Rezension: Carswell, Jonathan & Wright, Joanna 2008. Susanne Geske: Ich will keine Rache – Das Drama von Malatya

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Christenverfolgung ist ein kommendes Thema in der Öffentlichkeit. Nicht wenige Institutionen propagieren es inzwischen mit ganz unterschiedlichen Mitteln (bekannteste: Open Doors). Auch die Politik entdeckt es mehr und mehr, und zwar als Argument für oder gegen bestimmte entscheidungsbedürftige Themen (z. B. Flüchtlings- und Staatsbürgerschaft[en]-Debatte). Es dürfte nicht zu viel gesagt sein, dass das in diesem Buch beschriebene „Drama“, welches im Jahre 2007 und auch noch im politischen Partnerland Türkei, einem der Ursprungsländer des Christentums, wohl ein initialer Zündpunkt für diese Entwicklung war. Offensichtlich ist das Interesse groß, an der sich entwickelnden evangelikalen Kirche in der Türkei. Die mit ihr einhergehende Forschung inspiriert die internationale Politik den auf dieser Kirche lastenden politischen Druck öffentlich wahrzunehmen. Die deutsche und europäische Politik hat das Signal aufgegriffen wie ständige Themenrunden und die zeitweise Zurückstellung des türkischen Antrags auf EU-Vollmitgliedschaft zeigen.

Carswell und Wright interviewten die Witwe, des aus Deutschland stammenden Opfers dieses religiös-politischen Attentats. Drei Männer fielen den 5 Tätern zum Opfer. In einem ca. dreistündigen Todeskampf wurden die zwei türkischstämmigen und dem in der Türkei lebenden Ehepartner der Interviewten langsam und qualvoll hingerichtet (ausführlich S. 96-103). Diese deutlichen Worte muss man für diesen penibel geplanten Auftragsmord von 5 türkischen Staatsbürgern im Osten der Türkei (Malatya) benutzen.

Dieses Buch will den Kontext, in dem sich das Drama abspielte aufzeigen und erzählt ausgiebig von dem langen Weg der fünfköpfigen deutschen Familie, zuerst in die Türkei und dann in den dortigen Osten. Es ist ein sehr persönlich erzählter kurzweiliger Lebens- und Erfahrungsbericht. Angesichts der vielzähligen türkischstämmigen Gastarbeiter, Flüchtlinge und Nachzügler, tritt hier ein Wechsel der Perspektive in den Vordergrund, der es dem deutschen und türkischen Leser leicht macht kulturübergreifend voneinander zu lernen. Das gerade das christliche Anliegen im Vordergrund steht, wird natürlich nicht jedermann / jederfrau gefallen, würzt aber das Spannungsfeld, in welchem sich beide Kulturen auf jeweils fremden Boden bewegen. Gegenseitige Erwartungshaltungen werden offenbar und treten in den Begegnungen und zuletzt im Konflikt zwischen den religiösen Interessen zutage.

Auf den ersten fünfzig Seiten beschreibt die Witwe, den Weg und den Preis den kirchliche Mitarbeiter, die im Ausland arbeiten wollen zahlen. Wer sich im Rahmen der kirchlichen Entwicklungshilfe, in einem fremden Land profilieren möchte, wird diese Erfahrungen kennen und die Offenheit der Erzählung schätzen. Dazu gehören erstens die Frage nach dem geographischen und lokalen Ort, an dem man seine Erfahrungen weiter geben möchte, zweitens die nach der finanziellen Versorgung und Absicherung in fremden Landen, und zuletzt die Organisation oder Institutionen, die sich öffentlich hinter das Projekt stellen.

Im darauf folgenden Abschnitt wird, auf den nächsten dreißig Seiten (S. 53-83), der Weg in der Türkei, bis hin zum Attentat beschrieben. Neben dem Erlernen der Sprache(n) und Kultur(en) bietet dieser Teil Einblick in die Erfahrungen beim Eintauchen in fremde Kulturkreise.

Den nächsten Block (S. 84-115) nimmt das Attentat und die zehn Tage bis zur Beerdigung in der Türkei ein. Beeindruckend ist die Kompromisslosigkeit, mit der in diesem Bericht zum Land der Wahl gehalten wird. Dies wird auch auf den letzten zwanzig Seiten (S. 115-136) deutlich, auf denen sich die Witwe und die Kinder ohne Vorbehalte auf Vergebung durch eine höhere Macht berufen. Der Verlust des Vaters und Ehemannes wird nicht beschönigt, jedoch auch nicht als Märtyrerleistung hervor gehoben. Solches tun die Außenstehenden, die unter anderem auch für dieses Buch stehen, welches innerhalb eines Jahres, noch völlig unter dem Eindruck des Attentats entstand.

Dieses Buch ist ein gutes und hilfreiches Zeugnis über das christliche Zeugentum in der Welt. Es bietet tiefe Einblicke in die Herausforderungen kirchlicher Entwicklungshilfe in der Fremde. Allerdings, und das ist kritisch anzumerken, nimmt es das Postulat einer Leidenstheologie auf genau diesem kirchlichen Arbeitsfeld vorweg. Diese Annahme ist allerdings nicht einseitig aus dem neutestamentlichen Beleg zu entnehmen, wird jedoch im Moment in der westlichen Welt gerne gehört. Dazu tragen zunehmende religiöse Konflikte und die weltweiten Anspannungen nicht unerheblich bei. Es ist dem christlichen Denken und Handeln jedoch abträglich „Nächsten- und Feindesliebe“ einzig aus einer Haltung des Leidens und der Unterdrückung zu leben, vielmehr treibt der Blick nach vorne und nach oben die Nachfolge an. Märtyrertum wird dann als kirchengeschichtlicher Vorgang, durch nachfolgende Generationen, zur Stärkung in Krisenlagen und zur Festigung der globalen Kirche, im gegenseitigen Einstehen durch Gebet und politische Interventionen festgehalten.

 

Christliche Entwicklungshilfe ; Verfolgung ; Märtyrer, Martyrium ; Islam ; Türkei, Deutschland ; Glaube ; Missionswissenschaft ; Theologie des Leidens

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