylor baute seinen anthropologischen Zugang auf August Comte (1798-1857). Dieser wiederum benutzte einen evolutionistischen Ansatz und betrachtete alle menschlichen Prozesse unter einem sich höher entwickelnden Dreischritt: theologisch-fiktional, metaphysisch-abstrakt und wissenschaftlich-positiv (S. 21). Tylor führte die „vergleichende Methode“ ein, die auf „ähnlichen Entwicklungsstadien“ in allen Völkern basierte. „Primitive Stadien“ wurden dabei von den „höher-entwickelten“ Ethnien bereits durchlaufen (S. 22). „Animismus“ ist bei ihm die „Wissenschaft der Wilden“ (savages), „Magie“ der „unvollständige Ansatz zur Wissenschaft“ und „Religion“ hat das „Ziel die Natur zu erklären“ (S. 23-25).

James George Frazer führt einen weiteren evolutionären Dreischritt ein, namentlich der soziologischen Phasen der „Magie“, der „Religion“, und der „Wissenschaft“ (S. 41). Jede Kultur durchläuft diese. Bei ihm gilt dies auch für die jüdisch-christliche Lehre, als Übergangsform, reflektiert in den biblischen Geschichten. Jesus Christus‘ Tod wird zum späteren „Haman des Jahres“. Ein Kreislauf, der sich immer wiederkehrend entweder als „Heilsgeschichte“ (Gläubige) oder „Aberglaube“ (Kritiker) definiert (ebd.). Nichtsdestotrotz setzt er sich mit Theologen auseinander und fürchtet später sogar, dass seine Ansichten die selbigen in ihrem Glauben bestärken könnten (S. 78-79, so Larsen).

Edward Evan Evans-Pritchard (1902-1973) brachte Ethnographie als vergleichende bzw. beschreibende Disziplin zur Geltung. Sein Ziel war es „sie“ zu „uns“ (englische Kultur) zu transportieren (S. 84). Gleichzeitig durchlief er persönliche Erfahrungen (2 Weltkriege, Tod der Eltern, Suizidtod der Frau 1959, früher Tod des ersten Sohnes 1941; S. 115-16), die ihn zum katholischen Glauben führte, jedoch als kritischen, aber überzeugten, bibellesenden Gläubigen (1941; S. 95, 102). Mit Franz Steiner fordert er „Religion“ als eigenständiges anthropologisches und nicht als sich entwickelndes Forschungsobjekt zu behandeln (S. 127). Er war sich der anti-religiösen und glaubensfeindlichen Haltung seiner Disziplin wohl bewusst (1947; S. 80, 96). Davon unbeirrt folgte er geistlich seinem Vater, der Reverend in der Church of England war (S. 82). Sein Ruhm (Lehrstuhl der Anthropologie an der Universität in Oxford; Ritterschlag 1971; S. 82) bezeugt sich in der Laudatio über ihn, als den „brillantesten anthropologischen Denker von uns allen“ (Firth; S. 81).

Mary Douglas war überwältigt von der Auswirkung religiöser Essensvorschriften und ihrer Umsetzung (S. 120). Sie untersuchte die spontanen Reaktionen auf Rituale unter dem Gesichtspunkt, dass formale, geschriebene und strukturierte „natürliche Symbole“ besser sind als informale, persönliche und zeitlose (Purity and Danger; S. 135). Im Gegensatz zu Evans-Pritchard, der „Magie“ als fehlerhaft bezeichnet, setzt Douglas „Magie“ mit religiösen Sa-kramenten oder christlichen Grundaussagen gleich (S. 144-145). Ihre Studien zu Levitikus, in Purity and Danger, zeigen ihre Offenheit für biblische Inhalte, was sie nicht davon abhielt die Bibel allegorisch zu deuten (S. 151-155). Gleichzeitig lehnte sie den historisch-kritischen Umgang der Theologen mit der Bibel, als für Anthropologen unzulässig ab, da Forschungsmaterial nicht vom Wissenschaftler beliebig zerlegt werden dürfe (S. 153).

Victor Turner (1920-1983) und Edith Turner (1921- ; verh. 1943) sind bekannt für ihre atheistischen Anfänge und spätere Konversion zum römischen Katholizismus (1958; S. 182). Negative Kindheitserfahrungen haben beide aus dem christlichen Raum gedrängt. Erst „Glaubens-Erfahrungen“ in Afrika (Initiationsriten, religiöse Rituale) haben sie neu mit der römisch-katholischen kirchlichen „Erfahrungswelt“ zusammen gebracht (S. 183-185). Ihre Forschungen zu „Wallfahrten“, basierend auf eigener religiöser Erfahrung, dem Kindestod der Tochter in 1960, machten sie seit 1968 berühmt (S. 194). Edith Turner ist bis heute anthropologisch tätig.

Larsen bietet mit diesem historischen Abriss eine faszinierende Studie über eine Human-Disziplin, welche sich gedrängt fühlt, alles Transzendente logisch erklären zu müssen. Dadurch entwickelt sie Methoden, die sich der Transzendenz nur insofern annähert, als sie diese in die Erfahrungswelt verdrängt. Larsen, als überzeugter Christ, bleibt hierbei selbst nicht unbedingt objektiv, was er im Vorwort deutlicher begründen sollte. Aus diesem Grund bekommt man zwar einen Einblick in das „Wie“ ablehnender Haltungen, vermisst jedoch „objektive“ Gründe des „Warum“.

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