Rezension: Noor, Sikand & Bruinessen 2007. The Madrasa in Asia
werner [at] forschungsinstitut.net
Das vorliegende Buch ist eine Aufsatzsammlung von 9 Beiträgen zum islamisch-theologischen Bildungssystem in Asien und dessen Reformbewegungen. Noor ist Lehrer/ Dozent an der Schule für internationale Studien in Singapur, Sikand ist professioneller Autor aus Indien und van Bruinessen ist Soziologe und war Professor em. an der Universität Utrecht. Alle drei sind oder waren auch im islamischen Raum im Lehrbetrieb tätig.
Dieses Buch beschreibt aus anthropologischer und soziologischer Perspektive die Bedeutung der Medresse (arab. abgeleitet von darasa „studieren“, Schule, S. 9) im islamischen Raum mit Fokus auf Asien. Einzelne Medressen, aber auch ganze Netzwerke aus Indien (z. B. Deoband), Pakistan, China, Malaysia und Indonesien werden hier beschrieben und untersucht. Die benannten Medressen sind private und nicht-universitäre Bildungseinrichtungen, die säkulare und theologische Fächer anbieten. Die säkularen Fächer werden auf dem Fundament eines islamischen Verständnisses gelehrt, damit der Student sich im Rahmen eines islamischen Umfeldes entwickeln und bewegen kann.
Das Buch gibt einen guten historischen Einblick darüber, aus welchen Beweggründen sich Medressen in einzelnen Situationen gebildet und wie sie sich über lange Zeiträume hinweg entwickelt haben. Einhellig sprechen sich die Autoren und die von ihnen untersuchten Schulen für die Erneuerung und Neuorientierung bei der Konzeption der islamischen Ausbildung in diesen Einrichtungen aus. Solches ergibt sich vor allem aus dem Sektor des säkularen Bildungsbereiches, welcher sich meist zu eng und einseitig auf den islamischen Raum begrenzt. Die Forderung geht dahin, sich international, interkulturell und interreligiös auch für nicht-islamische Kontexte zu öffnen. Diese Reformansätze sind bereits in Gang oder werden mit Nachdruck gefordert.
Das übergeordnete Thema der Aufsätze ist die innere und äußere Erneuerung der Medressen und der innere und äußere Widerstand dagegen. Damit wird die Medresse selbst zur politischen Institution, in der sich die gegenseitigen Oppositionskräfte des Islam offenbaren (Reformer vs. Konservative).
Das Werk zeichnet sich durch eine detaillierte Darstellung dieser beiden Kräfte im islamischen Raum aus. Es verliert jedoch meines Erachtens an Objektivität aufgrund einer Überbewertung der Reformbewegung, die man genauso gut auch als normalen Anpassungsprozess werten könnte. Hierdurch wird teilweise eine Bild der Gefährdung der Medressen gezeichnet, was so nicht unbedingt realistisch ist. Diese Einschätzung relativiert sich etwas dadurch, dass die Aktivitäten, die sich aus den Medressen entwickeln eindeutig anti-reformistisch sind. Dadurch zeichnet sich ein deutlich beschriebener Spannungsbogen zwischen Reformern und Gegenkräften in diesen Bildungseinrichtungen ab. Einige persönliche biographische Schicksale von Studenten bereichern das entworfene Bild.
Es handelt sich um eine übersichtliche Gegenwartsperspektive zum „modernen“ Islam. Jeder, der sich mit diesem Thema beschäftigt, erhält einen Eindruck über die die politisch aktiven Kräfte in diesem Raum, woher sie kommen, wie sie wirken, und wie sie generiert werden. Da Medressen vor allem armen Bürgern den Weg zur Bildung ermöglichen, stellen diese islamischen Bildungseinrichtungen elementare Meinungsmacher dar. Dieses Werk ist auch für diejenigen von Bedeutung, die sich über die unterschiedlichen derzeit aktiven Netzwerke und Verknüpfungen im asiatisch-islamischen Bildungsbereich informieren wollen.
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