Rezension: Conner, Benjamin T. 2018. Disabling Mission, Enabling Witness: Exploring Missiology Through the Lens of Disability Studies

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Benjamin T. Conner (PhD, Princeton Theological Seminary) ist Professor der Praktischen Theologie am Western Theological Seminary in Holland, Michigan. Dort leitet er auch die Graduierten-Ausbildung im Fachbereich Disability Studies und praktischer Dienst. Sein kritisches Plädoyer besteht in der Beobachtung, dass die Kirche sich des Potentiales nicht bedient, welches in Menschen mit körperlichen oder mentalen Einschränkungen steckt. Die Kirche kommt dabei ihrem Auftrag der Sammlung aller sozialen Gruppen in Spiegelung der menschlichen Vielfalt (diversity) nicht nach. Disableismus (USA Ableismus), die Ablehnung behinderter Personen, und Paternalismus hindern die Gläubigen, sich diesem Personenkreis zu öffnen.

Conner beschreibt einleitend seine Beobachtungen innerhalb der Kirche, wenn es um Menschen geht, die dem kirchlichen Alltagsleben nicht wie erwartet folgen. Seine etischen ethnographischen Beschreibungen bilden die Ausgangslage eines Nicht-Behinderten, der sich in Disability Missiology positioniert, einem gänzlich neuen Fachgebiet. Die für Conner maßgeblichen missiologischen Fragestellungen sind erstens, welche Konzepte oder Praktiken sind geeignet sich Disability Studies so anzunähern, dass Menschen mit körperlichen oder mentalen Herausforderungen zur Sprache kommen? Zweitens interessieren ihn die Fragestellungen dieser Personen rund um die Missiologie (S. 11).

Anhand mehrerer Beispiele geht Conner der Frage nach, was denn „Disability“ sei und wie davon zu sprechen sei. Obschon rund 15-20% der Weltbevölkerung unter die WHO-Definition von Behinderung fallen, ist die Lebenserfahrung rund um „Behinderung“ ein Thema in der Mitte der Gesellschaft, da jeder schon temporär körperlich oder mental eingeschränkt war oder altershalber sein wird. Dem sozialen Disability-Modell (UK) folgend wird „Behinderung“ von den Nicht-Behinderten konstruiert. Dies geschieht, um sich gegenüber denen abzugrenzen, die vermeintlich „anders“ in ihrer körperlichen oder mentalen Lebensverwirklichung sind (S. 20-21). Es handelt sich dabei um eine heterogene Gruppe, die nicht auf einzelne Kriterien begrenzt werden kann. Zudem variieren und verändern sich diese Konstrukte global und lokal je nach Ethnie und deren kulturell-linguistischer Weltanschauungen. Conner wagt den Sprung in die transkulturelle Wahrnehmung von „Behinderung“, allerdings nur sehr begrenzt und nur für native Indians und eine nordafrikanische Ethnie (S. 22-24).

Danach bleibt Conner im nordamerikanischen Kontext und gibt einen Überblick über die besondere Problematik der Erwerbslosigkeit von behinderten Personen, deren Missbrauch und Gewaltanwendung gegen sie in Familie, Heimen oder Arbeitsstätten (S. 28-30). Auch sind sie im dortigen Kontext besonders von Armut, Obdachlosigkeit, Isolation, Kriminalisierung oder Inhaftierung bedroht oder betroffen.

Missiologie als einer praxisorientierten Disziplin, sollte der Diversität menschlicher Gesellschaften gerecht werden (S. 36). Selbstkritisch haben im letzten Jahrhundert nordamerikanische missiologische Kreise im sogenannten Hocking Report (1932) festgestellt, dass deren Sendung meist mit kolonialistischer Ausbreitung einherging. Dem stellt Conner nun ein Konzept entgegen, dass sich zum einen auf die Missio Dei, also Gottes Initiative an der Sendung, zweitens der Einheimischwerdung durch Kontextualisierung und drittens dem christlichen Zeugnis, als Proklamation der sozialen Pluriformität christlicher Präsenz stützt (S. 39). Besonders hervorzuheben ist seine Betonung der Bekehrung (conversion), als zentralem Prozess der Einheimischwerdung im Rahmen der Kontextualisierung (Andrew Walls; S. 42). Des Weiteren repräsentiert Missiologie die Disziplin des christlichen Zeugnisses. Christliches Zeugnis beinhaltet dabei die Proklamation nach außen und die Kommunion nach innen (S. 50-54). Zu Letzterem bemüht Conner James Edward Lesslie Newbigin (1979), der mit seinem Artikel Not Whole without the Handicapped auf den Disableismus der Kirche aufgrund physikalischer und geistlicher Ausgrenzung von behinderten Personen hingewiesen hat.

Im dritten Teil kommt Conner auf die Situation der Gehörlosen zu sprechen. Die missiologische Ausrichtung seiner Beobachtungen offenbart die paternalistische Haltung von kirchlichen Mitarbeitern, wenn es darum geht Menschen mit auralen Einschränkungen zu begegnen. Die Gehörlosen-Community ist dabei besonders interessant, da es in ihren Reihen Gruppen gibt, die sich als nicht-behindert werten. Sie argumentieren damit, dass die Gehörlosensprache eine vollumfängliche Kommunikationsgrundlage bildet, die jedem offen steht. Das bedeutet, dass es für diese Community keine Einschränkung gibt. Ihrer Deutung nach dient das Konstrukt „taub, stumm, gehörlos“ offensichtlich dazu, diese Gruppe zu stigmatisieren, obwohl kein objektives Kriterium der „Andersartigkeit“ vorliegt. Conner informiert die Leser über deren rassistische Diskriminierung, wie sie z. B. Alexander Graham Bell (*1847–†1922), der Erfinder des Telefons, an den Tag legte (S. 73). Er forderte die vollständige Ausrottung dieser gehörlosen defektiven menschlichen Rasse. In ähnlicher Weise spiegelt sich in der Evangelisierung von gehörlosen oder höreingeschränkten Personen, wie sie von Thomas Hopkins Gallaudet (*1787–†1851) betrieben wird, eine paternalistische Überheblichkeit. Für ihn waren sie „Heiden“ zu denen er gesandt war. Conner fragt zurecht, warum eine „körperliche Andersartigkeit“ mit Heidentum gleichgesetzt wird? In der Konsequenz gründete Gallaudet ein pädagogisches Heim, welches deren Krankheit des Geistes und deren Beschränktheit des Intellekts durchbrechen sollte, um zu religiöser Erkenntnis zu gelangen (S. 79). Conner betont, das Gallaudet die gleichen Argumente später an indigene Hawaiianer anlegt. Nichtsdestotrotz unterstützt Gallaudet aufgrund seiner pädagogischen Prämissen die Gebärdensprache, diskriminiert jedoch diejenigen, die im Zungenlesen oder im Erlernen der Schriftsprache nicht zur Perfektion kommen (S. 83-85).

Conner wagt den kritischen Vergleich mit der Indigenisierung des Christentums in Afrika. Dort trug die Bibelübersetzung wesentlich dazu bei, dass eigene christliche theologische Ausdrucksweisen sich entwickelten, nachdem einheimische Exegeten sich vom westlichen Einfluss lösten und eigene Zugänge zum Evangelium fanden. Auch die Gehörlosen-Community löst sich von den Worten und interpretiert mittels der Gebärdensprache, die in den Ereignissen beschriebenen implizierten zwischenmenschlichen Begebenheiten. Deren warmherzige Auslegung bereichere die Kirche, so Conner (S. 97-98).

Im letzten Teil beschreibt Conner seinen hermeneutischen Ansatz des iconic witnesss, dem ikonenhaften Zeugnis (S. 103). Er hat dabei mentale Einschränkungen (intellectual disabilities) im Sinn. Deren Stigmatisierung entgegnet er einen Perspektivenwechsel vom Rationalismus zum Relationalismus menschlichen Seins. Das Ikonenhafte unseres Mensch-Seins gründet sich dieser Interpretation nach auf die gegenseitige Begegnung und repräsentiert ein Sakrament der Schöpfung, welches Gott in allen Menschen zur Geltung bringt (S. 139).

Conner liefert eine anthropologisch-theologische Studie, die Raum für weitere Forschung bietet. Inwiefern das von ihm vorgestellte hermeneutische Konzept des „iconic witness“ dabei neu oder hilfreich ist, wird sich zeigen müssen.

 

Missiologie ; Interkulturelle Theologie ; Gehörlosigkeit ; Taubstumm ; iconic witness ; Hermeneutik der Symbole ; ikonenhaftes Zeugnis

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