Rezension: Schipper, Jeremy 2011, Disability & Isaiah’s Suffering Servant

werner [at] forschungsinstitut.net

 

Dieses Werk wird in theologischen Kreisen zunehmend wahrgenommen. Die exegetische Grundaussage, dass es sich bei der Beschreibung des Leidens des Gottesknechts um eine tatsächliche und nicht um eine imaginäre oder zu übertragende Behinderung einer Person handelt, hat auch missiologische Auswirkungen. Insbesondere die diakonisch-ethische Ausrichtung der Kirche auf Menschen mit Einschränkungen wird dadurch hinterfragt.

Jeremy Schipper ist Professor zum Fachgebiet der Hebräischen Bibel (Altes Testament) an der Temple Universität in Pennsylvania. Er beschäftigt sich schon seit 2006 mit Disability Studies in Bezug auf die Hebräische Bibel. Dabei hinterfragt er die gängige Auslegungspraxis, die Beschreibungen von Behinderung oder Behinderten vornehmlich allegorisch zu deuten. Er sieht im innerbiblischen sowie im religions- und sprachwissenschaftlichen Vergleich mit anderen antiken Schriften keinen Grund so an die Hebräische Bibel heran zu gehen. Dabei ist er vorsichtig und gesteht diesen Zugang als mögliche Option zu, will ihn aber nicht als einzige oder bevorzugte Möglichkeit stehen lassen (Abschlusskapitel conclusion, S. 110-112). Schipper weist nach, dass, dieser Zugang besonders in den Auslegungen zum Gottesknecht aus Jesaja 53 zutage tritt.

Er folgt in der Jesaja-Interpretation der allgemeinen Tradition, die Jesaja 53 in zwei Teile gliedert: Eine göttliche Rede oder ein Orakel als Einleitung und Schlussfolgerung (52:13-15 und 53:11b-12) und als Hauptteil ein Psalm über den Knecht (53:1-11a). Der Theorie, nachdem der Psalm ein nachträglicher Einschub zwischen zwei göttlichen Reden wäre, und somit ursprünglich keine Beschreibung einer Behinderung vorlag, erteilt er aufgrund der unterschiedlichen textkritischen Befunde eine Absage. Ebenso betont er die Vielfalt an Beschreibungen von Behinderung und Behinderten in der Hebräischen Bibel, insbesondere in Jesaja (disability imagery).

Disability Studies offenbaren drei Modelle der Wahrnehmung von Behinderung. Das medizinische, das soziale Modell aus Großbritannien und das kulturelle Modell aus den USA (S. 14-20). Ersteres wird inzwischen als unzureichend deklariert. Schipper wählt einen praxisbezogenen Zugang zur Behinderung. Altersbedingte Erscheinungen, die durch langsame Verfallserscheinungen entstehen, zählen für ihn nicht dazu, jedoch explizit erwähnte Unfruchtbarkeit (Mann, Frau, Eunuchen), Mobilitäts-, Seh-, Hör- und mentale Einschränkungen. Antike Texte beschreiben zwar die damalige Wahrnehmung von Behinderung, sie geben jedoch keine hinreichenden Definitionen derselben.

Schipper führt die innerbiblischen geistlichen Übertragungen (Metaphern) an, die mit Vokabular aus dem Bereich der Behinderung spielen, woran auch Jesaja nicht spart (z. B. Jes 42:19; 56:10). Jesaja 53 geht jedoch darüber hinaus, da die reale körperliche und mentale Einschränkung einer Person beschrieben wird.

Ein weiterer Interpretationsstrang definiert den Gottesknecht als „leidend“ aber nicht behindert (S. 32; s. unten). Demgegenüber weist die Erfahrung sozialer Isolation (Jes 53:3) auf eine „echte“ Ablehnung durch Andersartigkeit bzw. Behinderung hin. Implikationen einer religiösen Stellvertretung, wie aus dem hetitischen und assyrischen Bereich für mentale Behinderte, die anstelle des kranken Königs eingesetzt wurden, sind nicht ausreichend belegt, um sie auf Jes 53 anzuwenden. Schipper bespricht Theorien über eine Hautkrankheit wie sie Duhn vorschlägt (S. 40-42) sowie Auslegungen, die Behinderung als Deutungsoption ausschließen, namentlich eines Gottesknechts der verletzt (S. 42-45; so z. B. Whybray), getötet (S. 45-49), sich erholend (S. 49-55) oder gefangen sei (S. 55-57).

Kapitel 3 widmet sich der textkritischen Analyse von Jesaja 53. Im Verlauf der Antike zeigt sich, laut Schipper, eine Verschiebung der Sicht von einem behinderten Gottesknecht hin zu einem nichtbehinderten. Vor allem Targume (antike aramäische interpretierende Übersetzungen) lösen sich vom Bild eines behinderten Gottesknechtes und sprechen mehr von einer „gesalbten“ (mšhy) denn einer „entstellten“ Person (mišhat; Jes 52:14; S. 69-71). Im Gegensatz hierzu benutzt Hieronymus in der Vulgata und in Kommentaren Vokabular aus dem Bereich der Behinderung (S. 71).

Der neutestamentliche Beweis erstreckt sich auf Zitate von Jesaja 53 im Neuen Testament. Jesus‘ Heilungen und Wunder bilden dabei den Bezug. Neben Matt 8:17 ist auch Joh 12:28 zu nennen, wobei in beiden Fällen die Behinderung keine Rolle spielt, sondern die Ablehnung Jesu trotz seiner Heilungen. Auch andere Stellen, die sich auf Jesaja 53 beziehen, weisen nicht auf Behinderung sondern auf Ablehnung und Leiden. So z. B. in Lk 22:37, Mk 15:28 – Jesus als Unschuldiger; in Apg 8:32-33 und 1Pt 2:22 – ein Märtyrer oder in Röm 10:16 und 15:21 – Reaktionen auf den Gottesknecht. Diese neutestamentliche Tendenz dürfte die langanhaltende Abkehr vom Verständnis des behinderten hin zum leidenden Gottesknecht unterstützen.

In Kapitel 4 untersucht Schipper die unzähligen Deutungen des Gottesknechts als Leidender, der real-existierte oder auch kollektiv zu deuten wäre. Mindestens fünfzehn historische Personen finden sich in der Auslegung (S. 84). Der Gottesknecht wird schon früh auf Jesus gedeutet, dann wiederum als Messias (z. B. Justin, 2. Jh.; S. 89-91), als König (S. 91-93) oder als Prophet (S. 93-99). Kollektive Deutungen weisen auf Israel, wie z. B. von Origenes im 3. Jh. vertreten (S. 99-100), oder auf das leidende Zion (S. 104-106). Um die überwiegende Tendenz hin zur Nichtbehinderung zu verdeutlichen listet Schipper auch Hinweise auf Behinderung im Hinblick auf den Messias oder den Gottesknecht auf (S. 85-89; darunter Lepra, Eunuchen-Status).

Es ist Schippers Verdienst in Kürze aufgezeigt zu haben, wie ein biblischer Text, hier Jesaja 53, eine ursprüngliche Nuance verlieren kann und in der Folge allerlei Deutungsrichtungen nimmt. Im Hinblick auf Behinderung ist dies besonders tragisch, da die „glokale“ Kirche einer inhärenten paternalistischen Tendenz der Bevormundung oder des Ausschlusses aktiv gegensteuern muss, um ihrer „inklusionierenden“ Wirkung, Kirche für Alle von Allen zu sein, gerecht zu werden.

 

Jesaja ; Hebräische Bibel ; Disability Studies ; Leiden ; Theodizee ; Heilung ; Missiologie ; Theologie

Rezension: Larsen, Timothy 2014. The Slain God: Anthropologists and the Christian Faith

werner [at] forschungsstiftung.net

 

Timothy Larsen lehrt als Professor für christliche Philosophie (Christian thought) am Wheaton College. Er hat 1997 seine Promotion in Geschichte an der Universität Stirling (Schottland) abgelegt. Im vorliegenden Werk beschäftig sich Larsen mit christlichem Gedankengut in der aufblühenden Wissenschaft der säkularen anglophonen Anthropologie (dt. Ethnologie). Der wissenschaftliche Grundtenor besagt, unabhängig davon ob dies nun wahr ist oder nicht, dass die Anthropologie „anti-religiös“ und von daher eine „glaubensfeindliche“ Haltung aufweise (S. 9). Mit dem Titel „Der erschlagene Gott“ (The Slain God) zeigt er auf, welche theoretisch-philosophischen Denkwelten sich sowohl bei Kritikern als auch bei Befürwortern christlich-ethischer Werte entwickelten. Für Missiologen interessant ist der apologetische Anstoß, wie er sich im wissenschaftlichen Diskurs mit der Fachrichtung der Anthropologie (Ethnologie) auftut.

Die seit der Mitte des 19. Jhdt. sich entwickelnde Disziplin Anthropologie wird in ihrem gesamt­wissen­schaftlichen Einfluss unterschätzt und oft auf den evolutionären Darwinismus und die Kulturanthropologie reduziert. Larsen begrenzt seine Studie auf britische Sozialanthropologen, da sie seiner Meinung nach die breiteste denkerische Vielfalt aufweisen (S. 2). Unberührt bleiben die Forschungsfelder der angewandten, biologisch-physikalischen, evolutionistischen, soziokulturellen oder linguistischen Anthropologie, sowie der Archäologie.

Larsen beginnt mit einem historischen Rückblick und weist auf die frühen initialen ethnographischen Forschungen C. Prichards (1786-1848). Auch explizit christliche Ethnographen, wie z. B. der method. Revd. Edwin William Smith (1876-1957), und auch nichtreligiöse Freidenker, wie z. B. Edmund Leach (1910-89) finden Erwähnung. Um aber einen Gesamtabriss der Entwicklungen in der Anthropologie aufzuzeigen, wählt er sich folgende Anthropologen/Innen: E. B. Tylor (1832-1917), James Frazer (1854-1941), E. E. Evans-Pritchard (1902-1973), Mary Douglas (1921-2007), Victor (1920-1983) und Edith Turner (1921- ).

Der anthropologisch-wissenschaftliche Diskurs führt über den anfänglichen sozial-evolutionistischen Ansatz (Tylor, Frazer), zum Funktionalismus (Malinowski), von dort zum funktionalen-Strukturalismus (Radcliffe-Brown), und zu modernen Ansätzen (S. 6).

„Religion“ wird in der Anthropologie oft als „Aberglaube“ angesehen. Aufgrund dieser kritisch-ablehnenden Haltung verhandelte man sie unter soziologischen Gesichtspunkten als „Projektion“ oder „Kompensation“, auf der Ebene der „Erhaltung sozialer Solidarität“ (S. 10; Evans-Pritchard). Persönlicher Glaube oder die Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft wurde kritisch betrachtet, so z. Bsp. der Vorwurf an Mary Douglas: „No sincere anthropologist can be a Catholic“ (2005:105). Wie wirkte sich solches Denken auf die Anthropologie aus?

E. B. Tylor baute seinen anthropologischen Zugang auf August Comte (1798-1857). Dieser wiederum benutzte einen evolutionistischen Ansatz und betrachtete alle menschlichen Prozesse unter einem sich höher entwickelnden Dreischritt: theologisch-fiktional, metaphysisch-abstrakt und wissenschaftlich-positiv (S. 21). Tylor führte die „vergleichende Methode“ ein, die auf „ähnlichen Entwicklungsstadien“ in allen Völkern basierte. „Primitive Stadien“ wurden dabei von den „höher-entwickelten“ Ethnien bereits durchlaufen (S. 22). „Animismus“ ist bei ihm die „Wissenschaft der Wilden“ (savages), „Magie“ der „unvollständige Ansatz zur Wissenschaft“ und „Religion“ hat das „Ziel die Natur zu erklären“ (S. 23-25).

James George Frazer führt einen weiteren evolutionären Dreischritt ein, namentlich der soziologischen Phasen der „Magie“, der „Religion“, und der „Wissenschaft“ (S. 41). Jede Kultur durchläuft diese. Bei ihm gilt dies auch für die jüdisch-christliche Lehre, als Übergangsform, reflektiert in den biblischen Geschichten. Jesus Christus‘ Tod wird zum späteren „Haman des Jahres“. Ein Kreislauf, der sich immer wiederkehrend entweder als „Heilsgeschichte“ (Gläubige) oder „Aberglaube“ (Kritiker) definiert (ebd.). Nichtsdestotrotz setzt er sich mit Theologen auseinander und fürchtet später sogar, dass seine Ansichten die selbigen in ihrem Glauben bestärken könnten (S. 78-79, so Larsen).

Edward Evan Evans-Pritchard (1902-1973) brachte Ethnographie als vergleichende bzw. beschreibende Disziplin zur Geltung. Sein Ziel war es „sie“ zu „uns“ (englische Kultur) zu transportieren (S. 84). Gleichzeitig durchlief er persönliche Erfahrungen (2 Weltkriege, Tod der Eltern, Suizidtod der Frau 1959, früher Tod des ersten Sohnes 1941; S. 115-16), die ihn zum katholischen Glauben führte, jedoch als kritischen, aber überzeugten, bibellesenden Gläubigen (1941; S. 95, 102). Mit Franz Steiner fordert er „Religion“ als eigenständiges anthropologisches und nicht als sich entwickelndes Forschungsobjekt zu behandeln (S. 127). Er war sich der anti-religiösen und glaubensfeindlichen Haltung seiner Disziplin wohl bewusst (1947; S. 80, 96). Davon unbeirrt folgte er geistlich seinem Vater, der Reverend in der Church of England war (S. 82). Sein Ruhm (Lehrstuhl der Anthropologie an der Universität in Oxford; Ritterschlag 1971; S. 82) bezeugt sich in der Laudatio über ihn, als den „brillantesten anthropologischen Denker von uns allen“ (Firth; S. 81).

Mary Douglas war überwältigt von der Auswirkung religiöser Essensvorschriften und ihrer Umsetzung (S. 120). Sie untersuchte die spontanen Reaktionen auf Rituale unter dem Gesichtspunkt, dass formale, geschriebene und strukturierte „natürliche Symbole“ besser sind als informale, persönliche und zeitlose (Purity and Danger; S. 135). Im Gegensatz zu Evans-Pritchard, der „Magie“ als fehlerhaft bezeichnet, setzt Douglas „Magie“ mit religiösen Sa-kramenten oder christlichen Grundaussagen gleich (S. 144-145). Ihre Studien zu Levitikus, in Purity and Danger, zeigen ihre Offenheit für biblische Inhalte, was sie nicht davon abhielt die Bibel allegorisch zu deuten (S. 151-155). Gleichzeitig lehnte sie den historisch-kritischen Umgang der Theologen mit der Bibel, als für Anthropologen unzulässig ab, da Forschungsmaterial nicht vom Wissenschaftler beliebig zerlegt werden dürfe (S. 153).

Victor Turner (1920-1983) und Edith Turner (1921- ; verh. 1943) sind bekannt für ihre atheistischen Anfänge und spätere Konversion zum römischen Katholizismus (1958; S. 182). Negative Kindheitserfahrungen haben beide aus dem christlichen Raum gedrängt. Erst „Glaubens-Erfahrungen“ in Afrika (Initiationsriten, religiöse Rituale) haben sie neu mit der römisch-katholischen kirchlichen „Erfahrungswelt“ zusammen gebracht (S. 183-185). Ihre Forschungen zu „Wallfahrten“, basierend auf eigener religiöser Erfahrung, dem Kindestod der Tochter in 1960, machten sie seit 1968 berühmt (S. 194). Edith Turner ist bis heute anthropologisch tätig.

Larsen bietet mit diesem historischen Abriss eine faszinierende Studie über eine Human-Disziplin, welche sich gedrängt fühlt, alles Transzendente logisch erklären zu müssen. Dadurch entwickelt sie Methoden, die sich der Transzendenz nur insofern annähert, als sie diese in die Erfahrungswelt verdrängt. Larsen, als überzeugter Christ, bleibt hierbei selbst nicht unbedingt objektiv, was er im Vorwort deutlicher begründen sollte. Aus diesem Grund bekommt man zwar einen Einblick in das „Wie“ ablehnender Haltungen, vermisst jedoch „objektive“ Gründe des „Warum“.

Rezension: Rynkiewich, Michael A. 2011. Soul, Self, and Society

werner [at] forschungsinstitut.net

 

Prof. Michael Rynkiewich ist am Asbury Theological Seminar und der E. Stanley Jones School of Mission and Evangelism als Anthropologe tätig. Seine wissenschaftlichen anthropologische Tätigkeiten im Rahmen der Christlichen Entwicklungshilfe reichen weit zurück in die 1970er Jahre.

Rynkiewich verarbeitet in dieser Publikation seine Beobachtungen über die Anwendung der Anthropologie als Hilfsdisziplin der Missiologie. Er arbeitet sich langsam durch einen Überblick der Anthropologie, bevor er sich an eine „christliche Anthropologie“ wagt (Kapitel 13; S. 243-250). Seine Bewertung ist selbstkritisch und reflektiert den gegenwärtigen Stand anthropologischer (im deutschsprachigen Raum: Ethnologie) Forschung in der Missiologie. Seiner Meinung nach tut sich eine tiefe Kluft auf im Hinblick auf die wissenschaftliche Disziplin der Anthropologie und der Anwendung der Hilfsdisziplin Anthropologie im Rahmen der Missiologie. Doch dazu später. Wie es dazu kam und welche Auswege es gibt bindet er in einen historischen Rück- und kurzen Überblick über die Anthropologie ein.

In seiner Einleitung (Kapitel 1; Anthropologie, Theologie und Missiologie) beschreibt Rynkiewich das Leben eines Arbeiters namens Lakan aus Papua Neuguinea und dessen ökonomische Migration. Im Verlauf des Narrativs wird deutlich, das Lakan, wie die meisten modernen Menschen, Mitglied vieler unterschiedlicher sozialer Netzwerke ist. Hinsichtlich dieser Entwicklungen relativieren sich die Begriffe Kultur, „Mutter“-sprache, Diaspora und Religion im anthropologischen Kontext. In dem, was Rynkiewich als das „Standardmodell der Anthropologie“ in der Missiologie bezeichnet, werden die oben genannten Begriffe als statisch angenommen (S. 65). Dies entspricht dem anthropologischen Stand der 1950-1960er Jahre, seither hat sich jedoch die Menschheit aufgrund von Migration, Diaspora, Transnationalismus, Urbanisierung und Globalisierung erheblich verändert. Mit der Veränderung der menschlichen Gesellschaften hat sich auch die anthropologische Forschung entwickelt. Diese Entwicklung fand aber nicht Eingang in die Missiologie. Vielmehr bleib man dort am statischen Bild der Familie, der Individual- versus Kollektivgesellschaft und des Volkes als homogene Einheit (gemeinsamer Ursprung, gemeinsame Sprache, Heimatland) hängen.

In 12 Kapiteln arbeitet sich Rynkiewich durch die Gebiete Kultur, Ethnozentrismus und Kontextualisierung (Kapitel 2; S. 11-44); Sprache, Symbole und interkulturelle Kommunikation (Kapitel 3; S. 45-63); das Selbst, Gesellschaft und Verhalten (Kapitel 4; S. 64-77); Heirat, Familie und Verwandtschaft (Kapitel 5; S. 78-99); Ökonomie, Entwicklung und Mission (Kapitel 6; S. 100-120); Politik, Macht und Gesetz (Kapitel 7; S. 121-133); Religion, Glaube und Ritual (Kapitel 8; S. 134-154); Kasten, Klassen und Ethnizität (Kapitel 9; S. 155-168); Kolonialismus, Neokolonialismus und Postkolonialismus (Kapitel 10; 169-197); Migration, Diaspora und Transnationalismus (Kapitel 11; S. 198-213); Urbanisierung und Globalisierung (Kapitel 12; S. 214-242); und eine christliche Anthropologie (Kapitel 13; S. 243 – 250). Mit diesem Aufriss begibt sich Rynkiewich auf eine Reise durch die Geschichte der noch jungen wissenschaftlichen Disziplin Anthropologie.

Kapitel 2 beginnt mit dem Selbstverständnis einer Gesellschaft und wie sie sich als „Kultur“ nach außen spiegelt. In der Ethnographie (ethnography) werden Kulturen nach außen beschrieben, in der ethnology (vergleichende Anthropologie; nicht zu verwechseln mit dem dt. Begriff Ethnologie) werden sie miteinander verglichen. Im Verlaufe der Entwicklungen der Kulturbeschreibungen (Ethnografien) hat sich ein „Kulturrelativismus“ gebildet. Dieser geht davon aus, dass eine „Kultur“ einzigartig, abgrenzbar und in sich homogen wäre (S. 27). Grundlage solcher Annahme bildet der Ethnozentrismus. Solches Denken führte in seiner Konsequenz in den Rassismus und die rassenideologische Ausprägung anthropologischer Denkarten. Daraus resultierte, dass Teile der Anthropologie mit den rassenideologischen Begleiterscheinungen beider Weltkriege in eine Sackgasse gerieten. An dieser Stelle schiebt Rynkiewich einen etwas abwegigen Abschnitt über „Kulturschock“ ein, der die Herausforderungen des Anthropologen und Missiologen in fremder Umgebung beschreibt. Danach untersucht er das Verhältnis von biblischer Nachricht (Evangelium) zur „Kultur“ im Rahmen der Kontextualisierung (Niebuhr, Carson, Menuge, Yoder). Kontextualisierung setzt er in Kontrast zu Ethnozentrismus. Sein Resultat, die Botschaft muss zu den Menschen in ihrem Kontext gebracht werden, das heißt der eigene Ethnozentrismus zugunsten einer Enkulturation der Botschaft durchbrochen werden. Die Inkarnation Gottes in der Person Jesus von Nazareth ist ihm dabei theologische Basis. Leider erklärt er diese These nicht näher, was missiologisch sehr zu begrüßen wäre (S. 41).

Im dritten Kapitel gibt Rynkiewich eine Übersicht zur Sprachwissenschaft in der Anthropologie und Missiologie. Wichtigste Erkenntnis ist, das immer schneller voranschreitende Sprachsterben von Sprachen, welche dominanten National- und Verkehrssprachen ausgesetzt sind. Ansonsten handelt es sich um eine allgemeine Übersicht zu den Disziplinen der Sprachwissenschaft und ihrer Bedeutung für die interkulturelle Kommunikation [dies hätte er besser getrennt untersucht. EW.).

Im vierten Kapitel löst Rynkiewich dann das statische Verständnis von Kultur im Rahmen des Deconstructuralism auf (S. 65). Er zeigt anhand der unterschiedlichen und vielfältigen Rollen und des damit verbundenen Status, den ein Individuum in verschiedenen sozialen Kontexten inne hält, dass „Kultur“ ein Produkt menschlicher Enkulturation ist. Das Konstrukt „Kultur“ ist ein relativer und nicht fixierbarer Begriff, noch weniger sind „Kulturen“ miteinander vergleichbar. In gleicher Weise negiert er auch die Unterscheidung einer kulturellen Orientierung an Ehre und Scham oder Sünde und Schuld, wie sie von Ruth Fulton Benedict (1946) eingeführt wurde. Nichtsdestotrotz nutzt er das Bild der „Theorie zum Gesicht“ (S. 74; auch „Name“) und beschreibt es in den von ihm kritisierten Kategorien (!). Er empfiehlt deshalb in seiner Zusammenfassung (S. 77), dass eine Gesellschaftsbeschreibung aus kultureller, sozialer, ökologischer, und historischer Perspektive erstellt werden sollte.

Im fünften Kapitel zur Ehe, Familie und Verwandtschaft beschreibt Rynkiewich weltweit verschiedenste familiäre und verwandtschaftliche Systeme die ausgiebig studiert wurden (Irokesen, Hawaiianer, Marshallesen, Amerikaner). Der Polygamie, als Polygynie (Mann – mehrere Frauen) und Polyandrie (Frau – mehrere Männer) widmet er sich im Hinblick auf die Kirche in den Kontexten, in denen nur wenige Männer zugänglich sind und da wo Frauen unterdrückt werden. Er kommt zu dem Schluss dass die Kirche unterschiedliche Strategien entwickelt hat mit dieser Form menschlichen Zusammenlebens umzugehen. Die Motivation für die Kirche ist dabei rein praktisch bedingt. Eine theologische Verteidigung einer monogamen heterosexuellen Beziehung sieht er im westlichen Kulturkontext verankert und angesichts der vielfältigen unterschiedlichen Gesellschaftssysteme nicht als allgemein gültiges Postulat (S. 95-97).

An dieser Stelle widmen wir uns aus Platzgründen des siebten Kapitels zur Politik. In diesem Kapitel wird besonders der normale zeitgeistliche Einfluss in der Anthropologie deutlich. Das Zusammenspiel von Gesetz und Politik wird meist unter dem unzureichenden Gesichts­punkt der besser oder weniger entwickelten „öffentlichen Institutionen“ behandelt (S. 129). Jede Gesellschaft besitzt jedoch wirksame Systeme um Disput und Konflikt zu regeln und so­mit die innere und äußere Ordnung zu garantieren (Hoebel). Diese Institutionen und ihr Miteinander sollten Gegenstand der Kontextualisierung sein, wenn in der Christlichen Entwicklungs­hilfe biblische Rechtssysteme in einen neuen kulturellen Kontext eingeführt werden (S. 130). Zudem ist dieser Vorgang in sich zutiefst politisch und muss auch von der Kirche als solcher angesehen werden.

Im zehnten Kapitel über Kolonialismus, Neo- und Postkolonialismus weist Rynkiewich auf die enge und unauflösbare Verzahnung von Anthropologie und Missiologie als kolonialistischer Aktivität in Historie und Gegenwart hin (S. 169). Ob man mit ihm so weit gehen möchte und den westlichen Schöpfungsnarrativ – die Suche nach Eden und das gelobte Land – als Ursache des Kolonialismus annehmen möchte, bleibt zu hinterfragen. Er macht jedoch deutlich, dass sich die christlich-biblische Hermeneutik über die Jahrhunderte hinweg durchaus flexibel auf die Rechtfertigung des Kolonialismus einließ (S. 186-188). Politische und kirchliche Interessen lassen sich im Rückblick kaum trennen. Ein kenotischer (Kenosis = Selbstentleerung) Ansatz scheint ihm ein Mittel aus dem Dilemma zu sein (S. 197). Wie eingangs schon erwähnt, wird aufgrund der Verstädterung der Menschheit, der Globalisierung aufgrund der anschwellenden Mobilität und dem damit einhergehender zunehmenden Normalfall der „Diaspora“ manches fraglich. Ob Menschen nun innerstaatlich oder weltweit migrieren (wer lebt denn noch in seiner „Heimat“), „Diaspora“ beschreibt nunmehr den Menschen außerhalb seiner angestammten „Heimat“. Ein statisches Verständnis von „Kultur“, „Muttersprache“, dem Individuum als „Person“ und sogar der Objektivität in der Wissenschaft der Anthropologie ist heute nicht mehr haltbar. Vielmehr treten intersubjektive und dekonstruktive Merkmale bei der Gesellschaftsbeschreibung in den Vordergrund. Zuerst muss die eigene Subjektivität benannt, dann der Gegenstand der Untersuchung dekonstruiert und dann wieder im Hinblick auf die anthropologische Beschreibung konstruiert werden (Derrida).

Abschließend sei gesagt, die hier angerissene Kritik am Missbrauch der Anthropologie im Rahmen der Missiologie sind sehr zentral aber nicht neu. Es wiegt schwer, dass sich die Missiologie hier entgegen besseren Wissens nicht bewegt und ihre statische Sicht auflöst. Rynkiewich hat in diesem kurzen Abriss zum Miteinander der Anthropologie und Missiologie Probleme angerissen, jedoch meines Erachtens keine alternativen Methoden aufgezeigt, die dem Missiologen ermöglichen nun anthropologisch zu arbeiten. Hier ist die Anthropologie selbst schon wieder einiges weiter, wie die Ansätze des Intersubjektivismus und des Dekonstruktivismus zeigen. Bernard in Research Methods in Anthropology (2006) und Barnard in History and Theory in Anthropology (2000) nähern sich in ihren Darstellungen der Missiologie mehr an. Gerade die praxisbezogene „angewandte Anthropologie“ lebt vom Vergleich sozialer und kultureller Eigenheiten, für die eine strukturalistische Perspektive nötig ist.

Rezensionen

Wir wollen aktuelle Beiträge rund um die evangelische Missiologie und ihrer Hilfsdisziplinen zu den Themenbereichen

  • Geschichte, Ansätze, hermeneutische und exegetische Forschung im Bereich der Missiologie
  • Anthropologie
  • Theologie
  • Soziologie

vorstellen und in Rezensionen besprechen. Gerne würden wir dadurch in die Diskussion kommen und freuen uns über Beiträge, Vorschläge oder Ideen.

Kirchlicher Entwicklungsdienst in Zeiten politischer Umbrüche – Der »Orient« um die Jahrhundertwende (19./20. Jh.)

Ein historisch-postkolonialer Blick aus den Disability Studies auf soziale und wissenschaftliche Errungenschaften

 

Eberhard Werner

 

Abstrakt

In diesem Aufsatz wird der historische Diskurs um die christlich-islamische Annäherung im Orient um den Jahrhundertwechsel zum 20. Jh. hinsichtlich der Aufgabenstellungen für christliche Entwicklungshilfeorganisationen betrachtet. Die auftretenden Machtkonflikte stehen stellvertretend für den christlich-islamischen Diskurs dieser Zeit. Die sogenannten »Kontaktzonen« dieser Begegnungen fanden zu unterschiedlichen Epochen und in unterschiedlichen Lebensbereichen statt, weshalb die historische Analyse der »Kontaktzonen« bedeutsam ist. Untersucht wird die Entwicklung und Einflussnahme christlicher Entwicklungshilfeorganisationen und ihrer Akteure auf die damaligen politischen und religiösen Entfaltungen. Dabei werden folgende Schwerpunkte und Entwicklungen eingegrenzt und betrachtet: *Druckerzeugnisse und Bibelübersetzungen, *Bildungs- und Forschungsschwerpunkte, insbesondere von wissenschaftlichen Gesellschaften der Orientalistik, *die Bedeutung transnationaler zentraler Anlaufstellen, sogenannter Stationen, Schulen, Hospitäler, und zuletzt *der Diskurs um marginalisierte Bevölkerungsschichten und der Unterhalt von Waisenhäusern, Heimen und Anstalten. Im Rahmen der Disability Studies ist der integrative und inklusive Teilhabegedanken der Akteure von besonderem Interesse. Die Christoffel Blindenmission (CBM) mit ihrem pädagogisch-diakonischen Ansatz, gegründet 1907/1908 als Christliche Mission im Orient, bildet ein Beispiel der Betrachtungen. Der hier angewandte ethnographische Zugang weist über diachron-postkoloniale Diskurse auf diese als »Orient« bekannte Region. Sie umfasst Ostanatolien, West Iran, Nordirak und Nordsyrien.

1. Islamisch-christliche Diskurse im Orient – Historische Beobachtungen

Dieser Beitrag ist aus christlich-westlicher Perspektive verfasst. Im Rahmen eines intersubjektiven Zugangs ergänzen eigene Erfahrungen, Beobachtungen und Recherchen aus dem Forschungs­gebiet die historischen Fakten.

Im 19. Jh. gewinnt der »Orient« erneut an Zauber für die europäischen und amerikanischen Mächte. Dieser Welle ging eine ähnliche Faszination im 11–12. Jh. voraus. Sie wurde vor allem durch die politisch-religiösen kirchlich inszenierten militärischen Kampagnen (»Kreuzzüge«) sowie einigen Richtung Asien pilgernden Abenteurer angeregt (z. B. dem italienischen Marco Polo *1254–†1324). Aus dieser Zeit ist uns die Begegnung des Heiligen Franziskus (*1182–†1226) mit dem ägyptischen Sultan Al-Kamil Muhammad al-Malik (*1177–†1238) im Jahre 1219 überliefert. Deren Gespräche stehen für den Beginn des interreligiösen Dialogs zwischen Christentum und Islam. Entgegen dieses positiven Ereignisses muss diese Epoche auch als erste Welle kolonialistischer Bestrebungen des Westens im Orient betrachtet werden. Ihnen gingen islamisch-kolonialistische Bestrebungen im 8. Jh. voraus, die über Nordafrika bis nach Westeuropa reichten. Die »reconquista«, dt. Wiederbefreiung, der iberischen Halbinsel beendete die 780jährige islamische Herrschaft über Spanien und Portugal. Sie begann im Jahre 711 und endete 1492. Nach dem Fall Konstantinopels und der Byzantiner im Jahre 1453 durch den osmanischen Imperator Sultan Mehmed II. dem Eroberer (*1432–†1481), wendete sich der begehrliche Blick der west­lichen Mächte auf die Weltentdeckung bzw. -eroberung. Der Italiener Christoph Columbus (Genua; ~*1451–†1506) wurde das bekannteste Gesicht dieser Zeit.

Vor allem die anti-osmanische Stimmung der Reformation, ausgelöst durch die osmanischen Belagerungen Wiens in den Jahren 1529 durch Sultan Süleyman I. den Prächtigen (~*1494–†1566) und 1683 durch Großwesir Kara Mustafa Pascha (~*1634–†1683), die als »Türkenkriege« in die Geschichte eingingen, stellte den Tiefpunkt europäisch-osmanischer Beziehungen dar. Mit König Friedrich I. (*1657–†1713) kamen als osmanisches Ehrengeschenk zwanzig türkische Lanzer in das Heer der »Langen Kerle«. Zur Wohlbekundung wurden ihnen in Berlin eine islamische Gebetsstätte, ein Friedhof und eine islamische Gemeindegründung im Jahre 1739 erlaubt. Mit diesem Schritt, dem diplomatische Beziehungen vorausgingen, schlug man die politische Brücke nach Konstantinopel.

Im 19. Jh. begannen der American Board of Commissioners for Foreign Missions (ABCFM)1Gegründet im Jahre 1810 in Massachusetts als Folge des Second Awakening. Diese Institution ging ab 1957 auf in der United Church of Christ. und die British and Foreign Bible Society (BFBS)2Gegründet im Jahre 1804 in London durch William Wilberforce von den Clapham Heiligen oder Clapham Abspaltung (Spottname). Heute ansässig in Swinton/ UK. ihren Blick und die Arbeit auf den Orient zu konzentrieren. In dieser Zeit fällt auch das allgemeine Interesse christlich-diakonischer Organisationen an China (Hildesheimer Blindenmission) und dem Fernen Osten3Die Hildesheimer Blindenmission hat diesen Fokus und muss im Zusammenhang zu Hudson Taylors (*1832–†1905) China Inland Mission (heute Überseeische Missions­gemein­schaft) gesehen werden. Ausführlich Ortmann, Bernhard 2017. Die Hildesheimer Blindenmission in Hongkong: Blinde und sehbehinderte Kinder in Werk und Wahrnehmung einer Frauenmission, ca. 1890-1997. Stuttgart: Franz Steiner. (Christliche Mission im Orient, heute Christoffel Blindemission), fernerhin der christliche Dienst durch ledige Frauen sowie die medi­zi­nische Ausrichtung und die Herausbildung christlicher Entwicklungs­hilfeorganisationen. Dieser Artikel blickt auf Ostanatolien, den West–Iran, Nord­irak, Libanon und Nordsyrien. Damals hatten politische und ökonomische Kräfte sowie amerikanische christliche Entwicklungskräfte den Orient als opera­tiv-diakonisches Wirkungsfeld entdeckt.4Uta Zeuge-Buberl nennt das Jahr 1819 als Beginn der Tätigkeit des ABCFM im östlichen Teil des Osmanischen Reiches. 80 christliche Arbeiter mit ihren Familien ließen sich auf längere Zeit dort nieder (2017:13-14). Damals öffneten sich die Osmanischen Autoritäten den Westmächten, wobei in erster Linie Frankreich unter Napoleon Bonaparte mit den Osmanischen Herrschern kooperierte, Deutschland trat als militärische Schutzmacht und Amerika als neue Nation insbesondere für Erfindungsgeist und Neuentwicklungen in Erscheinung. Er trat in der westlichen Literatur, der Wissenschaft und der Politik als strategisches Forschungs- und Hand­lungsobjekt in den Vordergrund.5Karl Mays erfundene Reiseerzählungen spiegeln diese Zeit wider. Er verherrlicht entsprechend dieser Epoche den Orient im Durchs wilde Kurdistan [1881 endgültig 1892]. Interessanterweise bricht er unter der Last der Realitäten des Orients bei seinen späteren Reisen im Jahre 1899-1902 seelisch zusammen.Wie noch gezeigt wird, haben die akademische westliche Orientalistik, die Ägyptologie, die Iranistik und auch die Islam- und Religionswissenschaften ihren Ursprung in dieser geschichtlichen Periode.

Die Basler Mission wurde im Jahre 1829 von Robert Pinkerton gefragt, ob sie nicht eine Arbeit im Orient unter »Kurden«6Die Begriffe »Kurde«, »Kurdistan« oder »kurdisch« bezeichnen ein politisches, ethnisches und religiöses Konglomerat von Völkern und Sprachgruppen. Sie sammeln sich um das Taurus- und Zagros-Gebirge, den westiranischen Hochebenen, dem nordsyrischen Wüstengebiet und dem Nordirak. Eine Theorie besagt, dass die Bezeichnung vom Knirschgeräusch »kurr, kurr, kurr« beim Durchlaufen des Schnees stamme. Entscheidend ist, dass weder die Völkergemeinschaft noch die »Kurden« selbst bis heute ein Staatsgebilde ihr Eigen nennen oder ihnen, außer im Nordirak (Sorani-Gebiet), autonomes Herrschen möglich wäre. beginnen wolle. Er selbst war ein in Russland tätiges Mitglied der British and Foreign Bible Society (gegr. 1804). Die Mitarbeiter Christian Gottlieb Hoernle (*1804-unbek.; Ludwigsburg/ Süddeutschland) und F. E. Schneider kamen 1834 in Tabriz an. Später stießen Christian Friedrick Hass [*1801] und Asahel Grant zu ihnen. Sie gehörten dem ABCFM an. Dieser war 1810 gegründet worden und seit 1870 eine kongregationalistische Körperschaft, die sich ab 1957 in die United Church of Christ integrierte. Von Anfang an war der ABCFM eng liiert mit dem Presbyterian Board of Foreign Mission (gegr. 1837), heute Presbyterian Mission Agency. Hoernle gab nach zweimaliger Reise durch das Gebiet »Kurdistan« das Projekt aufgrund linguistischer, rassenideologischer7Die ideologische Rassenlehre hatte im 19. und 20. Jh. ihren Höhepunkt. Aufgrund des Nationalsozialismus und dem damit einhergehenden Missbrauch geriet sie ins wissenschaftliche Aus. Erst aufgrund der wissenschaftlichen Möglichkeiten der 1980er Jahre des letzten Jahrhunderts, insbesondere die DNA und die Gene zu analysieren, findet die genetisch-bedingte Rassen- und Abstammungslehre im wissenschaftlichen Raum, vor allem in der Kulturanthropologie und der Archäologie sowie der Forensik wieder neu Gehör (D’Andrade 1995:1-2 biological anthropology). und logistischer Herausforderungen auf. Er nannte folgende seiner Meinung nach unlösbaren Herausforderungen:

  • die Völker-, Sprachen- und Dialektvielfalt Ostanatoliens (Armenisch, Türkisch, Kurmanji, Zazaki, Domari, Lazisch, Lom etc.),
  • das historische Gewalten- und Mächtepotential. Insbesondere folgende politische Kon­stellationen: das Großreich Armenien, die Region Kurdistan, die russische Besatzung sowie die Kolonialbesatzung Italiens, Frankreichs und Großbritan­niens,
  • die Eigenart tribaler kurdischer Völker, die innerhalb ihrer Stämme und Clans als Nomaden und Räuber ihre Umgebung durchstreiften. Sie galten als unerziehbar. Zuletzt
  • das geografisch schwer zugängliche und klimatisch herausfordernde Operationsgebiet: Hohe Bergketten (z. B. Taurus, Nemrut), tiefe Fluss- und Bachläufe (Euphrat, Tigris, Pulumur, Murat) und Hochebenen mit gefährlichen Höhlen, Einschnitten und Muränen (Blincoe 1998:37 er beruft sich auf Waldburger 1983).

Gleichzeitig reisten im Jahre 1830 die christlichen Entwicklungshelfer Eli Smith und Harrison Gray Otis Dwight (ABCFM) von Smyrna (heutiges Izmir) ins Innere Anatoliens und bis nach Ostanatolien (:30). Unmittelbar nach dieser Entdeckung des Orients, kam eine ganze Welle westlicher christlicher Entwicklungs­helfer in dieses Gebiet. Sie verstanden sich selbst als »Botschafter Christi« (ambassadors for Christ) nach 2Kor 5:20 und werden heute in der Geschichts­forschung als »Kulturvermittler« oder »kulturelle Mittler« bezeichnet, da sie kulturelle Informationen von einem Kulturkreis in einen anderen und zurück vermittelten (Zeuge-Buberl 2017:16). Die osmanischen Hoheiten und die Führer der lokalen ethnischen Volksgruppen bezeichneten sie als christliche »Missionare«. Der Begriff fand von da an eine bis heute andauernde negative Konnotation, die mit »Imperialist, Faschist, Eindringling, Staatsfeind, Spion« oder ähnlichem einhergeht.8Interessanterweise findet sich im öffentlichen Raum in der Türkei der englische Begriff »mission« dt. Mission wertneutral im Sinne von Auftrag/ Aufgabe. Website-Auftritte oder Beschreibungen türkischer Institutionen benutzen den Begriff zusammen mit engl. »vision«“ dt. Vision/ Zielsetzung. Im Gegensatz dazu benutzt und definiert die Wahlpropaganda türkischer Politiker den türk. Begriff »missionarlar«, dt. Missionare, auf ihren Werbeplakaten als staatsfeindliche Elemente (eigene Beobachtungen). Dies ist ein wesentlicher Unterschied zum afrikanischen oder fernöstlichen Kontext, wo die Wahrnehmung christlich-kirchlicher Entwicklungshilfedienste und ihrer Akteure eher positiv aufgenommen wurde. Emische (Insider-Perspektive) und etische (Perspektive von außen) postkoloniale Studien setzen an diesem Punkt sehr verschieden an. Der von christlichen Akteuren im Kontext des historischen Entwicklungsdienstes vertretene Kulturimperialismus (cultural imperialism) wird in der Forschung als westlich-christliche Arroganz gewertet, die darauf setzt, dass die westliche ökonomische, militärische und humanistische Überlegenheit auf dem Fundament des Christentums ruhe.

Das anfängliche Interesse am Islam ging zwar nicht verloren, entwich aber mehreren Ventilen. Dies hatte unterschiedliche, mindestens aber zwei Hauptgründe: Zum einen traf die Selbstwahrnehmung der moslemischen Herrscher und Bevölkerung als dem Westen überlegen, die christlichen Arbeiter tief in deren kulturimperialistischen Ansatz. Die eigene Überlegenheit christ­licher Werte wurde in ihrer Grundfeste erschüttert. Zum zweiten war das in aller Härte verfolgte Konvertierungsverbot der islamischen Herrscher eine riesige Hürde. So richtete sich der Fokus auf die jüdische sowie die nicht-islamische Bevölkerung und speziell auf die christlichen Völker (Armenier, Aramäer) und Volksgruppen (Nestorianer, russisch-orthodoxe, Georgier) im Bereich Ostanatolien, des heutigen Libanon, Nordsyrien, des Irak und Persien. Der anfängliche Dialog mit der jüdischen Bevölkerung blieb ebenso fruchtlos wie auch mit den Moslems. Bei den christlichen Völkern und Volksgruppen regte sich Hoffnung auf Befreiung vom Joch des Islam, insbesondere der Steuer- und Abgabe­lasten, die der dhimmi-Status, als geduldete Mitbürger im Raum des dar as Salam »Haus des Islam« mit sich brachte. Sie öffneten sich deshalb zuerst den westlichen Kulturvermittlern. Doch schon früh fürchteten die Kirchen­obersten den Zerfall eigener Strukturen. Als »(Neu-)Nestorianer« bezeichnet, bildeten sich lokale Kirchen nach westlichem Muster. Sie sonderten sich von den angestammten Kirchen ab (Blincoe 1998:33, 35). Insbesondere die armenisch-orthodoxe Kirche, die assyrischen Kirchen und die Nestorianer ergriffen Abwehrmaßnahmen bis hin zur Anrufung der osmanischen Autoritäten. Gleichzeitig ahnten die islamischen Völker (Kurden, Lazen, Zaza) eine Bedrohung durch eine Machtzunahme ihrer christlichen Nachbarn.

Die kurdischen Führer gerieten zudem in politischen Konflikt mit den osmanischen Machthabern in Konstantinopel (erst 1930 offiziell Istanbul). Seit 1840 machte nämlich die Hohe Pforte (Herrscherhaus in Konstantinopel) ihren Einfluss im Osten durch den Telegraphen und strategisch platzierte militärische Stützpunkte unmittelbar geltend. Die Selbstbereicherung kurdischer (»mir«) und armenischer (»raya«) Stammesherrscher wurde beschnitten. Die von Kurden betriebene, oftmals sklavenähnliche Unterdrückung christlicher Minderheiten wurde unterbunden (Kieser 2000:120), da diese in Folge der tanzimat-Reformen des Jahres 1839 als staatlich souveränes millet (dt. »Volk«) unter dem Schutz der Hohen Pforte standen (zum Problemfeld siehe unten). Die so entstandenen »Kontaktzonen« (contact zones) bildeten Reibungsflächen unterschiedlichster Interessen und Machtpotentiale (Pratt 1991:34)9Pratt, Marie Louise 1991. Arts of the Contact Zone. Profession. Modern Language Association of America 19, 33–40. New York: MLA..

2. Zermalmt zwischen politischen Kräften – Politisch-ethnische Diskurse

Erstaunlich ist, dass trotz politischer Instabilität in diesen Regionen sich christliche Kulturvermittler im Rahmen des kirchlichen Entwicklungsdienstes um inklusive pädagogische Ansätze verdingten. Pfarrer Ernst Lohmann (*1860–†1936; Deutscher Hilfsbund gegr. 1896), Dr. Johannes Lepsius (*1858–†1926; Deutsche Orientmission – DOM gegr. 1895 und Lepsius Deutsche Orientmission – LDOM gegr. 1917) sowie der Schweizer Hilfsbund hatten schon Waisenhäuser im Osmanischen Reich unter pädagogischen Gesichtspunkten gegründet. In diese Zeit fällt auch die Arbeit der Geschwister Christoffel. Der politische Diskurs um das Einsatzgebiet der Christlichen Mission im Orient (gegr. 1908), die nach dem Tod Ernst Jakob Christoffels (*1876–†1955) in Christoffel Blindenmission (CBM) umbenannt wurde, kann nicht verstanden werden, ohne die damaligen, und bis heute andauernden Konfliktpotentiale anzureißen. Insbesondere die Entwicklungen um das zerfallende Osmanische Reich ab der Mitte des 19. Jh. sind bedeutsam. Hierzu gehören die sogenannte politische »Kurdenfrage« und das religiöse Problemfeld der »Aleviten«, einer zoroastrisch-gnostischen Glaubensrichtung, die sich aus türkischen, kurdischen und zazaischen Anhängern zusammensetzt. Diese beiden, bis heute ungelösten Herausforderungen aus osmanischen Zeiten, bilden die Ausgangslage für die Begegnung der Machtparteien in Ostanatolien. Beide Fragen werden zu politisch-religiösen, da sie eine ethnische Differenzierung und religiöse Freiheit fordern. Diese Freiheiten zu geben, waren die Autoritäten sowohl im Osmanischen Reich (Konstantinopel), mit der damaligen millet-Lösung (s. tanzimat-Reformen unten), wie auch in der modernen zentralistisch geführten türkischen Republik (Ankara), nur bedingt bereit. Wie es dazu kam und wieso die christliche Entwicklungshilfe dort hinein wirkte soll nun betrachtet werden.

Die zahlreichen »kurdischen« Aufstände machen dies deutlich. Es sind vor allem die christlichen Kulturvermittler, die biographisch als Zeitzeugen von diesen Ereignissen berichteten. Organisatorisch zählen hierzu der ABCFM, der eng mit dem Presbyterian Board of Foreign Mission (siehe oben) kooperierte, die BFBS und später diejenigen deutschen christlichen Werke, die den Orient fokussierten.10Zur positiven Auswirkung christlicher Dienste weltweit und historisch siehe Kieser (2000:24) in 7 Thesen oder auch Zeuge-Buberl (2017:16-17, 26).

Die moderne Periode der Rebellionen beginnt mit Bedr Khan (Bedri Khan/ Bedr Khan/ Bedir Khan; *1803–†1868). Er wurde berühmt für ein von ihm entwickeltes Alphabet der kurdischen Sprachen Kurmanji und Sorani. Seine Bemühungen waren rein politischer Natur, also weniger kurdisch-nationa­l­istisch als vielmehr an tribalistischer Machtzunahme und Einflussnahme orientiert (Heper 2007:44–45). In Absprache mit der osmanischen Führung verantwortet er zusammen mit Nurallah aus Hakkari und Agha Ismael Pasha aus Amadiya zwei Massaker gegen die christlichen Assyrer im Raum Mosul und nördlich davon im heutigen türkischen Mardin. Zuerst im Jahre 1843 und dann im Jahre 1846 werden über 10.000 christliche Assyrer hingerichtet. Aus dieser Zeit berichten die presbyterianischen Entwicklungs­helfer Justin Perkins and Asahel Grant (Blincoe 1998:15).

Im Jahre 1880 rief Scheich Ubeydullah (*1826–†1883) zur Gründung eines islamischen Kaliphates unter kurdischer Führung im Gebiet um Şemdinan, Provinz Hakkari, auf (Kieser 2000:127–132). Sein national-kurdischer Aufstand gründete auf einer religiösen Eschatologie naher Heilserfüllung (Olson 1989:1–2).11Eschatologische Gerichts- und Heilsdeutungen sind Teil abrahamitischer Religionen. Naherwartungen, Heilsversprechen und das Auftreten charismatischer Führer, die als Messias, Mahdi oder Prophet in Erscheinung treten, finden sich sowohl in der jüdischen, der christlichen als auch der islamischen Geschichtsschreibung. Jüngst war es ISIS/ Daesh, die solche religiösen Heilsversprechen politisch zu ihrem Vorteil nutzten. Nicht immer müssen diese Bewegungen blutig oder militärisch ablaufen, sie sind jedoch immer exklusiv in ihrem Auftreten (z. B. Zeugen Jehovah, Jesuiten, Chassiden, Mewlana, Ahle Haqq). Er war eine Reaktion auf politische Machtveränderungen. Sultan Mahmud II. (*1784–†1839) und sein reformbegeisterter Sohn Sultan Abdulmejid I. (*1823–1861) generierten die durch die Aufklärung bewegten tanzimat-Erlasse (türk. „Reorganisation“) im Hinblick auf eine Modernisierung. Sie galten von 1839 bis 1876 und endeten mit der ersten konstitutionellen Epoche. Sultan Abdulhamid II. (Abd ul Hamid II. bei Renz 1985:66) richtet sie an einem islamisch-religiösen Kurs aus (Kieser 2000:120-121; Heper 2007:44). Das Einflussgebiet Ubeydullahs reichte von der heutigen Region Hakkari, Van- und Urmia-See bis in die Nordprovinzen Iraks.12Diese Region wurde im Übergang vom Osmanischen Reich zur türkischen Republik 1919–1920 von dem kurdischen Separatisten Simko Schikak geführt und in den Nachwirkungen des Zweiten Weltkrieges für wenige Monate des Jahres 1946 als kurdische Republik Mahabad ausgerufen. Er war eine Führungspersönlichkeit aus dem bis heute einflussreichen sunnitischen Nakshebendi-Orden. Dieser kann bis ins 15. Jh. zurückgeführt werden, er erreichte aber seine Blüte im 19. Jh. (Bruinessen 1992:273-274; Levtzion 1997:150-151). In 1881 ergab Scheich Ubeydullah sich den Osmanischen Autoritäten und kam ins westliche Exil nach Istanbul und anderswo (Olson 1989). Der christliche medizinische Entwicklungshelfer Dr. Joseph Cochran vom Presbyterian Board of Foreign Mission zeugte von dieser Zeit, da er als dessen Leibarzt, wenn auch nicht mit Scheich Ubeydallahs Politik einig, im engen Austausch stand (Kieser 2000:129). Es war bei den Machthabern Usus und hatte auch einen gewissen Schick sich ausländischer oder nicht-islamischer Fachkräfte zu bedienen. Um das Konfliktpotential zwischen kurdischen und osmanischen Kräften auszugleichen, gründeten die Osmanen unter Kalif Abdulhamid II. (*1842–†1918) ab 1878 die »leichte Kavallerie«. Sie hießen in Anlehnung an den Namen des Kalifen »Hamidiye«–Einheiten. Als Eliteeinheiten konnten sie sich direkt auf ihn berufen. Sie waren organisatorisch größeren osmanischen Einheiten zugeordnet, bestanden aber zum Teil aus relativ autonomen kurdischen Militärs (Olson 1989:7–13, 18–19). Diese Einheiten waren es auch, die wesentlich die Massaker an den Armeniern, den christlichen und nicht-islamischen Volksgruppen (Aramäer, Griechen, Yeziden, Aleviten) austrugen, koordinierten und initiierten.

In 1918–1922 kam es westlich des Urmia-See im Iran zur ersten politisch motivierten »kurdischen« sogenannten Simko Shikak Revolte. Gleichzeitig entbrannte in der noch nicht etablierten Türkischen Republik, in den Provinzen Sivas, Tunceli (früher Dêsim/ Dersim), und Erzincan, dem alevitischen Dreieck, ein Konflikt mit den herrschenden sunnitisch–islamischen Moslems. Als Folge des Vakuums der beendeten kolonialen Besatzung13Festgehalten im Vertrag von Sèvres festgehalten am 10. August 1920. kam es zur politischen Instabilität. Im Jahre 1921 entbrannte dort die religiös motivierte alevitische Kızılbaş Koçgiri Revolte, auch Ümraniye Hadisesi (dt. Vorfall von Ümraniye) genannt (1989:32, 35-38).14Türk. Kızılbaş heißt »Rotkopf« und soll von der roten alevitischen Kopfbedeckung stammen. Sie hatte die politischen Querelen im Übergang zur Türkischen Republik (1923) als Hintergrund. Nuri Dersimi (Dêsimi), war ihr bekanntester Vertreter (Olson 1989:28-29).

Dieser von zazaischen Aleviten initiierte Aufstand wurde blutigst niedergeschlagen und bildete die Grundlage für den sogenannten zaz. tertele (dt. »Aufruhr«), welcher 1938 zur Vernichtung und Verwüstung von zahllosen Dörfern und ganzen Landstrichen um das heutige Tunceli führte. Ihm folgten ab 1938 Massenvertreibungen, die Etablierung von staatlich bezahlten »Dorfwächtern« (Einheimische) und dauerhafte lokale türkische, auch militärische Präsenz. Dieser Aufstand brannte sich in das kollektive Gedächtnis der alevitischen Zaza und wurde unter Pir Reza/ Rıza ausgeführt (Kieser 2000:20; zaz. pir dt. „Ältester“). Politisch endete damals die Ära des Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk (*1881–†1938) und Unsicherheit machte sich breit.

Dazwischen kam es zum sunnitisch geprägten kurdisch-zazaischen Scheich Said Aufstand im Jahre 1925. Dieser religiös initiierte Aufstand muss als Kräftemessen mit der neu etablierten türkischen Republik und dem untergegangen ebenfalls sunnitischen osmanischen Kaliphat verstanden werden. Das Kaliphat sollte unter kurdischer Führung wiedereingeführt werden.15Die neueste Parallele findet sich in der territorialen Gründung des inzwischen besiegten Islamischen Staates Irak und Syrien (ISIS) durch die gleichnamige Organisation, auch als DAESH bekannt. Deren Territorialansprüche im Grenzgebiet des Nordirak zu Ostsyrien umfassen ebenfalls Siedlungsgebiete der Kurmanji und Sorani sprechenden Kurden. Auch hier hatte der Nakshebendi-Orden seinen Einfluss geltend gemacht. Der Aufstand wurde ebenfalls blutigst niedergeschlagen. Er ging wesentlich von Zaza-Kräften aus, die sich mit anderen kurdischen Stämmen verbündeten, welche sich aber gegen Ende der Revolte abwandten (Olson 1989:35). Den sunnitischen Zaza (Hanifi, Shafi) geriet er zum Symbol des Widerstandes und der Niederlage. Ausländische Berichterstatter und christliche Kulturvermittler waren aufgrund der Weltkriegsereignisse nicht vor Ort oder konnten sich nicht öffentlich äußern. Das Reiseverbot in Ostanatolien hatte auch Ernst Jakob Christoffel getroffen, der nach Tabriz und Isfahan auswich. Angefangen hatte er mit seiner jüngeren Schwester Hedwig Christoffel, sie zog mit ihm als Ersatz für eine damals geforderte Ehefrau, mit einem mehr als 2-jährigen Einsatz in einem Waisenhaus in Sivas (1904 – 1907) unter Leitung des Schweizer Hülfsbundes. Ab 1908 richteten beide ihren Fokus auf sehbeeinträchtigte Waisen in Malatya. Alle pädagogischen Hilfsmittel zur Ausbildung dieses Personenkreises, wie ein türkisches oder armenisches Braillealphabet und Lesematerial wurden von ihnen entwickelt.

Die türkischen Militärputsche 1960,16Im Jahre 1961 kam noch die deutsche Anwerbung türkischer »Gast-Arbeiter« aus Ostanatolien hinzu. 1980 und der sogenannte leise Aufstand 1994 wie auch das als Putsch bezeichnete Ereignis 2016 brachten die Konfliktbereiche erneut in den Vordergrund. Die eintretenden Repressionen führten, wie schon früher zu aramäischen, assyrischen, kurdischen und alevitischen Abwanderungswellen nach Deutschland, Schweden, der Schweiz, den USA und Australien. Diese Reihenfolge beschreibt die Beliebtheit der Migrationsziele. Wie sich diese Aufstände auf die christlichen Organisationen und Arbeiter auswirkte, tritt nun ins Blickfeld.

3. Drei Stoßrichtungen christlicher Entwicklungsdienste im Orient

Das Druckwesen (1), die Forschungsanstalten (2) und die Schulen als pädagogische Zentren (3) repräsentieren die Stoßrichtungen christlicher Entwicklungshilfeorganisationen im 19. und 20. Jh. Der ABCFM hatte sich zuerst auf zentral angelegte Stationen konzentriert. Dem Vorbild militärisch-ökonomischer kolonialer Expansion folgend, wurden Vor- und Außenposten eingerichtet. Sie hatten die medizinische Versorgung und die (Aus-)Bildung hilfesuchender Einheimischer zur Aufgabe. Sie waren in ein strategisches Versorgungs-Netzwerk eingebunden. Dem jüdischen Gesetz (Hebräische Bibel) und dem Neuen Testament folgend stand die soziale Gerechtigkeit vor allem für Waisen, Frauen und marginalisierten Gruppen im Vordergrund. Das Netzwerk folgte dem westlichen Gedanken der Ortskirche, welcher wiederum dem mittelalterlichen Mönchs- und Klosterwesen entsprang. In Afrika und Asien etablierte sich dieses koloniale Expansionswesen, fand jedoch im Orient keinen Zuspruch. Betrachtet man den sozialen Diskurs der zentralen Stationen, so zeigt sich, dass im Orient das soziale Netzwerk durch die militärisch und ökonomisch verknüpfte »Karawanserei«, als Mitte des sozialen Lebens erfüllt wurde. Um sie herum entwickelte sich das religiöse (Moschee, cem-evi dt. »Gemeinschaftshaus«) und ökonomische Treiben (Han­dels­zentren). Die christlichen Ansätze blieben Fremdkörper. Im Laufe der Zeit etablierte sich die medizinische und pädagogische Idee, jedoch kam der ge­sell­schaftsdurchdringende ganzheitliche Ansatz nur bedingt zum Tragen. Hier traf das Waisenhaus, die Gründung von Anstalten für Menschen mit körper­lichen oder mentalen Einschränkungen oder der Unterhalt von Schulen den Nerv diakonischer lokaler Bedürfnisse besser. Namentlich der Schweize­ri­sche Hilfsbund, die Deutsche Orientmission (Dr. Lepsius) oder die Heime von Christoffel sind aufgrund ihres Zielgruppen-Ansatzes (Homogenous Unit Principle nach McGavran 199017Das Homogenous Unit Principle (HUP) wurde von McGavran damit begründet, dass homogene Gruppen nach Sprache, Kultur, Traditionen, Brauchtum und Sitte am besten mit einem kontextualisierten Evangelium zu erreichen seien. Vor allem David Bosch witterte hier einen verborgenen Rassismus und lehnte das Prinzip vehement ab (Frost & Hirsch 2004:51-52). Heutzutage zeigt sich aber gerade, dass der Traum heterogener Gesellschafts-durchdringender Gemeinden oder Kirchen ein Wunschtraum ist. Bis auf sogenannte »sozialen Unschärfen«, das sind 2–4% der Gemeindemitglieder, die aus Neugier, enger Personenbindung oder auch Abenteuerlust die eigene soziale Gruppe für bestimmte Anlässe verlassen, spiegeln die jeweiligen Denominationen ihre Peer Group wieder. Sei es die Mittelschicht etablierter Gemeinden (Brüdergemeinden, Mennoniten, Baptisten, Gnadauer Verband etc.) die junge Generation in speziellen Zielgruppen­gemeinden (ICF, Jesus Freaks) oder auch die Landeskirchen nach ihren verschiedenen Organisationen (CVJM, Pfadfinder).) von Bedeutung.

Aufgrund der mangelnden Resonanz der lokalen Bevölkerungen auf die Stationen blieben nur das Druckwesen zur Verbreitung von (religiösen) Druckerzeugnissen, die Schulen und medi­zi­nische Einrichtungen bestehen. Die Schulen waren von nachhaltiger Wirkung und einige wurden im 20. Jh. in das nationale Schulsystem als professionelle Institutionen überführt (siehe unten). Die angeregten sozialen, politischen und religiösen Impulse können nur erahnt werden.

Wenig ist aus dieser Zeit vom sozialen Diskurs der Menschen mit körperlicher oder mentaler Einschränkung bekannt. Weder, wie sie in der gesellschaftlichen Breite wahr­genommen wurden, noch wie die christlichen Einrichtungen und Organisationen ihnen begegneten, noch erfahren wir von behinderten christlichen Arbeitern des ABCFM, BFBS oder anderen Einrichtungen. Rein statistisch18Es ist davon auszugehen, dass im Durchschnitt 5–10% der Bevölkerung mit Behinderungen leben. Hierzu hat die UNESCO über Jahre Statistiken veröffentlicht. und aufgrund der vielen Kriege und der damaligen beschränkten medizi­ni­schen Möglichkeiten, muss es sich um eine vielleicht unbewusste Verdrängung dieser für die Disability Studies interessanten Fragestellung handeln.

Der inkludierende Blick der pädagogisch-diakonischen Entwicklungshilfe auf Menschen mit visuellen, körperlichen und mentalen Einschränkungen hatte gesamtgesellschaftliche Folgen, die sich jedoch aufgrund der politischen Umbrüche als wenig nachhaltig erwiesen. Aus persönlichen Erzählungen der Nachfolgegenerationen wird die hohe Achtung deutlich, die man diesen Einrichtungen auf lange Zeit zollte (s. Schule in Çüngüş ca. 100 km südöstlich von Malatya, persönliches Interview mit Mahmoud H. 2010).

Wir finden in Christoffels Lebenswerk den Fokus auf diese pädagogische Linie christlicher Entwicklungshilfe. Ebenso folgt er dem Prinzip der Internatsschule, das heißt einer ganzheitlichen Einrichtung im Sinne einer Dienstleistungsanstalt. Hier steht Christoffel ganz in der diakonischen Tradition der christlichen Entwicklungshilfe des 19. und 20. Jh. Zwangsläufig orientierte sich die damalige Arbeit, bedingt durch die Gräueltaten der Machthaber, zunehmend auf die nicht-islamischen Volksgruppen im Orient.

Dem von ihm angeprangerten Kulturimperialismus der amerikanischen Einrichtungen hatten diese schon Mitte des 19. Jh. eine antikolonialistische Engführung ihres Ansatzes auf das Predigen entgegen gesetzt (Zeuge-Buberl 2017:16-17). Doch schien dies für deren Kollegen aus anderen Nationen nicht eindeutig erkennbar. An diesem Punkt darf auch nicht verkannt werden, dass die »amerikanische Kultur« aus ihrer Geschichte heraus eine pluralistisch–heterogene ist und es gravierende Unterschiede zu den ebenfalls vielschichtigen »deutschen Lebenswelten« gibt (z. B. interkulturelle Teams bei Roembke 2000:14, 21 u.a.).

Betrachtet man die Anstrengungen des ABCFM (heutiges Syrien), der American Bible Society (ABS), der London Religious Tract Society, der American Tract Society oder der BFBS, dann werden anfangs die Literaturverbreitung über Druckpressen insbesondere im Türkischen und Arabischen bevorzugt (Zeuge-Buberl 2017:42). Langsam gehen diese Druckpressen in heimische Hände über und bilden die Grundlage für lokale Zeitungen und Druckerzeugnisse. Es kann mit Recht summiert werden, dass die Verschriftung und die Verbreitung von Schriftmaterial in den Handelssprachen der herrschenden Völker im Orient durch die Einwirkung christlicher Kulturvermittler im 19. Jh. vorangetrieben wurde.

4. Forschungsgesellschaften – Vorbereitung pädagogischer Einrichtungen

Vor dem digitalen Zeitalter war die Grundlage eines pädagogischen Ansatzes die Möglichkeit der Verschriftung und der Verbreitung von Wissen über Druckerzeugnisse. Eine Voraussetzung die sich anbahnte. Ab 1840 richtet sich der Blick der Entwicklungshilfeorganisationen auf wissen­schaft­liche Forschungsgesellschaften. Hierzu zählen die American Oriental Society (1842; Sitz in Ann Arbour), Syro-Egyptian Society19Gegründet 1844 in London, ab 1872 vereinigt mit der Society of Biblical Archaeology aus dem Jahre 1870, die im Jahr 1919 ihre Arbeit einstellte., Deutsche Morgen­ländische Gesellschaft (1845 in Leipzig, seit 2006 in Halle) und die Syrien Society of Literature and Arts (1847 in Beirut; Zeuge-Buberl 2017:79–81). Später kommt noch die Deutsche Orient-Gesellschaft (1898 in Berlin) hinzu. Die Idee ist es auf lokaler Ebene Bildung, Forschung und Wissenschaft vor allem auf Türkisch und Arabisch anzuregen. Gleichzeitig sollten im Sinne eines anthro­pologisch-linguistischen und ethnologischen Zuganges die Kulturen und Sprachen des Orients dem westlichen Publikum näher gebracht werden. Diese der Orientalistik, Arabistik und Iranistik verpflichteten Forschungsgesell­schaf­ten sind bis zum heutigen Tage aktiv. Auch universitäre Einrichtungen bilden sich in dieser Zeit heraus. So zum Beispiel das im Jahre 1839 gegründete Robert College, welches 1971 in die Boğazıcı University übergeht (Kieser 2000:101). Spätestens mit der staatlichen Übernahme und Leitung durch heimische Kräfte verlieren diese Institutionen ihre diakonisch-christliche Ausrichtung.

5. Fokus Disability Studies – Waisen und Menschen mit Einschränkung

Ab den neunziger Jahren des 19. Jh. nahm der ABCFM durch Waisenhäuser in Verbindung mit Schulen seine Arbeit in Ostanatolien auf. Ab 1896 waren auch deutsche Entwicklungshelfer der Deutschen Orient-Mission (Friesdorf/ Harz) von Dr. Lepsius (Damianov 2003:24) vor Ort tätig.20Dr. Lepsius war an der Gründung des Hilfsbundes und der Deutschen Orient-Mission im Jahre 1896 beteiligt. Im Jahre 1917 stieg Dr. Lepsius aufgrund des Schweigens und der Haltung der DOM zum Armeniergenozid aus und gründete die Dr. Lepsius Deutsche Orientmission (LDOM). Man grenzte sich von evangelistisch ansetzenden Entwicklungshelfern wie Pastor Wilhelm Faber ab. Dessen Arbeitsgebiet war unter der jüdischen und muslimischen Bevölkerung angesiedelt. Vielmehr traten die Diakonie und der Liebesdienst unter den alteingesessenen Kirchen, vor allem den verfolgten Armeniern, in den Vordergrund. Mit Ernst Lohmann und Dr. Lepsius trat 1896 der Deutsche Hülfsbund für christliches Liebeswerk im Orient in die gleichen Fußstapfen. Die hamidischen Massaker an den Armeniern (1894–1896), benannt nach dem Sultan Abd ul Hamid II., hatten den Fokus vieler westlicher Entwicklungshilfe­organi­sationen augenblicklich auf die Bedürfnisse der fliehenden, entwurzelten, dahin­siechenden armenischen Bevölkerung und dort besonders auf die Kinder, Waisen und hilflosen Personen fallen lassen. Tessa Hofmann beschreibt das kollektive armenische Gedächtnis dieser sowie der Vernichtungen der Jahre 1909, 1914-1915:

Den Inhalt unserer Veranstaltungen bilden jene Ereignisse, die im Armenischen als mets jererni – auf Deutsch das „große Verbrechen“ oder der „große Frevel“ – bezeichnet werden, im Griechischen als sphagi und xerisomos und im Aramäischen als sayfo oder gunhe. Sphagi bedeutet Massaker, xerisomos Entwurzelung, sayfo Schwert (der Vernichtung) und das damit gleichbedeutend verwendete gunhe bedeutet Schicksalsschläge. (Hofmann 2007:17).

Die Geschwister Hedwig und Ernst Jakob Christoffel fokussierten sich auf sehbehinderte Menschen. Ihr pädagogischer Zielgruppen-orientierter diakonischer Ansatz brachte sie zuerst nach Malatya, später Ernst Jakob Christoffel nach Tabriz und Isfahan, den jeweiligen politischen Entwicklungen auf regionaler und lokaler Ebene folgend (Thüne 2007; Schmidt-König 1969). Ziel der Anstalten war die ganzheitliche Ausbildung und gesellschaftliche Integration der Waisen vermittels Berufen, welche Selbständigkeit und Fortbildungsmöglichkeiten garantierten. Sowohl als Handwerker (z. B. Holz- und Textilbearbeitung), Lehrer mit besonderem Augenmerk auf Menschen mit körperlichen und mentalen Einschränkungen als auch medizinisch-therapeutische Berufe zählten zum Repertoire der Anstalten. Zwangsläufig stellte die gesellschaftliche Ablehnung bzw. Unfähigkeit sich mit diesem Personenkreis inkludierend zu beschäftigen, die Entwicklungshelfer vor die Aufgabe die gesellschaftliche Relevanz dieser Personen aufzuzeigen. Erst in der tätigen Diakonie wurde die gesamtgesellschaftliche Bedeutung der Inklusion im Hinblick auf die Integration deutlich. Die Diversität der Gesellschaft spiegelt sich erst in ihrer integrierenden Funktion. Christoffel hatte dies im Blick, blieb jedoch Kind seiner Zeit, dass er sich nicht nachhaltig mit den örtlichen Autoritäten kurzschloss, sondern von außen in die lokalen Strukturen eingriff und so seine Werke die politischen Umbildungen nicht überlebten.

6. Fazit – Christliche Diakonie im inter-religiösen Diskurs

Der anfänglich an die islamische Bevölkerung gerichtete Liebesdienst konzentrierte sich im Laufe der Enttäuschungen auf die traditionellen christ­lichen Kirchen im Orient:

Politisch-religiöse Regelungen engten den diakonischen Spielraum ein. Dazu gehörten das Konvertierungsverbot, die strenge Geschlechter- und ethnische Trennung aufgrund der millet-Regelungen. Letztere bot zwar den unterschiedlichen religiösen und ethnischen Gruppen offiziellen Schutz, wurde aber lokal nicht gewährleistet und marginalisierte diese zusätzlich zu ihrem dhimmi-Status (Bürger mit Sonderstatus).
Die ethnisch-religiöse soziale Diversität der Region forderte sprachliche und kulturelle Anpassung. Hierzu zählen Aramäer, Araber, Romanes, Armenier, Lazen, Kurmanji-Kurden, Zaza-stämmige Gruppen, Türken. Nomadentum, Yeziden, Mystiker (Mewlana), Aleviten und die unterschiedlichen islamischen Rechtsschulen und Ausrichtungen (Hanifi, Schafi, Hanbali, Sufi).
Die streng hierarchisch gegliederten Stammesstrukturen. Lokale Feudalherren treten als Agha (politische Kraft), Pir (politisch-religiöse Kraft), Scheich (politisch-religiöse Kraft), Mir (dt. Prinz, politische Kraft) auf. Diese lokalen Gewalten sind höchst sensibel und schnell zu mobilisieren, sodass Gewaltexzesse selten verhindert werden (z. B. Verleumdung, Raub, Entführung). Aktivitäten durch „Fremde“ werden kritisch beäugt. Die heutige Neustrukturierung nach ökonomischen Faktoren bewirkt ein Vakuum an gesamt­gesell­schaft­licher Kohäsion. Das »Wir« weicht einem »Ich«–Gefühl, welches gemeinsame Bestrebungen verhindert. Dies wird besonders am Volk der Zaza deutlich, die bis heute kein einheitliches Schriftsystem für muttersprachliche Publikationen entwickelten.
Die Topographie Ostanatoliens mit hohen Bergketten, tiefen Tälern und breiten Flüssen. Die schlechte Zugänglichkeit fordert enorme Mobilität und logistischen Aufwand. Hilfsmittel, Versorgung und soziale Kontakte sind nur schwer zu (er–)halten.
Bis auf die letzte Beobachtung, die aufgrund moderner Mobilität nur eine untergeordnete Rolle spielt, sind diese Beobachtungen bis heute zutreffend, wenn auch in veränderter Form. Das türkische Rechtswesen, die Auflösung der Stammesstrukturen sowie die zentrale Bildungspolitik leisten ihren Teil bei der Verschiebung der Grenzen der Kontaktzonen.

Die internationalen Regelungen zur Teilhabe, Integration und Inklusion von Menschen mit Behinderung wurden von den USA/ UK/ Deutschland/ Iran/ Türkei und Syrien im Jahre 2009 und vom Irak in 2013 ratifiziert.21https://treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=IV-15&­chapter=4&clang=_en (Stand 2018-08-09). Keine der damals gestarteten Initiativen mit behinderten Menschen hat die politischen Umschwünge vor Ort überlebt. Nichtsdestotrotz besteht die Christoffel Blindenmission in den Nachfolgeorganisationen weiter.

Es kann abschließend gesagt werden, dass der erzwungene Fokus auf die Armenier und Waisen zur einseitigen Ausrichtung auf die traditionellen christlichen Kreise in Ostanatolien führte. Darüber hinaus war aber das Schicksal der seh-, körperlich- und mental eingeschränkten Menschen in diesem Kontext eine Vision, die nur die Christoffels teilten. Die anderen christlichen Hilfsorganisationen im Orient teilten diese Perspektive nicht. Hier setzen Disability Studies an, da diese Fokussierung so nicht absehbar war. Wie auch bei der Hildesheimer Blindenmission bleibt es weiteren Forschungen überlassen, welche Einflüsse diesen Fokus begünstigten.

Bibliographie

Blincoe, Robert 1998. Ethnic Realities and the Church – Lessons from Kurdistan – A History of Mission Work, 1668-1990. Pasadena: Presbyterian Center for Mission Studies.

Bruinessen, Martin M. van [1989] 1992. Agha, Scheich und Staat  – Politik und Gesellschaft Kurdistans. 2. erneuerte Aufl. Berlin: Edition Parabolis.

D’Andrade, Roy 1995. The Development of Cognitive Anthropology. Cambridge: Cabridge University Press.

Frost, Michael & Hirsch, Alan 2004. The Shaping of Things to come. Innovation and Mission for the 21st-Century Church. 4th ed. Peabody: Hendrickson.

Heper, Metin 2007. The State and Kurds in Turkey. The Question of Assimilation. New York: Palgrave Macmillan.

Hofmann, Tessa 2007. Mit einer Stimme sprechen – gegen Völkermord: Eröffnungsvortrag, in Hofmann, Tessa (Hg.): Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung der Christen im Osmanischen Reich 1912-1922, 17–59. 2. Auflage. Berlin: LIT Verlag.

Kieser, Hans-Lukas 2000. Der verpasste Frieden: Mission, Ethnie und Staat in den Ostprovinzen der Türkei 1839-1938. Zürich: Chronos.

McGavran, Donald A. 1990. Gemeindewachstum verstehen. Lörrach: Wolfgang Simson Verlag.

Olson, Robert 1989. The Emergence of Kurdish Nationalism and the Sheikh Said Rebellion, 1880-1925. Austin: University of Texas Press.

Ortmann, Bernhard 2017. Die Hildesheimer Blindenmission in Hongkong: Blinde und sehbehinderte Kinder in Werk und Wahrnehmung einer Frauenmission, ca. 1890–1997. Stuttgart: Franz Steiner.

Pikkert, Peter 2008. Protestant Missionaries to the Middle East: Ambassadors of Christ or Culture? Hamilton: WEC Canada.

Pratt, Marie Louise 1991. Arts of the Contact Zone. Profession (Modern Language Association of America) 19, 33–40. New York: MLA.

Renz, Alfred 1985. Land um den Ararat: Osttükei – Armenien. Zweite durchgesehene Auflage. München: Prestel.

Roembke, Lianne 2000. Building Credible Multicultural Teams. Pasadena: William Carey.

Schmidt-König, Fritz 1973. Ernst J. Christoffel: Vater der Blinden im Orient. 9. Aufl. Gießen: Brunnen-Verlag.

Thüne, Sabine 2007. Ernst Jakob Christoffel – Ein Leben im Dienst Jesu: Ernst Jakob Christoffel Gründer der Christlichen Blindenmission im Orient, Der Freundeskreis, Die Mitarbeiter anhand von Briefen, Schriften und Dokumenten im Auftrag der Christoffel-Blindenmission. Nürnberg: VTR.

Zeuge–Buberl, Uta 2017. The Mission of the American Board in Syria: Implications of a transcultural Dialogue. Stuttgart: Franz Steiner.

 

 

 

Dr. Eberhard Werner, Institut für evangelikale Missiologie (IfeM), Gießen.

Institut für evangelikale Missiologie

Heegstrauchweg 68

35394 Gießen

 

 

[1] Gegründet im Jahre 1810 in Massachusetts als Folge des Second Awakening. Diese Institution ging ab 1957 auf in der United Church of Christ.

[2] Gegründet im Jahre 1804 in London durch William Wilberforce von den Clapham Heiligen oder Clapham Abspaltung (Spottname). Heute ansässig in Swinton/ UK.

[3] Die Hildesheimer Blindenmission hat diesen Fokus und muss im Zusammenhang zu Hudson Taylors (*1832–†1905) China Inland Mission (heute Überseeische Missions­gemein­schaft) gesehen werden. Ausführlich Ortmann, Bernhard 2017. Die Hildesheimer Blindenmission in Hongkong: Blinde und sehbehinderte Kinder in Werk und Wahrnehmung einer Frauenmission, ca. 1890-1997. Stuttgart: Franz Steiner.

[4] Uta Zeuge-Buberl nennt das Jahr 1819 als Beginn der Tätigkeit des ABCFM im östlichen Teil des Osmanischen Reiches. 80 christliche Arbeiter mit ihren Familien ließen sich auf längere Zeit dort nieder (2017:13-14). Damals öffneten sich die Osmanischen Autoritäten den Westmächten, wobei in erster Linie Frankreich unter Napoleon Bonaparte mit den Osmanischen Herrschern kooperierte, Deutschland trat als militärische Schutzmacht und Amerika als neue Nation insbesondere für Erfindungsgeist und Neuentwicklungen in Erscheinung.

[5] Karl Mays erfundene Reiseerzählungen spiegeln diese Zeit wider. Er verherrlicht entsprechend dieser Epoche den Orient im Durchs wilde Kurdistan [1881 endgültig 1892]. Interessanterweise bricht er unter der Last der Realitäten des Orients bei seinen späteren Reisen im Jahre 1899-1902 seelisch zusammen.

[6] Die Begriffe »Kurde«, »Kurdistan« oder »kurdisch« bezeichnen ein politisches, ethnisches und religiöses Konglomerat von Völkern und Sprachgruppen. Sie sammeln sich um das Taurus- und Zagros-Gebirge, den westiranischen Hochebenen, dem nordsyrischen Wüstengebiet und dem Nordirak. Eine Theorie besagt, dass die Bezeichnung vom Knirschgeräusch »kurr, kurr, kurr« beim Durchlaufen des Schnees stamme. Entscheidend ist, dass weder die Völkergemeinschaft noch die »Kurden« selbst bis heute ein Staatsgebilde ihr Eigen nennen oder ihnen, außer im Nordirak (Sorani-Gebiet), autonomes Herrschen möglich wäre.

[7] Die ideologische Rassenlehre hatte im 19. und 20. Jh. ihren Höhepunkt. Aufgrund des Nationalsozialismus und dem damit einhergehenden Missbrauch geriet sie ins wissenschaftliche Aus. Erst aufgrund der wissenschaftlichen Möglichkeiten der 1980er Jahre des letzten Jahrhunderts, insbesondere die DNA und die Gene zu analysieren, findet die genetisch-bedingte Rassen- und Abstammungslehre im wissenschaftlichen Raum, vor allem in der Kulturanthropologie und der Archäologie sowie der Forensik wieder neu Gehör (D’Andrade 1995:1-2 biological anthropology).

[8] Interessanterweise findet sich im öffentlichen Raum in der Türkei der englische Begriff »mission« dt. Mission wertneutral im Sinne von Auftrag/ Aufgabe. Website-Auftritte oder Beschreibungen türkischer Institutionen benutzen den Begriff zusammen mit engl. »vision«“ dt. Vision/ Zielsetzung. Im Gegensatz dazu benutzt und definiert die Wahlpropaganda türkischer Politiker den türk. Begriff »missionarlar«, dt. Missionare, auf ihren Werbeplakaten als staatsfeindliche Elemente (eigene Beobachtungen).

[9] Pratt, Marie Louise 1991. Arts of the Contact Zone. Profession. Modern Language Association of America 19, 33–40. New York: MLA.

[10] Zur positiven Auswirkung christlicher Dienste weltweit und historisch siehe Kieser (2000:24) in 7 Thesen oder auch Zeuge-Buberl (2017:16-17, 26).

[11] Eschatologische Gerichts- und Heilsdeutungen sind Teil abrahamitischer Religionen. Naherwartungen, Heilsversprechen und das Auftreten charismatischer Führer, die als Messias, Mahdi oder Prophet in Erscheinung treten, finden sich sowohl in der jüdischen, der christlichen als auch der islamischen Geschichtsschreibung. Jüngst war es ISIS/ Daesh, die solche religiösen Heilsversprechen politisch zu ihrem Vorteil nutzten. Nicht immer müssen diese Bewegungen blutig oder militärisch ablaufen, sie sind jedoch immer exklusiv in ihrem Auftreten (z. B. Zeugen Jehovah, Jesuiten, Chassiden, Mewlana, Ahle Haqq).

[12] Diese Region wurde im Übergang vom Osmanischen Reich zur türkischen Republik 1919–1920 von dem kurdischen Separatisten Simko Schikak geführt und in den Nachwirkungen des Zweiten Weltkrieges für wenige Monate des Jahres 1946 als kurdische Republik Mahabad ausgerufen.

[13] Festgehalten im Vertrag von Sèvres festgehalten am 10. August 1920.

[14] Türk. Kızılbaş heißt »Rotkopf« und soll von der roten alevitischen Kopfbedeckung stammen.

[15] Die neueste Parallele findet sich in der territorialen Gründung des inzwischen besiegten Islamischen Staates Irak und Syrien (ISIS) durch die gleichnamige Organisation, auch als DAESH bekannt. Deren Territorialansprüche im Grenzgebiet des Nordirak zu Ostsyrien umfassen ebenfalls Siedlungsgebiete der Kurmanji und Sorani sprechenden Kurden.

[16] Im Jahre 1961 kam noch die deutsche Anwerbung türkischer »Gast-Arbeiter« aus Ostanatolien hinzu.

[17] Das Homogenous Unit Principle (HUP) wurde von McGavran damit begründet, dass homogene Gruppen nach Sprache, Kultur, Traditionen, Brauchtum und Sitte am besten mit einem kontextualisierten Evangelium zu erreichen seien. Vor allem David Bosch witterte hier einen verborgenen Rassismus und lehnte das Prinzip vehement ab (Frost & Hirsch 2004:51-52). Heutzutage zeigt sich aber gerade, dass der Traum heterogener Gesellschafts-durchdringender Gemeinden oder Kirchen ein Wunschtraum ist. Bis auf sogenannte »sozialen Unschärfen«, das sind 2–4% der Gemeindemitglieder, die aus Neugier, enger Personenbindung oder auch Abenteuerlust die eigene soziale Gruppe für bestimmte Anlässe verlassen, spiegeln die jeweiligen Denominationen ihre Peer Group wieder. Sei es die Mittelschicht etablierter Gemeinden (Brüdergemeinden, Mennoniten, Baptisten, Gnadauer Verband etc.) die junge Generation in speziellen Zielgruppen­gemeinden (ICF, Jesus Freaks) oder auch die Landeskirchen nach ihren verschiedenen Organisationen (CVJM, Pfadfinder).

[18] Es ist davon auszugehen, dass im Durchschnitt 5–10% der Bevölkerung mit Behinderungen leben. Hierzu hat die UNESCO über Jahre Statistiken veröffentlicht.

[19] Gegründet 1844 in London, ab 1872 vereinigt mit der Society of Biblical Archaeology aus dem Jahre 1870, die im Jahr 1919 ihre Arbeit einstellte.

[20] Dr. Lepsius war an der Gründung des Hilfsbundes und der Deutschen Orient-Mission im Jahre 1896 beteiligt. Im Jahre 1917 stieg Dr. Lepsius aufgrund des Schweigens und der Haltung der DOM zum Armeniergenozid aus und gründete die Dr. Lepsius Deutsche Orientmission (LDOM).

[21] https://treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=IV-15&­chapter=4&clang=_en (Stand 2018-08-09).

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaften und Missiologie –Beobachtungen und Perspektiven–

Eberhard Werner

Werner [at] forschungsinstitut.net

 

Inhalt

Missiologie und Missionswissenschaften – Eine Standortbeschreibung. 2

Jüngere Entwicklungen rund um Kirche und theologische Ausbildung. 5

Religiöses Erwachen – Umgebungsvariablen. 6

Standortbestimmung Interkulturelle Theologie. 8

Rückblick: Ursprung der Kirche – Priester- und Prophetenamt 9

Zukunftsperspektiven. 12

Zusammenfassung. 14

Bibliographie. 15

 

Abstrakt

»Interkulturelle Theologie« als relativ neue akademische Disziplin beschäftigt sich mit interdisziplinären Diskursen. Wie sie wahrgenommen wird, was sie sein möchte und wohin sie strebt, weist auf ein breites Spektrum an Ideen und Perspektiven hin. Die fachliche Diskussion weicht dabei von der Meinung vieler ab. Schon die Bezeichnung führt viele in eine Richtung, die fachlich gar nicht erwünscht wird. Einige Stichpunkte sollen hier zur Sprache kommen. Letztlich geht es aber um eine Darstellung der Beziehung von Missionswissen­schaften, Missiologie, Interkultureller Theologie zur Theologie. Die unterschiedlichen Handlungsfelder sind in sich eng miteinander verzahnt, teilweise sehr verzahnt. Welche Ausrichtungen, Überschneidungen und Trennungen lassen sich erkennen?

Missiologie und Missionswissenschaften – Eine Standortbeschreibung

»Missiologie« engl. »missiology« ist ein Begriff der wesentlich aus dem anglophonen Bereich entlehnt wird. Im Jahre 1867 wurde in Edinburgh der erste offizielle Lehrstuhl eingeführt. Er existierte nur kurz. Trotzdem blieb Schottland lange eine herausragende sendende Nation christlicher Entwicklungshelfer. Gleichzeitig verlagerte sich die Ausbildung der christlichen Kulturvermittler, wie sie aus anthropologischer Sicht auch genannt wurden[1], in den theologischen oder säkularen Raum hinein. Letzteres zum Beispiel im Falle der medizinischen, pflegerischen, translatorischen, linguistischen oder ökonomischen Entwicklungshilfe. Von Beginn an war die Missiologie im kritischen Balanceakt mit der Theologie. Bis heute wird zwar von der Kirche die Notwendigkeit von Forschung am Themengebiet der »Mission« nicht bestritten, jedoch wird die Überflüssigkeit eigener wissenschaftlicher Disziplinen betont oder das Themengebiet wird der Theologie zugewiesen. Die lokale nationale Kirche wird dabei von deren akademischen Theologie bestimmt. Missiologische Einrichtungen dagegen sind oft privater Natur und global ausgerichtet. Martin Kähler (*1835–†1912) hat Mission als »Mutter der Theologie« bezeichnet, wobei er dies auf die Reflexion der missionarischen kirchlichen Praxis im Rahmen des Neue Testaments bezog (Kähler 1908[2]). Mit dem Wirken von Gustav Warnecke (*1834–†1910) kann von einer deutschen akademischen »Missionswissenschaft« gesprochen werden. Sie begann durch seinen Lehrstuhl in Halle im Jahre 1897. Mit Joseph Schmidlin (*1876–†1944) und seinem katholischen Lehrstuhl an der Universität Münster aus dem Jahre 1914 begann die missiologische Forschung aus dieser Konfession heraus.[3] Er definierte Missiologie als »systematische Kenntnis, Erforschung u. Darstellung der christl. Glaubensverbreitung in der nichtchristlichen Welt« (Schmidlin 1962:453[4]). Münster bildete lange Zeit zusammen mit Louvain in Belgien die treibenden katholischen missiologischen Ideenschmieden. Während erstere »Mission« als Rettung der Seelen verstand, deutete letztere diese als die Ausbreitung der Kirche. Im 2. Vatikanischen Konzil wurde mit Ad Gentes Kapitel 1 Paragraph 6 aus dem Jahre 1965 ein Kompromiss gefunden, der beides verknüpfte:

The proper purpose of this missionary activity is evangelization, and the planting of the Church among those peoples and groups where it has not yet taken root.

Mit Ende des militärisch-expansiven Kolonialismus, ab Mitte der 1960er Jahre, insbesondere dem Abzug aus Nordafrika und dem Nahen Osten (Jenkins 2006:91[5]) wurde in Europa die Ära der staatlichen Forschung zum Thema Mission zurückge­fahren. Im Gefolge entstanden die postcolonial studies (dt. postkoloniale Forschung), welche den Kolonialismus kritisch bewerteten und ihn dekonstruk­tivistisch auf seine soziologischen und ethnographischen Konstruktionen und Diskurse befragte. Die Missiologie lehnte sich hierbei an die sozialen Wissen­schaften an. Im privaten Sektor entstanden wissenschaftliche Ausbildungsinsti­tu­tionen, welche die Missions­wissenschaften in den theologischen Raum hinein integrierten (z. B. Akademien, Bibelschulen, christliche Colleges). Private Einrichtungen zur Ausbildung christlicher Kulturvermittler vertrauten darauf, dass sich die christlichen Entwicklungshelfer im universi­tären Raum auf ihren Dienst vorbereiteten oder boten eigene nicht-akademische Ausbildungen an (z. B. bis 2008 das Seminar für Sprachmethodik bei Wycliff Deutschland). Ab den 1980er Jahren ging auch die öffentliche Wahrnehmung der »Mission« als kolonialistische, militant-fundamentalistische kirchliche Aktivität einher. Nicht nur die nach außen gerichtete globale christliche Entwick­lungshilfe (»Außenmission«) sondern auch die nach innen gerichtete Diakonie (»innere Mission«), der Gemeinde­bau und Kirchengründungen waren in den postmodernen 1980er Jahren umstritten. Die staatlichen Kirchen selbst äußerten sich kritisch zu außer-kirchlichen christlichen Ansätzen. Sie drängten freikirchliche oder nicht-kirchliche Gruppen in die Nähe von Sekten und untersagten Kooperationen. Doch noch mehr setzten sie der internen Erneuerungsbewegung enge Grenzen, sodass diese die Kirchen verließen, wie z.B. die Ansgar-Kirchen (z. B. Schmid 2003[6]). Im katholischen Raum wurde die katholisch-charismatischen Erneuerung nach anfänglichem Zögern und kritisch beäugt ab 1998 durch Papst Johannes II. in die Kirche eingegliedert. Die erste Welle massenhafter Kirchenaustritte verlief parallel zu einem langsamen Verfall der kirchlichen Diakonie, wie z. B. die evangelischen Diakonissen in Baden Württemberg oder Rheinhessen[7]. Kirchen­strukturen wurden verjüngt und ein langsames bis heute andauerndes Groß-Kirchensterben begann. Zudem wurden die in den 1960er gestarteten Gesellschafts–transformatorischen kirchlichen Ansätze wie Stadtvierteler­neuerungen oder ökologische Erneuerungs­programme (Ostermarsch) in den 1980er an politische oder gesellschaftliche Koopera­tions­partner bis hin zur Verstaatlichung übergeben. Die kirchliche Sozialarbeit reduzierte sich erheblich auf das Ehrenamt.

Jüngere Entwicklungen rund um Kirche und theologische Ausbildung

Im akademischen Raum hatten wenige staatliche missions­wissenschaftliche Organisationen sich um den Preis der Unter- und Einordnung in die Theologie durchgesetzt. Die akademische Konsolidierung der missions­wissen­schaftlichen Institutionen führte zu einer Verengung auf die Beschreibung der historischen und staatlichen christlichen Entwicklungshilfe. Gleichzeitig begann ab 1970 im freikirchlichen Raum eine Welle amerikanischer und anglophoner christlicher Entwick­lungshelfer mit Gemeindegründungen in Europa (Wagner 1993-18-22[8]). Sie fingen die massenhaften Kirchenaustritte in »freikirchlichen« Gemein­den auf. Durch die Gründung privater missiologischer Institutionen wurden und werden lokale und nationale Ausbildungen wie Jüngerschafts–Schulungen, Bibelschu­len oder theologische Seminare beflügelt. Den Höhepunkt bilden jedoch hoch bewertete amerikanische Institutionen. Genannt werden sollten das Fuller Seminary (Pasadena/ Kalifornien; gegr. 1947 von Charles E. Fuller), die William Carey International University (Pasadena; gegr. 1977 von Ralph D. Winter), Moody Bible Institute (Chicago; gegr. 1886 von Dwight Lyman Moody) oder auch im europäischen Raum das All Nations Christian College (UK, London) oder das niederländische Cornerstone – WEC International College (NL, Beugen). Sie zeichnen sich durch eine kreative Unabhängigkeit von den bestehenden staatlich–theologischen Institutionen aus. Viele in diesen Institutionen ausgebildete christliche Entwicklungshelfer setzen diese missiologische Kreativität in Europa und weltweit um.

Andererseits erleben die im deutschsprachigen Raum staatlichen Einrichtungen, die sich mit »Missionswissenschaft« beschäftigen, die Dominanz und enge Verknüpfungen zur Theologie.[9] Es entwickelten sich zwei unterschiedliche Strömungen, eine staatliche universitäre akademische Ebene, die nur den eigenen Kirchenmitgliedern mit höherem Bildungsabschluss (Z. B. Abitur) offen stand und eine parallele nicht–öffentliche freikirchliche missiologische Orientierung, die sowohl Abiturienten als auch andere Schulabschlüsse akzeptierten. Letztere waren an praktischer Ausbildung und erstere an akademischer Akkreditierung interessiert. In diese Phase hinein haben sich akademische Kreise gebildet, die außerhalb der etablierten kirchlich–universitären Einrichtungen Fragen rund um die Missiologie bewegten (z. B. die Gemeindeerneuerungsbewegung; die Aktion Verfolgte Christen; der Arbeitskreis für evangelikale Mission – heute kurz missiotop).

Religiöses Erwachen – Umgebungsvariablen

Mit dem Aufbruch des Islam, insbesondere der fundamentalistisch ausgerichteten Expansion des Islam im Jahrtausendwechsel, begann auch ein erneutes religiöses Erwachen der Kirche des Westens, wie es nach den beiden Weltkriegen zu beobachten war. Dies regte das öffentliche Interesse an »Missiologie« erneut an. Das amerikanisch geleitete militärische Westbündnis führte auch zur Neubesinnung westlich–kirchlicher Aktivitäten in Europa. Insbesondere die als Bedrohung empfundenen allerorts ausbrechenden terroristischen Unruhen, zuerst in Nordafrika ausgelöst durch den »arabischen Frühling« (2011) führten zu einer spürbaren Neubesinnung. Die lokale christliche Entwicklungshilfe in den Brennpunktstaaten des Nahen und Mittleren Ostens sowie Nordafrikas trat in den Blick. Plötzlich war diese Arbeit nicht nur aus kirchlich–diakonischer sondern auch aus politischer Sicht attraktiv. Die Migrationswellen nach Europa öffneten den europäischen Kirchenmitgliedern ethnisch-linguistische Einblicke in die Arbeit vor Ort und beleuchteten den Dienst der christlichen Kulturvermittler von neuem. Als Ursachen sind neben ökonomischen Interessen (Wirtschaftsflüchtlinge) zu nennen, der Syrienkrieg (seit 2011), der versuchte Aufbau des islamischen Kaliphates in Irak und Syrien unter ISIS (arab. Daesh, seit 2014 in der Öffentlichkeit), die westliche militärische Afghanistaninitiative bzw. der Rückzug des Westmilitärs aus diesen Gebieten (z. B. USA 2016) und die wiederholten internationalen Sanktionierungen Irans.

Die offiziellen nahöstlichen Verkehrssprachen bilden das Hocharabisch, Farsi, Türkisch und Russisch. Sie werden ergänzt durch das nordirakische Sorani (Zentralkurdisch) und das als Amtssprache nicht-offizielle aber geduldete Kurmanji (Osttürkei, Nordsyrien). Sie werden wie auch die kulturellen Kenntnisse der nordafrikanischen, nah- und mittelöstlichen Völker nun in der europäischen Migrantenarbeit gebraucht. Die christlichen Kirchen dieses geografischen Raumes, egal ob historisch gewachsen oder durch christliche Entwicklungshelfer entstanden, kamen ins öffentliche Bewusstsein, da sie von terroristischen Gruppen (z. B. Daesh in Ostsyrien) und staatlichen Organisationen (z. B. im Iran) verfolgt wurden. Ausgelöst durch diese Entwicklungen kamen Erinnerungen hoch wie z. B. an die Verfolgung und Ausrottung der Armenier (1894–1896; 1910, 1914–1915) im Übergang des Osmanischen Reiches zur türkischen Republik. Kirchliche und politische Kräfte forderten von der Politik offizielle Anerkennungen.[10] Die Themen rund um das Auftreten von christlichem Martyrium[11] und Christenverfolgung riefen eine Welle von Solidarität, Integrationswille und öffentliche Empörung hervor. Ein Erstarken kirchlicher Kräfte und christlicher Werte geht seit den letzten Jahren einher mit einer nationalistisch–politischen Ausrichtung.

Von katholischer Seite ist die Besinnung auf soziale Gerechtigkeit zu nennen. Diese Orientierung des südamerikanischen Papstes Franziskus (*1936–) und die als soziale Ungerechtigkeit empfundene Situation in vielen afrikanischen, süd- und mittelamerikanischen Staaten führt zu ökonomischen Migrationsbewegungen, die wiederum politische Unruhen erzeugen. Die globale Kirche wird seit ihrem befreiungstheologischen Diskurs der 1960er Jahre vermehrt in die Spannung gesellschaftlicher Verantwortung gedrängt. Die hier aufgeführten transkulturellen Diskurse bilden den historischen Hintergrund und damit den sozialen Kontext der Entstehung, der Ausrichtung und des Fokus der »Interkulturellen Theologie«.

Standortbestimmung Interkulturelle Theologie

Mit der Einführung der Disziplin »Interkulturelle Theologie«, als einem hochschulrelevanten Fachgebiet wird die Verhältnisbestimmung zur etablierten Missionswissenschaft zur zunehmend sich im deutschsprachigen Raum entfaltenden »Missiologie« (missiology) sowie zur Theologie neu entfacht. Das Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Missionswissenschaft – DGMW – und der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie – WGTh aus dem Jahre 2005 stellt dieses Verhältnis heraus. Im Verlauf der Diskurse lassen sich drei Richtungen erkennen, es handelt sich um:

  • ein neues Fachgebiet,
  • einen neuen Begriff für das bekannte Fach Missions­wissen­schaft oder der jüngeren Missiologie und zuletzt
  • eine Komplementierung bzw. Ergänzung der Missionswissenschaften.

Im vorgenannten Positionspapier werden letztere im Rahmen von Komplementierung vorgeschlagen. Religionswissenschaft, die Missionswissenschaft und die Ökumenische Theologie sollen im Rahmen der Interkulturellen Theologie eng verzahnt werden. Begründet wird dies mit transnationalen, transkulturellen und interreligiösen Diskursen (besonders Wrogemann 2012). Eine Erweiterung aufgrund der Globalisierung und Digitalisierung scheint den Initiatoren unerlässlich. Ich möchte auf die christliche Theologiegeschichte als dritten Strang dieser Entwicklung hinweisen. Die Geschichte der Theologie ist Teil der Kirchen- und Missionsgeschichte. Gleichzeitig finden sich Besonderheiten, die hervorzuheben sind. Solche Hervorhebungen lassen sich in gleicher Weise auch für andere Bereiche nachweisen, z. B. der Geschichte der Wissenschaft der Bibelübersetzung und anderer Teildisziplinen der übergeordneten Kirchengeschichte. Festzuhalten ist, dass die Kirchengeschichte Teil der Menschheitsgeschichte ist und die Geschichte der Theologie, der christlichen Mission sowie anderer Disziplinen zwar in diese eingebettet sind, wohl aber spezifische Höhepunkte aufweisen. Es geht in diesem Artikel um das Verständnis und die Beziehung der »Interkulturellen Theologie« zur Theologie. Was lässt sich hierzu historisch herausarbeiten?

Rückblick: Ursprung der Kirche – Priester- und Prophetenamt

Mit der biblischen Apostelgeschichte nimmt die Geschichte der Missionswissenschaften ihren Lauf und wird Teil der eng verzahnten Kirchen­geschichte. Zum ersten Mal nimmt sie hier eine schriftliche Form an. Ihre historische Verankerung ist jedoch in der Hebräischen Bibel, dem Leben und den bis dahin mündlich überlieferten Taten des historischen Jesus von Nazareth zu finden.

In der Hebräischen Bibel wird das zukunftsorientierte Handlungsfeld der personifizierten israelitischen Gottheit JHWH (Ex 3:15-16) bereits in der Erwählung eines »heiligen« Volkes vorgeschattet. Damit gibt JHWH vor, dass die bereits vergangene und zukünftige Erwählungs- und Heilsordnung allein von dieser Gottheit ausging und in Zukunft ausgehen wird. Diese, sich selbst offenbarende Gottheit, bestimmt den Rahmen des Heils und der Erwählung und ist dem Menschen von sich aus nicht zugänglich. Die aus religiöser Sicht beschriebene Verdichtung der Welt- und Kirchengeschichte in dieser Gottheit reflektiert sich in der Offenbarung, die uns als Heilige Schrift bekannt ist. Die Hebräische Bibel schattet die weltlichen Königreiche Israels und Judas im Hinblick auf das Königreich Gottes, als Wirkungs-Sphäre der Gottheit voraus. Wir erfahren, dass sich das Priester– und Prophetentum der Hebräischen Bibel in der priesterlich-prophetischen Ausrichtung der globalen Kirche fortsetzt (Nu 1:49; Dt 10:9; Hb 7:3; Of 20:6). Der offene Kanon des Neuen Testaments und das Fehlen eines verbindlichen Grundtextes sind Hinweise darauf, dass die Kirchengeschichte, als Teil der Menschheitsgeschichte im göttlichen Heilsplan eingebettet sein soll. Ebenso ist die göttliche Offenbarung mittels der realen Sprachen Hebräisch, Aramäisch und Koiné-Griechisch ein wichtiges Merkmal der realen Präsenz des »Reiches Gottes« in Raum und Zeit der Menschheit. Das Fehlen einer göttlichen Metasprache oder einer metaphysischen Offenbarung verweist die Heilsgeschichte auf das Hier und Jetzt.

Eschatologisch steht die »Vollendung der Zeiten« noch aus. Damit ist gesagt, dass sich die Kirchengeschichte in Fortsetzung des Neuen Testaments als Spiegel der Geschichte der Reich-Gottes-Realität versteht. Hier setzt Interkulturelle Theologie, Missiologie und die Missionswissenschaften an, sie beschreiben die Schnittstellen säkularer und geistlicher Sphären und spiegeln die Verzahnung der Kirchen– in die Menschheitsgeschichte wieder. Die Geschichte der globalen Kirche, vor allem die ethisch–moralische Realisierung des göttlichen Willens steht im Zentrum. Die Kirche entfaltet sich als Lehr– und Lernbereich der gläubigen Menschen. Wie in der Hebräischen Bibel am Beispiel des Volkes Israel aufgezeigt wurde, soll sich die Glaubensgemeinschaft global und lokal im Kontext der säkularen Welt entwickeln. Das hat zur Folge, dass sich kontextualisierte Theologien entwickelten, die auf individuelle Diskurse reagierten. Gleichzeitig nimmt damit das Reich Gottes kontextuell unterschiedliche Konturen an (Haire 2011:36). Wrogemann weist auf die südamerikanischen, die afrikanischen, die asiatischen und japanischen Theologien hin, die von verschiedenen Quellen her zu erschließen sind (2012:28-31[12]) Der göttliche Machteinfluss am und im Menschen drückt sich sowohl auf der persönlich-individuellen, der kollektivistisch übergeordneten als auch auf der universalen Ebene aus. In der neutestamentlichen Personifizierung des Heiligen Geistes[13] offenbart sich die idealisierte Kirche. Diese ist zukünftig vorausgeschattet, da das Reich Gottes erst im Eschaton (posthistorische Zeit) vollumfänglich realisiert wird. Trotzdem reflektiert sie sich spiegelhaft in den unterschiedlichen Epochen der Welt- und Kirchengeschichte. Die Diskrepanz des als von Jesus von Nazareth initiierten und als Ideal dargestellten Reich Gottes und der realen Geschichte der Kirche fordert die Missiologie heraus, diese Entwicklungen zu dokumentieren, zu kommentieren und in konkrete kontextualisierte Lösungsvorschläge umzusetzen. Die Theologie hingegen bewertet und setzt die exegetischen Erkenntnisse in die Gegenwart um. Dabei ist Kontextualisierung ein grundeigener theologischer Ansatz, der in den sechziger Jahren definiert und seither entwickelt wurde (Bevans 2011:7-9). Wird die Kontextualisierung nun in der »Interkulturellen Theologie« kontempliert, so ist dies im Rahmen der Theologie zu denken. Es ist die Vielschichtigkeit der Ansätze, die der »Interkulturellen Theologie« zugrunde liegt. Erst in einer Hermeneutik, die geeignet ist diese Unterschiedlichkeit aufzugreifen und für den eigenen Kontext auszuwerten wäre dieses theologische Anliegen möglich. Hier wiederum überragt der Einfluss der Theologie auf die »Interkulturelle Theologie« und es ist mit Recht zu fragen, ob sich ein interdisziplinärer Unterschied erkennen lässt und wie dieser sich offenbart.

Ein Blick zurück in die »Missionswissenschaften« und deren Loslösung von der Theologie gibt Hinweise darauf, wie diese Entwicklungen zu werten sind. Bis zum ausgehenden Spätmittelalter waren die Missionswissenschaften Teil der angewandten Theologie. Mit der im Pietismus vorangetriebenen Betonung der Diakonie und der Sendung der Kirche entstand die wissenschaftliche Möglichkeit der Spezialisierung außerhalb der Theologie. Das Auslaufen der spätmittelalterlichen Klöster und des Mönchslebens aufgrund der aufkommenden Industrialisierung brachte Spezialisierungen mit sich. Die Kirche wurde herausgefordert, den sozialen Umstellungen vom Bauern- zum Arbeiterstand zu begegnen. Pädagogik (z. B. Philipp Jacob Spehner, *1635–†1705), Religionslehre und tätiger Dienst am Nächsten fanden Einzug in die theologische Ausbildung und deren Begründung. Auslandseinsätze und ein aufkommender christlicher Entwicklungsdienst durch Schriftverbreitung (Bibelübersetzung) wie es von William Carey, Zinzendorf oder amerikanischen (z. B. ABCFM) und britischen (z. B. BFBS) Organisationen vollzogen wurden, fragten nach Argumenten. Die »Missionswissenschaft« war geboren. Im Laufe der Geschichte haben sich neue Realitäten entwickelt, die Einfluss auf die interreligiösen, transnationalen und transkulturellen Diskurse nehmen. Die Mobilität, die digitale Revolution, die ökologische Verantwortung und der ökumenische und interreligiöse Dialog bestimmen die Diskurse. Zuletzt hatte Müller einen kurzen Überblick über die deutschsprachige Missiologie geliefert (Müller 1999). Er vertritt darin die Meinung, dass Missiologie und Missionswissenschaften austauschbar wären, wenngleich Akzentsetzungen möglich wären (1999:148). Sein Überblick und die grafische Darstellung zur interdisziplinären Ausrichtung der Missiologie kann so auch auf die Interkulturelle Theologie angewandt werden.

Interkulturelle Theologie bildet eine interdisziplinäre Schnittstelle zwischen den Hilfsdisziplinen Linguistik, Anthropologie, Soziologie, Psychologie und Pädagogik. In diesem Rahmen ersetzt sie die Missionswissenschaften und die Missiologie als einbindende Disziplinen. Die Aufgabenstellung der Interkulturellen Theologie ist dabei dem transkulturellen, transnationalen und interreligiösen Austausch der christlichen Kulturvermittler als Akteuren gerecht zu werden.

Zukunftsperspektiven

Die Interkulturelle Theologie bedient einen Paradigmenwechsel in der Wahrnehmung der globalen christlichen Entwicklungshilfe. Nicht ohne Grund hatte sich diese in enger Anlehnung an militärisch-kolonialistische Interventionen den Ruf eines engen Verbündeten, wenn nicht politisch motivierten Akteurs eingehandelt. Zu oft wurde keine oder eine sehr unscharfe Grenze zu westlich–kolonialistischen Interventionen gezogen (so z. B. bei Fabri 1879). Um sich von diesem Vorwurf rein zu waschen ist die Neudefinition der Ausrichtung, einhergehend mit einer Namensänderung, durchaus geeignet. Damit wird im postkolonialen Zeitalter die Frage aufgeworfen, von was und aus welcher Perspektive heraus die Interkulturelle Theologie sprechen darf. Es ist die binäre Reaktion, die jegliche Aussage über Vorstellungen Anderer hervorruft, die vor Herausforderungen stellt. Diese Problematik spielt sich auf der

  • linguistischen,
  • anthropologischen und
  • epistemologischen

Ebene ab. Sprache (1) kann die erkenntnistheoretischen Lücken nicht allumfassend ausfüllen. Es bleibt immer ein letztendlicher sprachlicher Vorbehalt, wenn metaphysische Vorgänge beschrieben werden. Eine übergeordnete universale Metasprache ist uns nicht zugänglich. Ethnographische Studien (2) mangeln der Objektivität und die ihnen zugrundeliegenden aber auch beschriebenen Erkenntnisse (3) sind nur Stückwerk und Raum und Zeitgeist-abhängig.

Diese Begrenzungen im Blick bietet der dekonstruktivistische Ansatz des Intersubjektivismus (s. Derrida 1967:25; Carrithers 1992:55) die Möglichkeit sich zu positionieren und aus dieser subjektiven Position heraus inter-subjektive Forschung zu betreiben. Die Interkulturelle Theologie steht aufgrund ihrer Nähe zur christlichen Theologie dabei in der Gefahr, Dogmen, Perspektiven und Prämissen zu übernehmen, die dem Glaubensfundament eigener konfessionellen Wahrnehmungen zugrunde liegen. Bis zu einem bestimmten Punkt ist es möglich sich auf eine apologetische Sicht zurück zu besinnen und auf die kritische Sicht anderer Positionen einzulassen, aber dann wiederum lässt die subjektive religiöse eigene Wahrnehmung Grenzüberschreitungen nur bedingt zu. Hier ist die enge Anbindung an fremde Positionen ein hilfreiches Instrument. Der sozial–konstruktive Ansatz benutzt dafür die gemeinsame Erarbeitung eines Forschungsgegenstandes als Basis. Dabei werden Forscher und Gegenstand Teil ihrer Beobachtungen und Beschreibungen (Kiraly 2000:3-4).

Gleichzeitig stellt der neu eingeführte Begriff »Interkulturelle Theologie« die Forscher vor die Aufgabe ihn inhaltlich zu füllen. Er ist in sich nicht selbsterklärend. Da der Begriff »Theologie« grundsätzlich alle, mindestens aber die monotheistischen, im weiteren Sinne aber alle religiösen Denkgebäude abdeckt. Der Begriff »interkulturell« weist in die Richtung der Religionswis­senschaften. Nun ist aber im realen Gebrauch die Nähe zur Theologie, insbesondere der christlichen Theologie fast schon verwirrend. Dabei wäre es sinnvoll, von Interkulturellen Theologien im Plural zu reden, welche sich aus kontextualisierten lokalen Formen christlicher Formierungen ergeben. In diesem Sinne, mittels vorhergehender Untersuchung und Bewertung, vermittelt die Interkulturelle Theologie in ethnographischer Weise andere religiöse oder ethnologisch-linguistische Inhalte in den eigenen Raum. Die Überschneidung zur Religionswissenschaft wird an den universitären Lehrstühlen deutlich, wie z. B. in Hamburg am Institut für Missions-, Ökumene- und Religionswissenschaft und anderen.

Zusammenfassung

Der literarische Gebrauch der Begriffe »Missionswissenschaft(en)« und »Missiologie« im englisch–­ und dem deutschsprachigen Raum lassen Tendenzen erkennen, die den Begriff »Missiologie« austauschbar mit dem Begriff »Missionswissenschaft« macht. Der anglophone Raum dominiert momentan die missiologische Welt und der Begriff »Missiologie« ist zunehmend vernehmbar. Insbesondere die technische Sprache aus den sozialen Medien und der digitalen Welt wie zum Beispiel Apps oder Hilfsmittel zur Evangelisation und Exegese (Logos, Bibleworks, Microsoft Office) prägen das Vokabular. Englisch als Verkehrssprache der digitalen Welt bestimmt deshalb auch den missiologischen Raum. »Interkulturelle Theologie« nimmt beides in sich auf und positioniert sich neben der »Theologie« als die Disziplin, welche sich mit den Akteuren, den historischen Entwicklungen und der Zukunft der globalen christlichen Entwicklungshilfe und Diakonie im transkulturellen, transnationalen und interreligiösen Diskurs beschäftigt. Dabei spielt die interdisziplinäre Anlehnung an die verschiedensten Hilfswissenschaften, insbesondere der Linguistik, der Anthropologie, den Sozialwissenschaften, der Pädagogik und der Psychologie eine bedeutsame Rolle. Die priesterlich-prophetische Ausrichtung der globalen Kirche bildet dabei den Rahmen der christlichen Entwicklungshilfe und der Diakonie. In ihr ist die Kulturvermittlung als ureigenes Phänomen der göttlichen Offenbarung angelegt. Erst die diakonische Vermittlung christlicher Inhalte in andere sprachlich-kulturelle Kontexte hinein führt die Kirche ihrer eigentlichen Grundlage zu. Kirche ist nicht um ihrer selbst willen, sondern für Andere.

Die inhaltliche Trennung der »Interkulturellen Theologie« von der »Theologie« darf im Wesentlichen an ihrem Interesse bezüglich der Diskurse der global agierenden Akteure gewertet werden. Inhaltlich setzt die »Interkulturelle Theologie« im deutschsprachigen Raum wesentlich in der »Theologie« an. Im anglophonen Kontext haben sich hier global ausgerichtete interkulturelle Ausbildungsstätten entwickelt, die sich von der Theologie abkoppelten. Dort wird der Begriff »missiology« bevorzugt. Es ist beachtenswert, dass deutsche christliche Kulturvermittler öfter im Ausland ihre Ausbildung im Rahmen der »Missiology« oder »Intercultural Studies« absolvieren, um dann im heimischen Raum im Bereich der »Interkulturellen Theologie« zu lehren und zu forschen. Hier liegt ein Ungleichgewicht vor, welches im akademischen Raum zu unterschiedlichen missiologischen Schwerpunkten führt.

Bibliographie

Bevans, Stephen B. 2011. What Has Contextual Theology to Offer the Church of the Twenty-First Century?, in Bevans, Stephen B. & Tahaafe-Williams, Katalina (eds.): Contextual Theology for the Twenty-First Century. Missional Church, Public Theology, World Christianity, 3-17. Eugene: Pickwick.

Carrithers, Michael 1992. Why Humans have Cultures: Explaining Anthropology and Social Diversity. Oxford: Opus.

Derrida, Jacques 1967. Of Grammatology. Paris: Les Éditions de Minuit.

Fabri, Friedrich 1879. Bedarf Deutschland der Kolonien? Barmen: Rheinische Mission.

Fuhrman, Siri, Geldbach, Erich & Pahl, Irmgard (Hgg.) 2003. Soziale Rollen von Frauen in Religionsgemeinschaften: Ein Forschungsbericht. Münster: LIT Verlag.

Haire, James 2011. The Centrality of Contextual Theology for Christian Existence Today, in Bevans, Stephen B. & Tahaafe-Williams, Katalina (eds.): Contextual Theology for the Twenty-First Century, 18-37. Missional Church, Public Theology, World Christianity. Eugene: Pickwick.

Höh, Marc von der, Jaspert, Nikolas. & Oesterle, Jenny Rahel 2013. Courts, Brokers and Brokerage in the Medieval Mediterranean, in Höh, Marc von der, Jaspert, Nikolas. & Oesterle, Jenny Rahel (eds.): Cultural Brokers at Mediterranean Courts in the Middle Ages, 9–31. Paderborn: Fink.

Jenkins, Philip 2006. Die Zukunft des Christentums: Eine Analyse zur weltweiten Entwicklung im 21. Jahrhundert. Giessen: Brunnen.

Kähler, Martin [1908] 1971. Schriften zur Christologie und Mission. München: Kaiser Verlag.

Kiraly, Don 2000. A Social Constructivist Approach to Translator Education. Empowerment from Theory to Practice. Manchester: St. Jerome.

Müller, Klaus W. 1999. Deutschsprachige evangelikale Missiologie: Beitrag zur Definition und Plädoyer für Eigenständigkeit. Evangelikale Missiologie 4, 146-158.

Schmid, Georg (Hg.) 2003. Kirchen, Sekten, Religionen: Religiöse Gemeinschaften, weltanschauliche Gruppierungen und Psycho-Organisationen im deutschen Sprachraum, ein Handbuch. 7. überarb. und erg. Auflage. Zürich: TVZ Theologischer Verlag.

Schmidlin, Josef 1962. Missiologie. LThK 453. Bd. 2. völlig neu bearbeitete Aufl. Freiburg: Herder.

Wagner, William Lyle 1993. North American Protestant Missionaries in Western Europe: A Critical Appraisal. Edition afem mission academics 1. Bonn: VKW (Verlag für Kultur und Wissenschaft).

Wrogemann, Henning 2012. Interkulturelle Theologie und Hermeneutik: Grundfragen, aktuelle Beispiele, theoretische Perspektiven. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.

 

Footnotes

[1] Der Begriff will die kulturvermittelnde Bedeutung christlicher Akteure im interkulturellen Kontext hervorheben (Höh, Jaspert, and Oesterle 2013:9).
[2] Kähler, Martin [1908] 1971. Schriften zur Christologie und Mission. München: Kaiser Verlag.
[3] Joseph Schmidlin begründete die Zeitschrift für Missionswissenschaft (1911). Gustav Warneck begründete die Allgemeine Missions-Zeitschrift (1874).
[4] Schmidlin, Josef 1962. Missiologie. LThK 453. Bd. 2. völlig neu bearbeitete Aufl. Freiburg: Herder.
[5] Jenkins, Philip 2006. Die Zukunft des Christentums: Eine Analyse zur weltweiten Entwicklung im 21. Jahrhundert. Giessen: Brunnen.
[6] Schmid, Georg (Hg.) 2003. Kirchen, Sekten, Religionen: Religiöse Gemeinschaften, weltanschauliche Gruppierungen und Psycho-Organisationen im deutschen Sprachraum, ein Handbuch. 7. überarb. und erg. Auflage. Zürich: TVZ Theologischer Verlag.
[7] Siri Fuhrmann beschreibt den Niedergang des Diakonissenberufes anhand der sozialen Rolle der Frau in den letzten 30 Jahren (:84-86). Fuhrman, Siri, Geldbach, Erich & Pahl, Irmgard (Hgg.) 2003. Soziale Rollen von Frauen in Religionsgemeinschaften: Ein Forschungsbericht. Münster: LIT Verlag.
[8] Wagner, William Lyle 1993. North American Protestant Missionaries in Western Europe: A Critical Appraisal. Edition afem mission academics 1. Bonn: VKW (Verlag für Kultur und Wissenschaft).
[9] Kirchliche Hochschule Wuppertal, Augustana Hochschule Neuendettelsau, Humboldt Universität Berlin, katholische Institut für Missionswissenschaft Münster.
[10] Die Anerkennung als Genozid brachte erhebliche Unruhe in das Verhältnis zu den anerkennenden europäischen Staaten. Zuletzt belastete es das deutsch-türkische Verhältnis: Im französischen Parlament am 30. Juni 2001, im schwedischen Reichstag am 11. März 2011, im österreichischen Nationalrat am 21. April 2015, im deutschen Bundestag am 02. Juni 2016, im niederländischen Unterhaus des Parlaments am 22. Februar 2018. Im amerikanischen Raum gab es noch keine parlamentarische, wohl aber eine Anerkennung durch den Präsidenten Barack Obama (März 2010 und April 2011).
[11] Hierbei ist von den islamischen »Märtyrern« wie sie im palästinensischen Raum für Selbstmordattentäter erkoren werden zu unterscheiden. Martyrium ist ein durch fremdes Einwirken entstandenes Leid, bis hin zum Tod aufgrund religiöser Verfolgung (Duden 2018 Eintrag Martyrium).
[12] „Um die Mitte der 1990er Jahre zeichnet sich ab, dass nun nach etwa 30 Jahren intensiver theologischer Arbeit an kontextuellen Entwürfen und nach etwa 20 Jahren seit der Gründung der Ecumenical Association of Third World Theologians (EATWOT) im Jahre 1976 eine erste Zwischenbilanz gezogen werden konnte. Einen guten Überblick dazu vermittelt die von Theo Sundermeier und Norbert Klaes herausgegebene Buchreihe Theologiegeschichte der Dritten Welt mit den jeweils von einheimischen Autoren verfassten Bänden zu Afrika 17, Japan 18, Indien 19 und Lateinamerika 20. Für den Austausch von Theologen/innen aus der Dritten Welt ist auf den englischen Sammelband Third World Theologies. Commonalities and Divergences zu verweisen sowie auf den vom (römisch-katholischen) Missionswissenschaftlichen Institut Missio herausgegebenen Quellenband Von Gott reden im Kontext der Armut.“ (Wrogemann 2012:29-30).
[13] Mk 13:11, Apg 21:11 und Heb 3:7 der Heilige Geit (HG) redet; Lk 3:22 der HG als Taube.

Mitarbeiter

Prof. Dr. Klaus W. Müller
2. Stiftungs-Vorstand Forschungs-Stiftung Kultur und Religion;
Stiftungsgründer;
Institutsleitung

Jahrgang: 1945
Wissenschaftlicher Werdegang:

1964-1968 Theologiestudium in Bad Liebenzell
1970-1981 Missionsdienst in Mikronesien
1976-1977 M.A.-Studium an der School of World Mission, Pasadena/CA
1981-1998 Seminar für missionarische Fortbildung im Monbachtal/Bad Liebenzell; Dozent für Missionswissenschaft an der Freien Hochschule für Mission in Korntal.
1985 M.A. Missiologie mit Forschungsarbeit „The Protestant Mission Work on the Truk Islands in Micronesia. A Missiological Analysis.“
1985-2014 Vorstandsmitglied und Vorsitzender von drei Missionswerken.
1991-2011 Vorsitzender des Arbeitskreises für evangelikale Missiologie. Schriftleitung Zeitschrift „evangelikale missiologie“ Edition afem. Hg.
1993 Promotion mit dem Thema „Peacemaker. Missionary Practice of Georg F. Vicedom in New Guinea (1929-1939)” Im Zuge der Akkreditierung durch die Columbia International University Columbia/SC Berufung zum Professor für Missiologie
1998- Professor für Missionswissenschaft an der Freien Theologischen Akademie Gießen, Fachbereichsleiter Mission und Evangelistik,
2000-2007 Studienmentor der Akademie für Mission und Gemeindebau Gießen
1999- Gastprofessor für Missionswissenschaft und Religion an der Evangelischen Theologischen Faculteit Leuven/B
2010- Gastprofessor an der Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule Basel
Eberhard Werner

1. Stiftungs-Vorstand Forschungs-Stiftung Kultur und Religion;
stellv. Institutsleiter;
Direktor Netzwerk Disability Studies und Interkulturelle Theologie (NeDSITh);
Leiter Abteilung: Wissenschaft der Bibelübersetzung

Jahrgang: 1966

Wissenschaftlicher Werdegang:

1984-1986: abgeschlossene Berufsausbildung mittlerer Dienst
1992-1996: Ausbildung am Theologischem Seminar Neues Leben (heute Theologisches Seminar Rheinland)
1995-1996: Studium „Applied linguistics“ SIL Germany, SIL Eugene/Oregon (BA-Äquivalent)
2002-2006: Studium an der Akademie für Mission und Gemeindebau / Gießen (MA)
2007-2010: PhD University of Wales/ across (Theology; New Testament)
2010: Language Program Services SIL (Near East)
2014: SIL Consultant on Anthropology
2013: Further Studies with MHS (Stavanger)

Am Institut für evangelische Mission begeistert mich die Idee, missiologische Forschung zu unterstützen, Netzwerke aufzubauen und kreative Ideen auszuprobieren. Deutsche Missiologie steckt noch tief in den Kinderschuhen und hat sich noch nicht von der Theologie profiliert.

 

Jonathan Fröhlich
Stiftungs-Vorstand Forschungs-Stiftung Kultur und Religion;
wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für evangelische Missiologie

Jahrgang: 1992
Wissenschaftlicher Werdegang:
2009-2012 : abgeschlossene Berufsausbildung zur Fachkraft für Abwassertechnik
2012-2013: ein Gesellenjahr als Fachkraft für Abwassertechnik
2013-2016: Berufsoberschule I und II
2016-2020: B.A.- in Evangelische Theologie an der Freien Theologischen Hochschule in Gießen
Studium M.A. in evangelische Theologie (ab Oktober 2020),

Befiehl dem HERRN deinen Weg, und vertraue auf ihn, so wird er es vollbringen. (Psalm 37,5)

Samuel W. Groß
Stiftungs-Vorstand Forschungs-Stiftung Kultur und Religion;
wissenschaftlicher Mitarbeiter Netzwerk Disability Studies und Interkulturelle Theologie (NeDSITh)

Jahrgang:1994
Wissenschaftlicher Werdegang:
2014: Abitur Weidigschule Butzbach
2014: Kulturpreisträger der Stadt Butzbach im Rahmen der Ausstellung „Legalisierter Raub – Der Fiskus und die Ausplünderung der Juden in Hessen 1933-1945“
2014-: Studium der evangelischen Theologie an der Freien Theologischen Hochschule (FTH) Gießen
2018: B.A. in evangelische Theologie im Fachbereich Historische Theologie der Freien Theologischen Hochschule
seit 2018: Studium M.A. in evangelischer Theologie mit Hauptfach Historische Theologie, FTH Gießen

Am Institut für evangelische Missiologie begeistert mich der Leitspruch „Forschung ist die beste Strategie“. Ich möchte mit meinem Schwerpunkt auf Disability Studies und Interkulturelle Theologie aus historischer Perspektive dazu beitragen verschiedene Akteure miteinander zu vernetzen und so die Wichtigkeit des Themas Behinderung und interkultureller Austausch in der deutschsprachigen Diskussion bekannt machen.

Geschichte

1982: Klaus W. Müller erhält von Prof. G.W. Peters als dessen wissenschaftlicher Assistent den Auftrag, ein Forschungszentrum für die evangelisch Missiologie aufzubauen – im Rahmen des Seminars für missionarische Fortbildung im Monbachtal.

Ab 1984: stetiger Aufbau und Erweiterung des Bestands an der Freien Hochschule für Mission.

1994: Gründung der Stiftung Kultur und Religion.

1998: Das Forschungszentrum wird am Standort der Freien Hochschule für Mission in Korntal aufgelöst. Der Bestand wird dem Leiter Dr. Klaus W. Müller übergeben. Das Zentrum umfasst zu diesem Zeitpunkt Informationen über mehr als 1000 missionarische Werke in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

2000: Gründung der „Gesellschaft für Bildung und Forschung in Europa“ (heute Sitz in Gummersbach)

2000: Beginn der Arbeit des neuen Instituts in Biebertal mit einem Kuratorium von missiologischen Fachleuten aus verschiedenen denominationellen Hintergründen in Zusammenarbeit mit der GBFE

2001: Die erste Mitarbeiterin arbeitet vollzeitlich im Rahmen ihrer Umschulung zur Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste für das Institut. Einige ehrenamtliche MitarbeiterInnen helfen aktiv. Das Institut übernimmt Aufgaben für den Arbeitskreis für evangelikale Missiologie, wie Buchreihen und Zeitschrift em. Erste bibliografische Erfassung von Zeitschriften.

2004: Gründung der Forschungsstiftung Kultur und Religion als rechtliche Grundlage

2004: Gründung des Instituts für asiatische Minderheiten in Hong Kong mit Dr. Gerner, der einige Jahre später eine eigene Stiftung für sein Institut gründet.

2012: Berufung von Dr. Eberhard Werner in den Vorstand der Stiftung und in die Leitung des Instituts.

2013: Beginn des Digitalisierungsprozesses

2014: Neustrukturierung der Arbeit des Instituts und Umbenennung in „Institut für evangelische Missiologie“

2015: Berufung von neuen Kuratoren

2017: Gründung des Nertzwerkes Disability Studies und Interkulturelle Theologie. Berufung von Samuel Groß als Wissenschaftlicher Assistent.

2020: Berufung von Jonathan Fröhlich und Samuel Groß in den Stiftungsvorstand. Ernennung von Eberhard Werner als 1. Vorstand und Prof. Dr. Klaus W. Müller als 2. Vorstand. Berufung von Jonathan Fröhlich als wissenschaftlicher Assistent am Institut für evangelische Missiologie.

2021: Dr. Tianji Ma wird als wissenschaftlicher Assistent die Leitung des Forum Bibelübersetzung übernehmen und baut ein Forum Ost Asien auf. Erste Internationale Tagung des Netzwerkes Disability Studies.

Materialien (suchfähige Archivliste)

In unserer Datenbank steht Material aus diesen Themen zur Verfügung:

  • Allgemeine Missions-Zeitschriften und Missionsbücher jeder Art.
  • Veröffentlichungen, Zeitschriften und Dokumente von und über: Werke der Mission und der Diakonie, evangelistisch orientierte Verbände usw.
  • Materialien über Initiativen für Gemeindebau im In- Ausland.
  • Rundschreiben, Briefe von Missionaren (aus allen Zeiten).
  • Verlagsprodukte über Mission, Programme von Ausbildungsstätten, Kursen und Schulungen über Mission, Missionstheologie, Religionen, Ethnologie, Soziologie, Politik, Psychologie.
  • Vorträge, Referate, Diplom- und Semesterarbeiten, Dissertationen.
  • Informationen über markante Persönlichkeiten der Mission.
  • Dokumente von Kongressen, Konferenzen, Tagungen, Sitzungen.
  • Archivmaterial wie Briefe, Bilder, auch aus Nachlässen von Missionaren und Missionsfreunden.
  • Gegenstände, Bilder, Filme aus Kulturen, Religionen sowie aus der praktischen Missionsarbeit.
  • Informationsmaterial über Missionsgebiete.
  • Nicht-akademisches Material wie Erzählungen, Geschichten usw. mit Informationswert.

Hier können Sie eine Liste unserer umfassenden Sammlung digital abrufen (suchfähige Archivliste: [Digitalisierte Projekt-Dateien]; Feingliederung: [A]; [B] [C-E-Liste]; [S-Z]; [F-R] ).

Haben Sie eine Anfrage zu einem bestimmten Thema oder suchen Sie nach einer gewissen Publikation? Dann melden Sie sich gerne bei uns. Vermerken Sie bitte auch den Grund Ihrer Anfrage.

Mitarbeit

Wir bieten zeitliche begrenzte Teilzeitjobs. Besonders studentische Hilfskräfte stellen wir gerne an.

Auch bieten wir die Möglichkeit zur Aus- und Weiterbildung oder Umschulung zum/zur „Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste“. Unser Institut ist von der Industrie- und Handelskammer Wetzlar als Umschulungsbetrieb anerkannt.

Wir freuen uns auch über ehrenamtliche Unterstützung. Wenn Ihnen der Erhalt vielfältiger missiologischer Inhalte am Herzen liegt, dann engagieren Sie sich doch bei uns. Das geht in jedem zeitlichen Umfang und sogar von zuhause aus. Wir freuen uns über Unterstützung!

Falls Sie Interesse an der Mitarbeit in unserem Team haben, kontaktieren Sie uns gerne.