Rezension: Danys, Miroslav 2016. Diakonie im Herzen Europas: Ursprünge, Entwicklungen und aktuelle Herausforderungen in West & Ost, neu betrachtet aus Anlass des Reformationsjubiläums

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Miroslav Danys (Pfarrer; Osteuropabeauftragter der Lippischen Landeskirche) wird als missiologischer Brückenbauer zwischen Ost und West beschrieben (Zitat auf der Umschlagseite). Er ist ein Kenner des Kommunismus und Beobachter der Entwicklungen nach der politischen Wende der neunziger Jahre. Danys sieht die Zukunft der Diakonie in einem gut vernetzten Europa. Nur mit der Hilfe der Kirche ist eine solche, alle Menschen achtende, soziale Einrichtung aufrecht zu erhalten.

Seine Heimat ist das Teschener Land mit der gleichnamigen Stadt (Cieszyn), welche er in Mitteleuropa verortet. Dieses liegt im heutigen Polen an der Grenze zu Tschechien. Der Schwerpunkt der Forschung liegt auf der kirchlich-gemeindlichen Diakonie, sowohl vor, während als nach dem politischen Umschwung. Dabei hat er vornehmlich die DDR, den ihm bekannten Teil Polens und Tschechien im Blick. Der politische Wille und der Zeitgeist stehen dabei in enger Beziehung zu den Entfaltungsmöglichkeiten kirchlich-gemeindlicher Diakonie.

Danys beginnt mit einem Rückblick. Er schaut auf die Person Lorenzo Vallas (15. Jh.), der nach Ansicht Danys die reformatorische Sozialarbeit im ausgehenden Mittelalter begründete. Vorbereitet wurde dessen Werk durch die Ultramontaner, zu denen auch Jünger des Petrus Valdes, dem Begründer der Waldenser gehörten. Ab dem 11.-12. Jhdt. führte die mittelalterliche Epoche der „Früh-Industrialisierung“, zur Unterschicht der Lohn-Arbeiter. Deren Spezialisierung führte zwar zu einer höheren Produktivität im Rahmen des aufkommenden Frühkapitalismus zwang diese Bevölkerungsschicht aber auch oftmals in die Armut und damit in die soziale Abhängigkeit. Dem steuerte die kirchlich-gemeindliche Diakonie entgegen. Initiiert von Privatpersonen oder kirchlichen Institutionen bildet das Vorbild des Martyriums Jesu die praktische und theologische Grundlage des Sozialen Dienstes am Nächsten (S. 8).

Danys Blick richtet sich nun auf das Gebiet des heutigen Polen. Es wurde ab dem 17. Jhdt. ein Siedlungsgebiet deutscher Migranten aus dem Westen und jüdischer Pogromflüchtigen aus dem Osten (Russland). Die Deutsch-Migranten brachten protestantisches Denken, die Bibel und ihre liturgischen Hilfsmittel mit. Am Beispiel des Edmund Holtz beschreibt er den Aufbau der evangelisch-lutherischen Diakonissen-Mutterhaus-Bewegung, welche sich aus einem Heim für Personen mit Epilepsie entwickelte und von Holtz in Lódź etabliert wurde (S. 14). Auch im estnisch-lettischen Baltikum konnte die lutherische Kirche ähnliche diakonische Strukturen entwickeln.

Exemplarisch stellt er den nächsten geschichtlichen Strang diakonischer Arbeit in Polen am evangelischen Seuchenhaus, heute Krankenhaus, in Warschau dar. Gegründet 1736 auf einem Friedhof für Dissidenten, wurde es zur Pflegeeinrichtung protestantischer Kranker oder Verletzter. Nach dem ersten Weltkrieg öffnete es die Tore für alle Hilfesuchenden und wurde weithin bekannt (S. 17-19). Im zweiten Weltkrieg grenzte es an das Warschauer Ghetto und diente einigen wenigen jüdischen Ghettoflüchtigen als Anlaufstelle. Es wurde 1944 völlig zerstört (S. 21).

Im Kommunismus wurde jedwede öffentliche Diakonie im Keim erstickt, da sich der Staat als die alle(s) versorgende Einheit verstand. Kirchlich-gemeindliche Diakonie verlagerte sich auf innerkirchliche Dienstleistung an Bedürftigen. Doch waren die Spielräume in den unterschiedlichen staatlichen Gebilden verschieden, wie die Beispiele, DDR, ČSR, Slowakei, Polen, Ungarn und das Baltikum lehren.

In Tschechien gelangte die kleine achtköpfige Diakonissenarbeit zu Beginn des 19. Jhdt. zu Ruhm, da ihre voll ausgebildeten Pfleger im Ersten Weltkrieg vielen verwundeten Kriegsopfern als einer der wenigen Institutionen helfen konnten (S. 63-64).

Nach Danys stieß die kommunistische Partei in der ČSR auf besonders offene Ohren, was die kirchliche Diakonie lahmlegte. Privatbesitz wurde fast völlig verboten, die Diakonie und die Kirchen wurden verstaatlicht und damit vom ideologischen Feind betrieben und bezahlt (S. 66). Eine Studie von Vlastimil Jaša aus dem Jahr 1956 beschreibt die damit einhergehenden ungelösten staatlichen Probleme in der Kinder- und Jugendpflege, der Prostitution, dem Kampf gegen den Alkoholismus, dem Problem der Scheidungen, der Schwangerschaftsabbrüche, der Kinderlosigkeit und Ein-Kind-Ehen und des Suizid bzw. Freitod. Themen, die in der kommunistischen Öffentlichkeit verschwiegen wurden. Diese Missstände aufgreifend wurde nach der Wende die Diakonie ganz in die Hände der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder (EKBB) übergeben (S. 74). Der Diakonissenstand hatte sich aufgelöst. Die Arbeit richtet sich nun auf Altenheime, den Dienst an Menschen mit körperlichen oder mentalen Einschränkungen und therapeutischen Hilfen (S. 75). Die kirchlich-gemeindliche Diakonie wurde nun als Wirtschaftsunternehmen im sozialen Bereich verstanden. Um die ethischen Aspekte der Fürsorge und der Dienst- und Opferbereitschaft wieder hervorzuheben wurde die Diakonie 1999 unter eine diesbezüglich fordernde Satzung gestellt.

Im Teschener Land (Polen) hingegen hat der Pietismus zu einer Staatshörigkeit und gleichzeitigem Dissidententum geführt (S. 85). Kulisz gründete dort im Jahre 1907 eine Anstalt mit Namen „Bethesda“ (S. 89). Die kirchlich-gemeindliche Diakonie wurde zum Ausdruck des geistlichen Lebens in der ganzen Region.

In der DDR, Polen und Ungarn war die Diakonie eng mit kirchlichen Strukturen verknüpft, welche wiederum auf westliche Kontakte und Zahlungen blicken konnten. Augenscheinlich waren diese Beziehungen Grundlage besserer medizinisch-pflegerischer Versorgung, als in anderen Staaten. Gerade die DDR profitierte von diesen Strukturen besonders, indem ausländisches Kapital zur Versorgung eingesetzt wurde.

Nach der Wende wurde die finanzielle Notlage der sozialistischen Länder besonders für Personen mit körperlichen oder mentalen Einschränkungen kritisch. Die kirchlichen und gemeindlichen Strukturen in den besprochenen Ländern konnten diese Notlage, auch mit westlicher personeller und finanzieller Hilfe aufgreifen und eigene diakonische Strukturen entwickeln.

Danys gibt einen exzellenten Rück- und Überblick über die Entwicklung der Diakonie in Mitteleuropa. Gerade im Hinblick auf die missiologische Seite des Gemeindebaus, der Disability Studies und dem kirchlich-gemeindlichen Umgang mit den „Anderen“ (otherness) in Zeiten des Umbruchs bieten seine Ausführungen hilfreiche Einsichten.

 

Diakonie ; Disability Studies ; Behinderung ; behinderte Menschen ; kirchliche soziale Dienste ; Polen ; Tschechoslowakei

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