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Rezension: Morton, Jeff 2012. Insider Movements: Biblically Incredible or Incredibly Brilliant?

Morton, Jeff 2012. Insider Movements: Biblically Incredible or Incredibly Brilliant? Eugene: Wipf & Stock, 126 Seiten.

werner [at] forschungsinstitut.net

Jeff Morton ist Professor an der Biola University’s Cook School of Intercultural Studies. Wie schon in seinen vorhergehenden Werken Two Messias (2011) und als Mit-Herausgeber von Chrislam (2011) hat er sich im vorliegenden Werk, im Rahmen von 12 kurz gefassten Artikeln, mit sogenannten „Insider Movements“, auch „Jesus Movements“ genannt, auseinandergesetzt. Angelehnt an Bewegungen, die Jesus als dem „Messias“ (Messias Movements) folgen (z. B. messianische Gläubige jüdischen Hintergrunds) untersucht er solche aus dem islamischen Bereich. Morton geht dabei auf die – für die gesamte Diskussion sehr hilfreiche – Unterteilung in religionstheologisches Verständnis, biblische Grundlagen und das Verständnis von Bekehrung / Umkehr ein. Diese drei Bereiche durchleuchtet er anhand der von den Hauptbefürwortern Kevin Higgins (Global Team; IJFM 2004-2009), Lewis Rebecca (Frontiers; IJFM 2007-2010), Dudley Woodberry (Fuller Seminary; 1989; 1996; 2007) und Rick Brown (SIL International; IJFM 2004-2010) getroffenen Aussagen in Evangelical Missions Quarterly (EMQ) und dem International Journal of Frontiers Mission (IJFM). Aufgrund ihrer Aktualität wird die im April 2013 erschienene ablehnende Haltung der World Evangelical Alliance (WEA) bezüglich Islam-kontextualisierter Terminologie in Bibelübersetzungen nicht behandelt. Fragen der Identität der moslemischen Messias Nachfolger, dem Verständnis von Kirche und der Übersetzung für den Islam anstössiger Terminologie in Bibelübersetzungen oder Schriftmaterial beantwortet er in seinen anderen Publikationen.

Gleich in der Einleitung und im ersten Kapitel macht Morton deutlich, dass er den Islam als „false religion with a false message about a false hope delivered by a false prophet, and written in a book filled with false claims“ (S. 9; Hervorhebungen im Original. EW) betrachtet. Um die, seiner Meinung nach, gravierenden Unterschiede zwischen dem biblischen und koranischen Gottesverständnis aufzuzeigen, benutzt Morton die Eigennamen Yahweh und Jesus im Kontrast zum islamischen Allah. Dabei wird für ihn die anti-christliche Ausrichtung des Islam vor allem am koranischen Textinhalt deutlich, den er durchgängig als Belegstelle aufzeigt.

Kapitel zwei beleuchtet die Vorstellung eines laut Higgins originären orthodoxen Islam, welcher sich von innen durch Messianische Moslems erneuert und gar nicht so weit von urchristlichen Ansichten entfernt sei (S. 14). Anhand des zentralen Ereignisses der Inkarnation Jesu zeigt er den „antichristlichen Geist“ (S. 17) des diese ablehnenden Islam auf. Im Weiteren bespricht Morton anhand ausgewählter biblischer Textbelegstellen von Befürwortern der Insider Bewegung seine drei Hauptargumente (siehe oben).

Im Weiteren bespricht er Gen 14:17-20, das Auftreten des Königs von Salem Mechisedek (Kapitel drei). Higgins sieht in dieser Perikope ein Handeln Gottes (El in V. 18 in Anlehnung an semitisch Elohim und Allah) in anderen Religionen, namentlich der Religion Melchisedeks, welcher eine Vorausschattung des Messias darstellt. Morton lehnt dies ab. Letzterer nimmt an, dass Melchisedeks Religion, ähnlich wie die des Abraham, dem Kern nach den wahren Gott Yahweh anbetete und deshalb bei Yahweh Beachtung fand.

In Kapitel vier bespricht Morton 2 Könige 5:15-19. Die Geschichte Naamans und dessen Heilung von Lepra durch den Propheten Elisa ist laut Higgins ein weiterer Hinweis darauf, dass ein Gläubiger in seinem religiös-kulturellen Umfeld verharren soll. Die Tatsache das Naaman von Israels Erde nach Aram mitnahm zeigt, dass er mit der Erlaubnis des Propheten in seiner kulturell-religiösen Tradition bleiben sollte. Über die biblische Verknüpfung des Besitzes von der Erde Israels und den nun von ihm verehrten Gott Israels (V 15, 17) zeigt diese Geschichte dass man Yahweh auch als Nicht-Israelit anbeten kann. Am, Ende wehr Morton solches als Argument aus dem Schweigen ab, da keine qualitative Aussage über die Stellung Naamans im Verhältnis zum Gott Abrahams getroffen würde.

In Kapitel fünf bespricht Morton Jona 1 und die Stellung des Propheten und der Schiffsbesatzung als Beweis für nicht-jüdische Yahweh Verehrung. Deren Beziehung zu Yahweh, allein aufgrund der erwähnten Gebete, kann seiner Einsicht nach nicht als Beweis für eine wirkliche Gottesbeziehung gelten.

Johannes 4 und Apostelgeschichte 8 sind weitere Stellen die von Befürwortern als Belegstellen nicht-jüdischer Anhänger des Yahwe-Kultes gelten und beweisen sollen, dass diese Volksgruppen in ihrem religiös-kulturellen Umfeld geblieben sind (Kapitel 6). Die Bekehrungen aus dem Volk der Samaritaner werden von Befürwortern oft als Beispiel für Insider Movements gesehen (S. 36-37). Morton schließt eine solche Ableitung aber wiederum aus dem Argument des Schweigens aus. Da nicht über eine detaillierte Umkehr der Samaritaner gesprochen wird kann man darüber auch nichts sagen.

Apostelgeschichte 15:19-21 (Kapitel 7), Apostelgeschichte 17:22-23, 28 (Kapitel 8), 1 Korinther 7:17-20 (Kapitel 9) und 1 Korinther 9:19-23 (Kapitel 10) runden die Betrachtungen ab, wobei die Argumentation ähnlich bleibt.

In Kapitel 10 greift Morton einen hier bemerkenswerten Vergleich von Woodberry auf. Dieser sieht Ähnlichkeiten zwischen dem Dekalog aus Exodus 20 und denselben Geboten im Koran. Morton vergleicht beides und kommt zum Ergebnis, dass (1) das Sabbat-Gebot im Koran nicht aufgegriffen wurde, da Moslems den Freitag als Feiertag nutzen (S. 74), (2) dass es zwei Gebote gibt, die nicht eindeutig im Koran beantwortet werden (keine anderen Götter, nicht töten), aber (3) dass die anderen Gebote auch im Koran auftauchen. Mohammed bleibt für Morton ein Plagiator. Interessant an diesem Punkt ist das Morton Woodberrys Ausführungen zu einer Annäherung an den Islam bis auf den Artikel von John Wilder im Jahre 1977 zurückführt: Some Reflections on Possiblities for People Movements Among Muslims (Missiology 1977). Das Ganze stellt für Morton einen inzwischen lange währenden und gefährlichen Paradigmenwechsel in der evangelikalen Theologie dar.

Danach geht Morton auf das Verständnis von Umkehr und Bekehrung und Christianisierung ein (Kapitel 11). Er sieht das Hauptanliegen der Befürworter von Insider Movements darin, um jeden Preis eine Christianisierung oder im schlimmsten Fall Verwestlichung von gläubigen Jesusnachfolgern aus dem Islam vermeiden zu wollen (S. 88-90). Morton verdeutlicht, dass diese Grundannahme falsch sei, da ein Bekehrter nicht Namens-Christ, sondern ein wahrer Christusnachfolger wird, der sich beliebig benennen könne, aber eben zu „Christus“ gehört. Dabei spielen kulturell-religiöse Argumente nur eine untergeordnete Rolle. Zum Abschluss schließt Morton mit einer klaren Absage an die Insider Movements als Teil des wahren Christentums (Kapitel 12).

Erwähnenswert sind noch die zwei Appendixes. Appendix 1 enthält eine Grundsatzerklärung von Bassam Madany gegen die Initialisierung von Insider Movements als einem westlichem Produkt. Appendix 2 ist eine Untersuchung von Roger Dixon zu Insider Movements in West Java, Indonesien. Roger Dixon hat die Bewegung (auch in Bangladesch) teilweise mit begleitet und kommt zu dem Schluss, dass es sich um ein falsches Evangelium und einen falschen Ansatz handelt, der viele Gräben aufgetan statt geschlossen hat.

Dieses Buch ist hilfreich, um sich ein Bild zur Theologie und Missiologie von Befürwortern und Gegnern des Insider Movement Ansatzes zu machen. Es ist an manchen Stellen ironisch, bzw. sarkastisch negativ, was dem „evangelikal-bibeltreuen“ und „konservativen“ Verständnis des Autors entspricht. Wenn eine theologisch Annäherung an den Islam – und das ist der Casus Knacksus in dieser Diskussion – nicht gewünscht wird, dann kommt man zu solchen Schlüssen. Vor allem die Auseinandersetzung zwischen Schrift und Koran machen diese Studie zu einem Hilfsmittel für apologetische Untersuchungen. Zum Schluss sollte noch gesagt werden, dass die Überbetonung eines westlichen Einflusses bei der Bildung von Insider Movements nicht die ganze Wahrheit abbildet. Teilweise stießen christliche Entwicklungshelfer in der islamischen Welt auf bereits existierende Kreise von Messiasnachfolgern derer sie sich annahmen. Letztere Entwicklung taucht jedoch bei Morton nicht auf.

Rezension: Boase, Roger (ed.) 2005. Islam and Global Dialogue: Religious Pluralism and the Pursuit of Peace.

werner [at] forschungsinstitut.net

 

In diesem Werk, zu dem 20 Autoren beigetragen haben, geht es darum zu erkunden wie sich der Islam als religiöse Bewegung auf den interreligiösen Dialog eingelassen hat. Roger Boase, war Professor an der Universität in Fez / Marokko, bevor er an die Universität zu London wechselte. Seine Stellungnahmen lassen darauf schließen, dass er selbst Moslem ist (Beitrag 17; s. unten). Er hat ein buntes Gemisch an Autoren zum Thema „Islam und religiöser Pluralismus“ gesammelt. Dabei ist der Hauptteil der Arbeit, Beiträge 4-11 (S. 77-190), dem Islam und seiner Beziehung zum Westen, im Hinblick auf Huntington’s Clash of Civilization and the Remaking of World Order (1996) gewidmet. Der zweite Hauptteil, Beiträge 12-19 (S. 191-273), beschäftigt sich mit jüdischen, christlichen und islamischen Antworten auf religiöse Unterschiedlichkeit. Abschließend – wie auch implizit über dem ganzen Werk – steht der Appel religiösen Pluralismus als Chance und als Ausdruck menschlicher und göttlicher Vielfarbigkeit zu sehen und religiöse Auseinandersetzungen zu verdammen.

In Teil 1 der Sammlung wird der Leser durch John Bowden, editor of SCM Press, auf den historischen Ursprung religiösen Pluralismus im Rahmen der Aufklärung hin geführt (Beitrag 1; S. 13-20). Diana L. Eck, Indian studies Harvard University, definiert als hilfreiche Unterscheidung den Exklusivismus, Inklusivismus und Pluralismus als die drei philosophischen Kernströmungen religiöser Ausprägung (Beitrag 2; S. 21-50). Die christlich evangelikale Welt ist dabei im Spektrum von extrem exklusivistischen, teils auch fundamentalistisch genannt (z. B. S. 13), wie z. B. in der Frankfurter Erklärung ausgedrückt bis hin zu wenig exklusivistischen Gruppen vertreten, die sich selbst als Ausdruck religiöser Pluralität verstehen (z. B. United Church of Canada, S. 23). Solche Spektren bilden sich in allen Religionen ab, z. B. Islamic Jihad im Islam oder Gush Emunim im jüdischen Glauben. In gleicher Weise findet sich diese Bandbreite auch im inklusivistischen und pluralistischen Raum wieder. Das Bild des Westens (Teil 2) im Islam wird von verschiedensten Blickwinkeln aus betrachtet. William Dalrymple, Historiker und Schriftsteller, führt in die Welt der christlichen Heiligen und der islamischen Sufiten ein (Beitrag 5; S. 91-101). Dabei enthüllt er Gemeinsamkeiten im langen Miteinander beider Religionen. Er kommt zu dem Schluss, dass man je länger man das orthodoxe Ostkirchentum studiert, desto mehr wird deutlich wie sehr es die Grundlage fundamentaler islamischer Inhalte darstellt (S. 96). Gerade in Ostanatolien (Levante) und im Nahen Osten ist dieser christlich-islamische Synkretismus, seiner Meinung nach tief verankert. Akbar S. Ahmed, Islamic studies an der American University Washington, ist weltweit bekannt für seinen Einsatz zum öffentlichen Dialog zwischen Islam und den anderen Religionen (Beitrag 6; 103-118). Sein Beitrag, wie auch an anderer Stelle, geht davon aus, dass sich Moslems deshalb ablehnend gegenüber dem Westen erweisen, weil die Leistungen des Islam dort nicht beachtet werden (S. 106-107). Diese Schuldzuweisung an den Westen wird oft benutzt und unterstreicht den Graben zwischen islamischer Welt und dem pluralistisch-christlichen Westen. Antony T. Sullivan, Lehrer am Institut für Middle Eastern and North African Studies an der Universität zu Michigan, geht als einer der wenigen auf die spannungsgeladene politische Situation zwischen islamischer Welt und dem Westen, insbesondere den Vereinigten Staaten ein (Beitrag 9; S. 139-158). Er versucht den Westen aus asiatischer Sicht (China und Indien) zu verstehen und die arabische Welt als Bestandteil darin zu verankern (S. 139). Im Weiteren führt er den Leser in den ökumenischen Jihad römisch katholischer Gelehrter ein (Peter Kreeft, Russell Kirk). Der von vielen Muslimen als auch Nicht-Muslimen, missverstandene Begriff jihad und die daraus resultierenden Aktivitäten wird als Ursache für die ablehnende Haltung des Westens gegenüber dem Islam gewertet (S. 147).

Im zweiten Hauptteil (Teil drei) kommt der christlich-jüdisch-muslimische Trialog als trilateraler Dialog ins Gespräch. Tony Bayfield, Direktor der reformierten Synagogen im Vereinigten Königreich (UK), weist darauf hin, dass der 11 September 2001 ein Angriff auf jegliches religiöse Denken war (Beitrag 12; S. 191-202; S. 191). In 5 Anklagepunkten beschreibt er das Dilemma: Judentum, Christentum und Islam sind für ihn eng verwandt, stellen aber die am schlechtesten funktionierende Verwandtschaft oder Familie dar, die man sich vorstellen kann (S. 194). Keine dieser drei monotheistischen Schriftreligionen hält sich an die Herausforderungen ihrer eigenen Schriften sich um Frieden zu bemühen (S. 195). Das Judentum klagt er für seine absolute Theologie der Erwählung und Einzigartigkeit an (Anklage 3) und die Ausprägung aller drei Religionen hin zum Fundamentalismus (Anklage 4; S. 195). Zuletzt verweist er auf die Ausbeutung der Dritten Welt durch das Christentum und den post-christlichen Westen (S. 198). Bayfield‘s Argumentation ist symptomatisch für den Ansatz des religiösen Pluralismus wie er in diesen Artikeln vorgetragen wird. Murad Wilfried Hofmann, ein deutscher Diplomat und Autor in Algerien und Marokko der zum Islam konvertierte, verteidigt die „zurückhaltende“ Stellung des Islam in Hinblick auf den religiösen Dialog (Beitrag 16; 235-246). Seiner Meinung nach hat Amerika wenig aus dem 11. September gelernt und es wurde „Israel“ in der ganzen Debatte vergessen (S. 235). Fanatische evangelikale Kreise würden den Islam aktiv bekämpfen, wobei sich Deutschland als herausragend erweise. Dabei sind in islamischen Staaten, so seine Beobachtung, religiöse Probleme auf lokaler Ebene kein Thema (S. 237). Der dhimmi-Status (nicht-Muslime in islamischen Staaten) hätte nur drei Einschränkungen zur Folge: Ausschluss aus dem Militärdienst, eine spezielle Steuer die nicht unbedingt höher wie die normale Steuer zakat war, und die Unmöglichkeit höchstes Staatsoberhaupt zu werden (!; S. 242). Toleranz, Ökumene und das Streben nach Frieden in allen Religionen kann nur gelingen wenn jeder in seinem bleibt ist seine abschließende These (S. 244).

Eine dritte Stellungnahme zum interreligiösen Dialog kommt vom Editor Roger Boase, der den ökumenischen Islam als eine Antwort auf den religiösen Pluralismus betrachtet (Beitrag 17; S. 247-266). Er zeichnet drei Grundhaltungen im Hinblick auf religiösen Pluralismus ab.

Diejenigen die komplett ablehnen (z. B. solche die sich als Instrumente Gottes sehen),
diejenigen die religiöse Unterschiedlichkeit als Segen betrachten und dem Weltfrieden entgegen streben (z. B. Küng), und zuletzt
diejenigen die Religion in jedweder Ausprägung ablehnen (S. 247-248).
Auch Boase beginnt mit dem 11. September 2001 und beschreibt die militärische Antwort des Westens in Afghanistan, Irak und Pakistan als den schlimmsten Fehler (S. 248). Die wahre Dichotomie findet sich nicht zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen, sondern zwischen extremistisch-exklusivistischen und inklusivistisch-pluralistischen Gruppen (S. 249). Auf der Suche nach Gemeinsamkeiten stößt er auf den ökumenischen Islam. Der Prophet Mohammed selbst war in die interreligiöse Debatte seiner Umwelt eingebunden, wie der Koran zeigt. Sieben Prinzipien lassen sich daraus ableiten:

Es soll kein Druck in Bezug auf den Glauben ausgeübt werden (Sura 2:256),
beleidige keinen Andersgläubigen (Sura 6:108),
lass dich nicht mit denen ein die deinen Glauben beleidigen (Sura 5:57-58),
sprich mit Taktgefühl und Höflichkeit mit denen anderen Glaubens (Sura 15:88),
suche den Dialog mit denen die kritisch argumentieren (Sura 3:65),
versage der Spekulationen über Glaubensfragen (Sura 40:4), und zuletzt
konkurriere in deinem eigenen Glaubensleben mit Andersgläubigen um sie zu motivieren (Sura 5:48; S. 252-254).
Soweit die Auslegung von Boase zum Koran. Der jüdisch-islamische Dialog zu Zeiten des Propheten Mohammed war intensiv und sollte heute im islamischen Raum, wie auch außerhalb im Hinblick auf den Islam als religiöser Dialog wieder aufgenommen werden (S. 262).

Dieses Werk ist in Anlehnung an die derzeitigen Spannung zwischen den Weltreligionen ein Fingerzeig darauf hin, dass es an jedem einzelnen liegt sich theologisch auf andere Religionen in der Weise einzulassen und sie nicht grundsätzlich als fundamental-radikal zu betrachten. Solch eine Ausprägung ist in jeder Religion vorhanden und sollte zur Nächstenliebe oder Friedensabsicht führen, wenn man den Offenbarungen folgt. Da die menschliche Realität aufgrund ökonomischer oder politischer Spannungen (Armut, Verfolgung, Vertreibung) oft anders aussieht, bleibt zuletzt die bange Frage, ob sich solche Appelle umsetzen lassen oder die Menschen zum Umdenken bewegen.

Rezension: Georges, Jayson & Baker, Mark D. 2016. Ministering in Honor-Shame Cultures: Biblical Foundations and Practical Essentials

werner [at] forschungsinstitut.net

 

Georges (MDiv, Talbot) und Baker (Ph.D, Duke University) können auf eigene missiologische Erfahrungen zum Thema zurückgreifen. Georges arbeitete neun Jahre in Zentralasien und Baker zehn in Honduras. Gleich zu Beginn machen sie deutlich, dass es sich bei ihrem Ansatz lediglich um eine Tendenzen-darstellende Annäherung zwischen unterschiedlichen Gewissensorientierungen handeln kann. Es ist nicht ganz eindeutig, wo sie ihre Forschung verorten, jedoch scheinen sie ihre Erfahrungen als ethnographische Studien aus Sicht der kulturellen Anthropologie (cultural anthropology; Ethnologie) zu verstehen (Kapitel 1 Paragraphen 2 und 3). Die angeführten Erkenntnisse werden jeweils zu Beginn durch eine praktische ethnographische Beobachtung untermauert.

Als Einstieg benutzen die Autoren ISIS-Propaganda, um die dort beinhalteten Hinweise auf Ehre und Scham (honour-shame) zu untersuchen (S. 15). Diese steht im Kontrast zur nordamerikanisch-nordeuropäischen Gewissensorientierung, welche sich an Unschuld/Gerechtigkeit und Schuld ausrichtet (S. 37). Das Beispiel des amerikanischen Kriegsministeriums, zur Untersuchung der japanischen Kultur, durch die Anthropologin Ruth Benedict, um die japanische Gewissensausrichtung zu verstehen, verdeutlicht den tiefen kognitiven Graben zwischen den Kulturprägungen (S. 16).

Die Autoren stellen fest, dass jede ideologisch-theologische Denkrichtung in ihren Wertvorstellungen auf einer grundlegenden Prägung des Gewissens basiert. Sie verstehen deshalb ihren Ansatz komplementär und nicht absolut (S. 23).

In gezielten Schritten führen sie in die Denkstrukturen von auf Ehre und Scham orientierten Gesellschaften ein. Was richtig und was falsch ist wird dort kollektiv und Beziehungs-relevant entschieden. Im Gegensatz hierzu steht die philosophisch-rechtliche Wahrnehmung in Schuld-orientierten sozialen Gruppen. Ihre Zusammenfassung lautet: Schuld-Orientierung lehrt, „Ich machte einen Fehler, ich muss ihn zugeben“, Scham dagegen sagt, „Ich bin ein Fehler, ich muss das verbergen“ (S. 37-38).

Werte bestimmen das Verhalten und sind damit grundlegende Hinweise auf Gewissens-Orientierungen. Anhand folgender Themenkomplexe, wird dies für auf Ehre und Scham orientierte Gesellschaften näher erklärt:

Die Dynamik des Patronats als Gesellschaftsphänomen,

indirekte Kommunikation,
kollektive Ausrichtung auf den individuellen Anlass,
das Reinheit-Unreinheitsparadigma,
das soziale Rollensystem und zuletzt
die Gastfreundschaft (S. 50).
Im Einzelnen: Das Patronat oder der Paternalismus (nicht Korruption) schuldorientierter Gesellschaften basiert auf einem wechselseitigen Verhältnis ungleicher Partner. Der Schutzherr garantiert die physische Versorgung mit materiellen Mitteln (Lebensmittel, Bau- und Verteidigungsmaterial) und erhält im Gegenzug dafür Loyalität, Hörigkeit und Gefolgschaft. Dem Gewinn von Prestige (Ehre) steht drohend der gleichzeitige Verlust desselben durch Fehlverhalten entgegen, verursacht durch das Nichtteilen vorhandener Ressourcen. Indirekte Kommunikation ist eine Harmonie und Beziehungs-orientierte Form der Mitteilung. Sie stellt niemanden bloß und ist respektvoll und loyal zum Gesprächspartner (S. 53). Im einzelnen sozialen Ereignis wird die Respekts-Beziehung in den Vordergrund gestellt. So steht der Respekt auch in Bezug auf das Abwarten, z. B. gegenüber Höhergestellten bei einer Hochzeit zuoberst, auch wenn das Brautpaar, oder Hochzeitsgäste warten müssen (nicht mit Bequemlichkeit zu verwechseln). Reinheit stellt Ordnung dar, das Richtige am rechten Platz, wohingegen Unreinheit das Falsche am falschen Ort signalisiert (kein Legalismus! S. 55). Gastfreundschaft sucht immer das quantitativ und qualitativ Beste für die Gäste zu geben (keine Verpflichtung!). Festessen stellen soziale Ehre-Veranstaltungen dar, bei denen Essen als Gegenwert im Rahmen reziproker Erwartungen (siehe oben) eingesetzt wird (S. 58).

Im theologischen, dem zweiten Teil, werden die Werte und Interpretationen von auf Schuld und Gerechtigkeit ausgerichteten (westlichen) Gesellschaften mit denen von Ehre und Scham orientierten Gesellschaften verglichen. Da die Hebräische Bibel und das Neue Testament in letzteren Gesellschaften verankert waren, wird der Graben zur heutigen westlichen Interpretation deutlich. Finanzielle, individuelle und soziale Unabhängigkeit führen zu egalitären, Respekt-unabhängigen, an Bereicherung orientierten, auf Recht und Ordnung ausgerichteten, rationalen und Pünktlichkeits-orientierten Gemeinden und Kirchen (S. 60). Demgegenüber liegt die biblische Betonung auf der Ehre Gottes, welche sich in der Ebenbildlichkeit des Menschen wiederspiegelt (Ps 8:5). Sünde wird zur Verweigerung dieser Ehre gegenüber Gott und Menschen. Ehre beruht daher auf Status. Dieser ist von physischen, geistigen und psychischen Faktoren abhängig. Hier nehmen die Autoren auf den behinderten Mephi-Boschet aus der Nachkommenschaft Jonathans Bezug, welchem König David Respekt aus Mitleid und dessen Abstammung heraus zollte (2 Sam 3:9; S. 83). Leider lassen die Autoren hier einen inklusiven Ansatz vermissen.

Als nächste biblische Episode betrachten Georges und Baker die Geschichte der Sünderin, die Jesu Füße im Hause des Pharisäers Simon mit ihren Haaren ölt (Lk 7:36-50). Offensichtlich war Simon nicht der Praxis der Fußreinigung gefolgt, ein Missstand, den die Frau aufgriff und damit Simon nach Jesu‘ Aussage bloßstellte (S. 98-99). Ein weiteres Beispiel geben Georges und Baker mit dem Gleichnis des „verlorenen Sohnes“ (Lk 15:12-32). Beeindruckend ist, dass Jesus die Scham und Ehre Orientierung seiner Umwelt aufgriff, um auf Missbrauch und Übertretung hin zu weisen. Er hat mehrfach seine Jünger, die Pharisäer oder auch offizielle Machthaber bloß gestellt, um die Wertvorstellungen des Reiches Gottes zu veranschaulichen. Kumuliert hat dies in der Überwindung des Todes durch das Kreuz, was als eine große Schande – Fluch – deklariert wurde (Dtn 21:23; S. 175). In ihrer Nacherzählung betonen sie die Möglichkeit, den Gesichtsverlust vor Gott in der Beziehung zu Jesus dem Christus überwinden zu können.

Georges und Baker führen im dritten Teil ihrer Abhandlung in praktische Konsequenzen der beschriebenen Gewissensausrichtungen ein. Sie gehen auf die geistliche Ausrichtung, die Beziehungsverhältnisse, Evangelisation, Bekehrung, ethische Konsequenzen und die Gemeinschaft in solchen Kontexten ein. Als Anhänge bieten sie ein Bibelstellenverzeichnis (Appendix 1), Biblische Geschichten (Appendix  2) und Hinweise auf weitere Hilfsmittel zum Thema (Appendix  3). Aus dem Erfahrungsschatz von Georges stammen Re-Interpretationen biblischer Geschichten, die er zusammen mit Menschen aus dem besprochenen Gewissensspektrum erarbeitete und die in diesen dritten Teil einfließen.

Das Thema der Gewissens-Orientierung hat in der Anthropologie und der Missiologie eine gewisse Tradition. Es wird in der Forschung kritisch hinterfragt, z. B. ob man nicht besser in bestimmten Kontexten von einer Reinheit vs. Unreinheits-Orientierung ausginge (z. B. Wheatcroft 2005). Die hier vorliegende Ausarbeitung geht darauf nicht ein, was ein Kritikpunkt darstellt. Als Ideengeber und auch zum Verständnis biblischer Kontexte im Hinblick auf eine Ehre und Scham-Orientierung bietet dieses Werk tiefe praktische Einblicke.

 

Gewissensorientierung ; Elenktik ; Scham ; Ehre ; Kollektivismus ; Reinheit ; Unreinheit ; Evangelisation ; Islam ; Buddhismus ; Religionswissenschaft ; Anthropologie ; Ethnographie ; Behinderung ; Disability Studies

Rezension: Harvey, Richard 2009. Mapping Messianic Jewish Theology: A Constructive Approach. Studies in Messianic Jewish Theology,

werner [at] forschungsinstitut.net

 

Richard Harvey ist Akademischer Dean und Tutor in Hebräischen und Jüdischen Studien am All Nations College bei London. Laut Harvey umfasst das messianische Judentum (ursprünglich Hebräisches Christentum – Hebrew Christianity; S. 10) gegenwärtig um die 150.000 jüdische, an den Messias Jesus Christus, Gläubige (S. 2). Obwohl es sich um eine relativ geringe Zahl handelt birgt die messianische Bewegung politischen und geistlichen Sprengstoff in sich und ist aus missiologischer Perspektive bedeutsam für den Gemeindebau. Andere messianische Bewegungen, auch Insider-Bewegungen genannt, aus anderen religiösen Kontexten (z. B. im Islam, Buddhismus, Hinduismus) messen sich oder werden an dieser jüdischen Bewegung gemessen. Das offizielle Judentum lehnt diese Bewegung in der Regel als nicht-jüdisch ab (z. B. der Zentralrat der Juden Deutschland).

Harvey untersucht acht Typen messianischer jüdischer Theologie (S. 267-277):

Typ 1 Jüdisches Christentum, christozentrisch und reformiert (Baruch Maoz);
Typ 2 Dispensationalistisches Hebräisches Christentum (Arnold Fruchtenbaum);
Typ 3 Israelische Nationalität und Wiederherstellung (Gershon Nerel);
Typ 4 Neutestamentliche Halacha, charismatisch und evangelikal (Daniel Juster, David Stern);
Typ 5 Traditioneller Judaismus und der Messias (Michael Schiffmann, John Fischer, Ariel Berkowitz);
Typ 6 Postmissionarischer messianischer Judaismus (Mark Kinzer, Richard Nichol, Tsvi Sadan);
Typ 7 Rabbinische Halacha im Lichte des Neuen Testaments (Joseph Shulam);
Typ 8 Messianische rabbinische Orthodoxie (Elazar Brandt, Uri Marcus).
Diese acht Typen bespricht er anhand von fünf Themenblöcken:

1. Gottes Natur, Handlungsweise und Attribute (kann der eine Gott Israels und die christliche Dreieinigkeit gleich sein?)

2. Der Messias (messianische jüdische Christologie)

3. Thora in der Theorie (die Bedeutung und Interpretation der Thora im Lichte Yeshua/ Jesu) 4. Thora in der Praxis (Messianische Praxis des Sabbats, Lebensmittelvorschriften und Pessach/ Ostern)

5. Eschatologie (die unterschiedlichen Modelle, die in der Bewegung verwendet werden, um die Zukunft Israels zu beschreiben).

Nach Empfehlung des Autors bietet Kapitel 9 „Conclusion: The Future of Messianic Jewish Theology“ (Fazit: Die Zukunft der messianischen jüdischen Theologie) eine umfassende Zusammenfassung, die seine Erkenntnisse beschreibt und in jüdisch-theologische Zusammenhänge stellt. Er erwähnt dort alle Problemfelder und Anknüpfungspunkte der acht dargestellten messianischen jüdischen Theologien noch einmal und gibt einen Ein- und Ausblick auf die möglichen Entwicklungen dieser Bewegung im Hinblick auf das globale Christentum.

Einige jüdische Anthropologen (z. B. Devra Jaffe unter messianischen Versammlungen in Philadelphia und Houston 2000; S. 23), jüdische Soziologen (Elliot Cohen, jüdischer Buddhist untersucht die jüdischen Gegenreaktionen 2004; S. 26-27) und nichtjüdische Religionsforscher (z. B. Bülent Şenay islamisch-theologischer Historiker zur Theologie der Bewegung 2000; S. 19, 188) haben das jüdisch-messianische Bewegung ebenfalls untersucht und beschrieben. Dass Harvey diese Sichtweisen mit einbezieht eröffnet Einblicke in die Wahrnehmung dieser Bewegung aus öffentlicher, kritisch-jüdischer sowie kritischer als auch zustimmender christlicher Perspektive. In zugewandten christlichen Kreisen wird die Bewegung als Kontextualisierung (Glasser, Fuller Seminary; S. 35), Wiederentdeckung des Ursprungs (rediscovery) oder (Wieder-)Vereinigung des Körpers Christi (Hegstad, norwegischer Lutheraner; S. 37) gedeutet.

Herausstechende ungelöste Problemfelder bilden der jüdische Monotheismus versus der dogmatisch-biblischen Trinität (S. 49-50, 66-67 Maoz „personhafte Dreieinheit“), das Verständnis und die Stellung Jesu Christi in der Hebräischen Bibel sowie der jüdischen Tradition (z. B. Kinzer S. 47), die jüdisch-halachischen Essensvorschriften (koscher vs. treife) sowie zuletzt die Einhaltung des Sabbat und anderer jüdischer Feste (S. 188).

Maßstab für die Bandbreite der Wahrnehmung und Auslegung zu diesen Gebieten ist die Nähe zum oder die Ablehnung des jüdischen Kultus innerhalb der messianisch-jüdischen Gruppen. Harveys Verdienst ist es die acht Typen eruiert und miteinander in Beziehung gebracht zu haben. Im Hinblick auf die Diskussion um die Rückführung des jüdischen Volkes in den Schoß der Kirche hat die jüngste Verlautbarung der evangelischen Kirche zum Reformationsjahr (November 2016), unter Eindruck des lutherischen Antijudaismus, jede Beteiligung bei Bekehrungsversuchen an jüdischen Menschen abgelehnt. Es wird sich zeigen wie das messianische Judentum mit solchen Abgrenzungen umgehen wird.

Rezension: Melcher, Sarah J., Parsons, Mikeal C. & Yong, Amos 2017. The Bible and Disability; A Commentary.

werner [at] forschungsinstitut.net

 

Dieser theologisch-missiologische Kommentar richtet sich an die kirchliche Praxis und die Diakonie. Hier gesellt sich zum Genre der Bibelkommentare ein weiterer fachdisziplinärer, welcher aus der Perspektive der Disability Studies auf die alt- und neutestamentlichen biblischen Bücher blickt. In zwölf Beiträgen beschreiben die dreizehn Autoren, wie die biblischen Texte aus der Sicht der Disability Studies zu rezipieren wären und welche Auswirkungen die Texte auf die Sicht der Kirche über Behinderung generell und Menschen mit körperlichen oder mentalen Einschränkungen haben kann.

In der Einleitung geht Sarah J. Melcher auf die Geschichte der Disability Studies im Kontext der Kirche und ihrer Auslegungsgeschichte der biblischen Texte ein. Die gängigen Werke zu Disability Studies aus den Bereichen Theologie (z. B. Eiesland 1994), medizinische Anthropologie (Avalos 1995 und 1999) und solche die Erfahrungswerte von behinderten Auslegern betreffen (z. B. Blindheit bei Hull 2001) werden umfangreich rezipiert.

Sie selbst nimmt sich der beiden Bücher Genesis und Exodus an. Der Frage der Imago Dei im Hinblick auf menschliche Behinderung widmet sie sich kurz. Das bestimmende, sich durch beide Bücher ziehende Thema, stellt die weibliche Unfruchtbarkeit dar. Diese „Behinderung“ ist zum Teil auch ein göttlicher Fluch (S. 29, 40; Gen 20:17-18). Ex 4:11 wird zum Schlüsselvers: Da sprach der HERR zu ihm: Wer hat dem Menschen den Mund gemacht? Oder wer macht stumm oder taub, sehend oder blind? Nicht ich, der HERR? Sie betont, dass dieser Passus zu verstehen gäbe, dass Behinderung entgegen der vorherigen Deutung in Genesis, weder Fluch noch Segen, sondern Gott-gegebener Bestandteil menschlicher Daseinsform sei (S. 50).

David Tabb Stewart bespricht Leviticus bis Deuteronomium. Leviticus nimmt sich der gesellschaftlichen Bandbreite der Hebräer an und bringt einzelne Behinderungen in den Blick. Das Buch Deuteronomium stellt für ihn die Idealisierung der „Abled“ [Nicht-Behinderte] dar, Leviticus die legale Richtschnur zum Ideal und Exodus die Hinführung zum Ideal (auf dem Weg; S. 85).

Jeremy Schipper, untersucht die historischen Bücher der „deuteronomistischen Geschichte folgend, von Josua, Richter, Samuel- und Königebücher. Josua und Ruth ragen für ihn dadurch heraus, dass auffälligerweise jeglicher Hinweis auf Behinderungen fehlt (S. 96-97). Altersbehinderung, Hautkrankheiten, prophetische Blendung (2 Kön 6:18-20) und Strafe für Diskriminierung von Behinderten (z. B. Elisa in Verse :23-24) durchziehen thematisch die Königebücher.

Kerry H. Wynn bespricht die „Schriften“. Dazu gehören beide Chroniken, Esra, Nehemia und Esther. Während Esther gar keinen Hinweis auf Behinderung aufweist, findet sich in Esra und Nehemia eine metaphorische Übertragung der Stadt Jerusalem, die als „behindert“ einzustufen ist. Chroniken, wie auch die Königebücher (siehe oben) enthalten vielerlei Hinweise auf Behinderung. Die herausragende Erzählung rund um Behinderung, nämlich die über den gelähmten Sohn Jonathans Mephi-Boschet fehlt in den Chroniken, da sie laut Wynn keine historisch-theologische Bedeutung habe (S. 124).

Sarah J. Melcher übernimmt Hiob, Sprüche und Prediger. Sprüche sind ihrer textkritischen Meinung nach ausschließlich von Abled verfasst (S. 163; Spr. 3:1-2). Die in Prediger beschriebenen Begrenzungen menschlicher Fähigkeiten bilden den gottgewollten Rahmen der Schöpfung ab (S. 166.). Hiob bietet für Disability Studies eine besondere Herausforderung, da Leiden, Behinderung und Krankheit dem göttlichen Mitwirken zugesprochen wird.

Jennifer Koosed bespricht die Psalmen, Klagelieder und das Hohelied. Im Buch der Psalmen werden die Schöpfung und der Schöpfer in den Zusammenhang von Vorhersehung und Theodizee gestellt. Dabei wird der Schöpfer sowohl mit einem gebrochenen Körper beschreiben, als auch idealtypisch in den Kontrast zu physisch gebrochenen Götzen gestellt. Bilder der Gebrochenheit über Stummheit, Gehörlosigkeit, Blindheit, Lähmung und Riechunfähigkeit sind zahllos.

Weitere Beiträge: J. Blake Couey Jesaja, Jeremia, Hesekiel, Daniel und Kleine Propheten. Candida R. Moss Markus, Matthäus. David F. Watson lukanische Werke. James Clark-Soles johannäische Literatur. Arthur J. Dewe und Anna C. Miller paulinische Literatur. Martin Albl Hebräerbrief, katholische Briefe.

Dieser Kommentar bietet vielfältige Hinweise auf die antike Sicht über behinderte Menschen. Er ist vielerorts kritisch in der Bewertung sprachlicher Konnotationen, die eine metaphorische Bedeutung im Hinblick auf Behinderung ausdrücken. Sensibel gehen die Kommentatoren mit Implikationen um, die sich aus den Texten ableiten lassen, aber nicht zwangsläufig gemeint sein müssen.

 

Disability Studies ; Bibel ; Bibelkommentar ; Kommentierung ; Hermeneutik ; Exegese

Rezension: Lukens-Bull, Ronald 2005. A Peaceful Jihad. Negotiating Identity and Modernity in Muslim Java

werner [at] forschungsinstitut.net

 

Der Islam Indonesiens, Gegenstand dieser Studie bildet Java, bewegt sich in einer bunten Mischung aus Religionen, Volksgruppen und verschiedensten Interessen. Die von einem Außenstehenden (etisch) verfasste anthropologische Untersuchung beschreibt das Leben eines islamisch-geführten Internats (indonesisch pesantren) mit Namen Al-Hikam. Die Studenten der pesantren studieren an Colleges oder in säkularen Fächern an außenstehenden Institutionen und leben im Internat nach traditionellem indonesisch-islamischen Verständnis. Religiöse Erziehung wird in dieser pesantren vom Dekan und seinen engsten Vertrauten selbst gegeben. Zusätzlich können sich die Studenten für Arabisch, Englisch oder einige andere Fächer am Internat einschreiben. Der Dekan wird als Segensspender und religiöses Vorbild betrachtet.

Die Untersuchung besticht durch ihre ethnographischen Studien an Einzelthemen. Der Leser wird in das Umfeld eines islamischen Internats transportiert, zu dem ein Westler nur bedingt Zugang hat. Nicht nur die pesantren, sondern auch die mit ihr verknüpften Einrichtungen werden beschrieben. Hierzu zählen Friedhöfe, Pilgerstätten (Tebu Ireng, S. 28-29), Freizeiteinrichtungen und religiöse Zentren. Der historische Rückblick gibt Einblick in die Gründungszeit (19. Jh.) und die Entwicklung des Internats.

Es geht dem Autor wesentlich um die Auseinandersetzung des Islam mit der Moderne und Postmoderne. Dabei wird Bildung als das wesentliche Element der Veränderung und Erneuerung islamischen Lebens gewertet. Die Forderung nach einer interreligiösen, interkulturellen und mehrsprachigen Ausbildung im Rahmen des Islam steht stellvertretend für die angesprochenen Veränderungen (Kap 3-4). Die Einflüsse auf die pesantren kommen von außen und innen. Reichere islamische Staaten (z. B. Saudi Arabien, Iran) wollen über finanzielle Unterstützung Einfluss auf das Bildungsangebot und den Ablauf des Internats nehmen. Die Internatsleitung hält dagegen, dass die gleichzeitige Lehre von Arabisch und Englisch traditionelles mit modernem Leben verbindet. Studenten lernen theologisch-islamische Grundlagen am arabischen Qur’an und moderne Weltbilder parallel. Man öffnet sich auch im religiösen Bereich in dem man zum Beispiel Christentum und asiatische Religionen anhand derer Schriften (Bibel, Veden, Baghadvitta) studiert.

In einem weiteren Schritt untersucht der Autor verschiedenste Leitungsmodelle der pesantren (Kap 5). Dabei vergleicht er demokratische und diktatorische Modelle miteinander, die auch in politischen Parteien, öffentlichen Institutionen und halbstaatlichen Organisationen wieder zu finden sind. Das Leitungs- und Sozialgefüge in den pesantren zeichnet sich durch die Verehrung von Individuen, strengen moralischen Standards und einem einfachen Lebensstil aus. Dabei werden kulturelle Werte angesprochen, die der Ausbreitung und inneren Stärkung (jihad) des Islam zugutekommen (Kap 6).

Dieses ethnographische Werk gibt Anthropologen und Missiologen einen guten Einblick in die islamische Welt Indonesiens. Im Besonderen klärt es über islamische Bildungseinrichtungen und deren Leitungsstrukturen auf.

 

Indonesien ; pesantren ; Islamische Schule ; Religionsunterricht ; Islam ; interreligiöse Studien ; Dschihad

Rezension: Noor, Sikand & Bruinessen 2007. The Madrasa in Asia

werner [at] forschungsinstitut.net

 

Das vorliegende Buch ist eine Aufsatzsammlung von 9 Beiträgen zum islamisch-theologischen Bildungssystem in Asien und dessen Reformbewegungen. Noor ist Lehrer/ Dozent an der Schule für internationale Studien in Singapur, Sikand ist  professioneller Autor aus Indien und van Bruinessen ist Soziologe und war Professor em. an der Universität Utrecht. Alle drei sind oder waren auch im islamischen Raum im Lehrbetrieb tätig.

Dieses Buch beschreibt aus anthropologischer und soziologischer Perspektive die Bedeutung der Medresse (arab. abgeleitet von darasa „studieren“, Schule, S. 9) im islamischen Raum mit Fokus auf Asien. Einzelne Medressen, aber auch ganze Netzwerke aus Indien (z. B. Deoband), Pakistan, China, Malaysia und Indonesien werden hier beschrieben und untersucht. Die benannten Medressen sind private und nicht-universitäre Bildungseinrichtungen, die säkulare und theologische Fächer anbieten. Die säkularen Fächer werden auf dem Fundament eines islamischen Verständnisses gelehrt, damit der Student sich im Rahmen eines islamischen Umfeldes entwickeln und bewegen kann.

Das Buch gibt einen guten historischen Einblick darüber, aus welchen Beweggründen sich Medressen in einzelnen Situationen gebildet und wie sie sich über lange Zeiträume hinweg entwickelt haben. Einhellig sprechen sich die Autoren und die von ihnen untersuchten Schulen  für die Erneuerung und Neuorientierung bei der Konzeption der islamischen Ausbildung in diesen Einrichtungen aus. Solches ergibt sich vor allem aus dem Sektor des säkularen Bildungsbereiches, welcher sich meist zu eng und einseitig auf den islamischen Raum begrenzt. Die Forderung geht dahin, sich international, interkulturell und interreligiös auch für nicht-islamische Kontexte zu öffnen. Diese Reformansätze sind bereits in Gang oder werden mit Nachdruck gefordert.

Das übergeordnete Thema der Aufsätze ist die innere und äußere Erneuerung der Medressen und der innere und äußere Widerstand dagegen. Damit wird die Medresse selbst zur politischen Institution, in der sich die gegenseitigen Oppositionskräfte des Islam offenbaren (Reformer vs. Konservative).

Das Werk zeichnet sich durch eine detaillierte Darstellung dieser beiden  Kräfte im islamischen Raum aus. Es verliert jedoch meines Erachtens an Objektivität aufgrund einer Überbewertung der Reformbewegung, die man genauso gut auch als normalen Anpassungsprozess werten könnte. Hierdurch wird teilweise eine Bild der Gefährdung der Medressen gezeichnet, was so nicht unbedingt realistisch ist. Diese Einschätzung relativiert sich etwas dadurch, dass die Aktivitäten, die sich aus den Medressen entwickeln eindeutig anti-reformistisch sind. Dadurch zeichnet sich ein deutlich beschriebener Spannungsbogen zwischen Reformern und Gegenkräften in diesen Bildungseinrichtungen ab. Einige persönliche biographische Schicksale von Studenten bereichern das entworfene Bild.

Es handelt sich um eine übersichtliche Gegenwartsperspektive zum „modernen“ Islam. Jeder, der sich mit diesem Thema beschäftigt, erhält einen Eindruck über die die politisch aktiven Kräfte in diesem Raum, woher sie kommen, wie sie wirken, und wie sie generiert werden. Da Medressen vor allem armen Bürgern den Weg zur Bildung ermöglichen, stellen diese islamischen Bildungseinrichtungen elementare Meinungsmacher dar. Dieses Werk ist auch für diejenigen von Bedeutung, die sich über die unterschiedlichen derzeit aktiven Netzwerke und Verknüpfungen im asiatisch-islamischen Bildungsbereich informieren wollen.

Rezension: Murrow, David 2011. Warum Männer nicht zum Gottesdienst gehen

werner [at] forschungstiftung.net

 

Aus weiblicher Perspektive müsste die Durchsicht dieses Buches anders ausfallen, aber geschlechterbezogene Themen sind bekanntermaßen kontrovers. Murrow hat seine Beobachtungen und Erkenntnisse zum Themenbereich „Kirche / Gemeinde und Männer“ zusammengefasst.

Als Leiter der Institution „www.churchformen.com“ (eine lesenswerte Website) ist es ihm aufgefallen, dass die christlichen Kirchen / Gemeinden den, wie er es nennt „maskulinen Geist“ in ihrem Umfeld nicht wiederspiegeln. „Maskulinität“ mit all seinen Ausprägungen sei in der Kirche nicht gefragt. Er beobachtete, dass die eher wenigen Männer in Gemeinden mehrheitlich passiv oder gelangweilt seien und sich irgendwie unwohl fühlen (Einleitung). Er stellt die berechtigte Frage, ob es sich hier um eine unbeabsichtigte Folge der gegenwärtigen Struktur und Ausrichtung der Kirche / Gemeinde handeln könnte? Verstärkt wird sie durch die von ihm oft gehörten Meinung „Religion sei Frauensache“ und „Männlichkeit spielt in der Kirche keine Rolle“.

Wie steht es in der Kirche um die Männer? Entgegen den Vorwürfen, die Kirche sei in ihrem Wesen patriarchalisch und männerdominant, ziehen die praktischen Tätigkeiten in der Gemeinde eher weibliche Mitarbeiter an. Kinderarbeit, Putzen, Gebet, Seelsorge, Musik, es sind letztendlich die treuen Frauen der Gemeinde die Kontinuität und letztendlich die Struktur der Gemeinde bestimmen. Diese dominante weibliche Präsenz hat letztendlich im Denken der Männer, „die Kirche“ in den Ruf eines Frauenclubs gerückt. Vor allem die männlichen Faktoren Spaß, Herausforderungen und Abenteuerlust sind in den Kirchen nicht gefragt. Kontroverse Themen werden nicht aufgeworfen, unbeantwortbare Fragen sofort zugepredigt, der typische Gemeindebesucher ist demütig, ordentlich, pflichtbewusst und vor allem: nett. Diese Angepasstheit fasziniert Männer nicht, sie bleiben fern oder verhalten sich passiv. Murrow ist realistisch, viele Männer frönen gerne außerhalb der Kirche ihrem eigenen Gott (Egoismus, Sucht, Kriminalität), aber Erweckungen haben gezeigt, Männer sind religiös. Es fehlt an langfristigen Herausforderungen, um Männer für die Kirche zu begeistern. Viele der derzeitigen Gemeindeformen sind in dieser Hinsicht offensichtlich nicht herausfordernd.

Auch wenn man mit vielem nicht übereinstimmen muss ist es ein lesenswertes Buch. Selbst wenn in „unserer“ Gemeinde alles anders ist, so fordert es doch heraus dieses Thema zu durchdenken. Einige der zahlreichen Vorschlägen zur Gestaltung von Kirche, hinsichtlich der Beteiligung von Männern, könnten jederzeit aufgegriffen werden (z.B. sprachliche Konventionen, Testosteron-Elemente im Gottesdienst, Gebetsformen).

 

Kirche ; Geschlechter ; Gemeindegründung ; Missiologie ; Autorität

Rezension: Du Mez, Kristin Kobes 2015. A New Gospel for Women: Katharine Bushnell and the Challenge of Christian Feminism

werner [at] forschungsinstitut.net

 

Du Mez offenbart einen seltenen missiologischen Schatz. Eine Kombination, welche evangelikale Missiologie und Theologie, Bibelübersetzung, Missions- und Zeitgeschichte miteinander, in einer Person verbindet: Katharine Bushnell. Das ganze verwirklicht sich unter dem Leitthema „konservativer christlicher Feminismus“. Kristine Kobes Du Mez trägt den Leser in die Periode der amerikanisch-britischen evangelikalen Erweckungsbewegungen des 19. und 20. Jh. Gleichzeitig blickt sie zurück auf damalige und heute aktuelle Brennpunktthemen der christlichen Kirchengeschichte im Entwicklungsdienst. Hierzu gehören: Ideologisch-geprägte antifeministische Bibelübersetzung, Kolonialismus, Menschenhandel, Prostitution und Kindesmissbrauch im Angesicht (männlicher) christlicher Verantwortung und Beteiligung. Der historische Hintergrund bildet die globale methodistische kirchliche Sendungsbewegung. Zeitgeschichtlich bewegt sie sich im Rahmen des sich zunehmend dem Ende neigenden Commonwealth, und geografisch insbesondere in China, Indien und Australien.

In das Vorwort stellt Du Mez die Übersetzung der Schöpfungsgeschichte aus Genesis 1-3 von Bushnell (:ix-x; Preface). Erst im Verlauf der Biographie von Bushnell wird deutlich, wie diese, auf den ersten Eindruck, irritierende Übersetzung der Bibel zustande kam. Als siebtes von neun Geschwistern wurde Bushnell im Jahre 1855 in Peru, Illinois geboren. Sie zog mit der Familie, dann als 15jährige ins 130 km entfernte Evanston. Diese Stadt war bekannt als evangelikales Methodist Mecca und als eine der evangelikalen christlich-feministischen Hochburgen (:13-15; :12-26; A Paradise for Women).

Die Heiligungs-Bewegung, insbesondere unter der Leitung von Frauen, und im Kontrast dazu die strenge viktorianischen Geschlechtertrennung prallten dort aufeinander (:27-61; Virtue, Vice, and Victorian Women). Dies führte zur Beteiligung von Frauen auf Leitungsebene und in der Bildung (z. B. Northwestern Female College). Von ihnen wurden Bedenken bezüglich der Evangelisation von Frauen durch Männer laut. Daraus wiederum erwuchs die erste globale Frauen-Sendungs-Bewegung, nicht nur durch Frauen, sondern ganz gezielt und zielgruppenorientiert an Frauen. Hierzu gehört z. B. die Woman’s Foreign Missionary Society – WFMS – durch die Methodist Episcopal Church (:19).). Frances Willard, Bushnells Nachbarin, wurde ihre jahrzehntelange Mentorin, basierend auf einer gegenseitig profitierenden Beziehung (:21). Bushnell studierte Theologie und die Sprachen des Grundtextes. Sie entwickelte sich langsam zu einer, damals sehr seltenen und deshalb gefragten, professionellen Exegetin und Hermeneutin. Beides schlug sich später in ihrer Kritik der gängigen englischen Bibelübersetzungen nieder.

Basierend auf einer Betonung des kirchlichen Dienstes im Ausland und von Frauen in der Wissenschaft im Rahmen der Methodisten, studierte Bushnell Medizin (:24-25). In 1879 fuhr sie als medizinische Fachkraft nach China. Ihre Reise stand unter dem Eindruck des christlichen Feminismus, der Christianisierung von Frauen durch Frauen, und dem sogenannten „gesellschaftlichen Reinigungs-Feldzug“ (:27; social purity crusade). Hier, in der Fremde, wurde ihr zum ersten Mal die (un-)bewusste Herabsetzung von Frauen deutlich. Mehr noch, sie lernte über die dahinterstehenden Beweggründe, und warum Frauen, solches mit sich geschehen lassen. Sie war sich, der damaligen Zeit gemäß, ihres eigenen imperialistisch-kolonialistischen Ansatzes nicht bewusst. Umso mehr wurde ihr, die ihr vorliegende chinesische Bibelübersetzung zum Anlass, sich grundlegende Gedanken zur paternalistisch-ideologischen Voreingenommenheit im globalen christlichen Kontext zu machen. Als Beispiel gibt Du Mez Philipper 4:2-3 vor. Der Text bezog sich in der chinesischen Übersetzung auf zwei männliche Gehilfen, während der Grundtext von Euodia und Syntyche als weibliche Gehilfinnen spricht (:39-40). Schlimmer noch waren jedoch die theologischen „Nachweise“ ihrer männlichen Kollegen bezüglich dieser fehlerhaften Übersetzung.

Bushnell bekam die Chance für die Woman’s Christian Temperance Union (WCTU) unter Willard zu arbeiten (:41). Zurück in den USA untersuchte sie unterschiedliche wissenschaftliche Zusammenhänge zwischen Prostitution und männlichen Einflüssen in Wisconsin, wie sie solche auch in China wahrgenommen hatte (:60-62; :62-85; Heathen Slaves, Christian Rulers). Ihren großen Durchbruch hatte sie mit einer Untersuchung zur gezielten Prostitution durch britische Soldaten im indischen Teil des Commonwealth. Unter falschem Vorwand, jedoch auf offizielle Beauftragung basierend, konnte sie dort die Gebaren der britischen Truppen mit indischen Frauen aufdecken. Falsche Eheversprechungen führten zu einer Art „offiziellen“ Prostitution. In der Konsequenz traten Abtreibung, Geschlechtskrankheiten, Freitod und gesellschaftliche Ächtung auf, was wiederum den Widerstand gegen die britische Bevölkerung anfachte (:69-71). Bushnell konnte dies auch für China nachweisen. Ihre Ergebnisse führten zu heftigem Widerstand im Commonwealth waren jedoch wissenschaftlich fundiert. Bushnell war wohl die erste Frau, die öffentlich das theologische Denken der damaligen Zeit für die Verbrechen an Frauen verantwortlich machte (:86-89; :86-107; The Crime is the Fruit of the Theology). Für sie war die paternalistische Dominanz in Exegese und Hermeneutik, sowie in den Kirchenstrukturen Grundlage für die Missstände.

Bushnell fing an eigene Bibellektionen für Frauen zu schreiben: God’s Word for Women (z. B. 101 Questions answered: A Woman’s Catechism). Gleichzeitig untersuchte sie englische Bibelübersetzungen auf, ihrer Meinung nach, paternalistische Fehlübersetzungen. Ihr wurde schnell klar, dass das Verständnis zur Schöpfungsgeschichte grundlegend die Auslegung beeinflusste (:108-129; Leaving Eden). Vor allem die Stellung Evas nach dem Sündenfall wurde zur Schlüssel-Exegese ihrer Auslegung (:130-151; Reedeming Eve). Dabei nimmt sie Anleihen an zeitgleichen anthropologischen und religionswissenschaftlichen Thesen. Das Matriarchat, als frühes Gesellschaftsystem und die Christenverfolgung von Frauen, dienten ihr als Anhaltspunkte für die besondere göttlich übertragene Verantwortung des Mannes gegenüber der Frau. Nicht als Schutzherr der Frau, sondern als Gottes-Gegenüber besonders verantwortlich und der Frau absolut gleichgestellt. Erst die spätere paternalistische Auslegung verschob diese besondere Verantwortung auf die Schulter der Frau, die nun zum Spielball männlicher Machtkonstruktionen wurde (:150-151). Liberale Bewegungen im amerikanisch-britischen Protestantismus führten auf lange Sicht zur Nivellierung der Geschlechterfrage und damit zur Beteiligung von Frauen im theologischen Raum (:152-162; Liberal Conservatives). Mit dem Beginn des 20. Jh. begann eine neue liberale feministische Welle, der Bushnells konservativer Ansatz nicht genügte. Bushnell sprach sich für die Familie, gegen Abtreibung und Verhütung (Geburtskontrolle) aus (:163-178; A Prophet without Honor).

Der sogenannte „moderne liberale Feminismus“ konnte jedoch die Diskriminierung von Frauen auch nicht beseitigen. Erst in jüngerer Zeit werden daher die „Neue Moral“ und der „konservativ-christliche Feminismus“ von Bushnell in der Interkulturellen Theologie neu entdeckt (:179-187; Conclusion: The Challenge of Christian Feminism).

Zusammenfassend kann man diese Studie nur jedem empfehlen, der sich zu den Themen Geschlechterproblematik, Menschenhandel, Prostitution, Feminismus und Ideologie in der Bibelübersetzung weiterbilden möchte.

 

Geschlechterstudien ; Menschenhandel; Prostitution; Feminismus; Ideologie in der Bibelübersetzung; Kolonialismus; Postkolonialismus; Maternalismus; Paternalismus